Deutschland, Europa

Denkmalzone Area 1 – Ein Relikt aus dem Kalten Krieg

Die massiven Tore des Bunkers lassen sich nicht bewegen. Kein Stück. Kein Wunder, wiegen sie vermutlich Tonnen. Doch sie sind geöffnet, der ehemalige Bunker für Besucher zugänglich. Also schlüpfe ich hinein. Sofort umgibt mich wohltuende Kälte nach der Hitze des Tages. Es hallt in der großen, leeren Halle. Leer – bis auf zwei Wohnwägen, etwas Geschirr, einen ausgedienten Sonnenschirm, der vor dem Bunker sein Dasein fristet. All das, die Wohnwägen, der Schirm – ist ebenfalls alt und verrostet, stammt ebenfalls aus einer früheren Zeit.

Wenn wir von Zeiten sprechen, von denen es besser ist, dass sie vergangen und vorbei sind, dann zählt dazu mit Sicherheit der Kalte Krieg. In dieser Phase der internationalen Drohgebärden zwischen den Sowjets und den USA war Area 1 ein hochgesichertes Sonderwaffenlager der NATO, in dem vermutlich Atomwaffen gelagert wurden. Vieles, unter anderem die hohen Sicherheitsmaßnahmen, deuten darauf hin. Auch über Chemiekampfstoffe wird gemunkelt, doch die Informationen, die ich finden kann, ergeben nicht wirklich etwas handfestes. Es sind mir zu viele „Vermutlichs“ und „Wahrscheinlichs“ dabei, doch okay. Fakt ist: die Öffentlichkeit wusste Bescheid. Und es gab Proteste. Zu Zeiten der RAF hat man die Maßnahmen aus Angst vor terroristischen Anschlägen noch einmal verschärft. Bis die Anlage 1993/94 von den US Streitkräften komplett geräumt und dann nach und nach zurück gebaut wurde, woran die allgemeine Ablehnung der Öffentlichkeit und die Proteste von Aktivisten einen nicht unwesentlichen Anteil hatten. Bunker wurden zurück gebaut und Area 1 verrottet seitdem vor sich hin. Seit 2012 ist sie eine ausgewiesene Denkmalzone, die an die Geschichte erinnern soll.

Anderthalb Stunden sind es von Mannheim nach Fischbach bei Dahn. Es ist ein heißer Junisonntag, und die Hitzewelle hat das Land fest im Griff. Schnell schellen die Temperaturanzeigen nach oben. Zweiundzwanzig Grad, fünfundzwanzig. Als wir ankommen, ist das Thermometer bereits auf 27,5 Grad geklettert.

Wir parken hinter Ludwigswinkel, einem kleinen Ort nahe der deutsch-französischen Grenze. Hier lassen wir unser Fahrzeug und begeben uns zu Fuß weiter. Das Sonderwaffenlager befindet sich irgendwo im Wald, doch der Weg ist markiert. Kleine Plaketten sind seitens des Weges zu sehen.

Als wir am Hauptgebäude ankommen, sind wir nicht allein. Das war auch nicht zu erwarten an einem sonnigen Sonntag. Das surrende Geräusch einer Drohe in der Luft macht mich aggressiv und ich fühle die unbändige Lust, das Ding vom Himmel zu holen. Mit einem Schuh, mit einem Stein, egal womit. „Hier.“ Sagt Stefan und zeigt nach unten. Auf einer ausgetretenen Stelle mitten im Gelände liegen frische, zerschossene Patronen herum.

 

Das Hauptgebäude

Der Wachturm schaut aus blinden, teils zerschlagenen Fenstern auf uns hinunter. In den von Graffiti überzogenen Innenräumen ist kaum noch etwas von früherer Einrichtung da. Man kann es sich nur vorstellen, wie es einmal ausgesehen haben muss.  Area 1 ist nur ein Teilbereich der sogenannten „Fischbach Ordnance Depot“, das neben dem Lagerbereich die Hochsicherheitsbereiche Area 1, Area 2 und Area 3 erfasst. Über hundert Bunker verteilten sich auf dem Gelände. Es gab Kasinos, Lagerhallen, Reparaturbereiche, eine Verwaltung, eine Bowlingbahn, sogar eine Kirche. Gesichert wurde das „Sonderwaffenlager“ durch Stacheldrahtzäune. Dahinter, zur inneren Zone hin, gab es noch mehr Zäune, Mikrowellen, Sensoren und Schleusen. Die zuständige Wachmannschaft hatte bei unbefugtem Eindringen unbedingten Schießbefehl.

Als der Kalte Krieg mit allem Mitteln unter den Ost- und Westmächten ausgetragen wurde, rechnete man jederzeit mit einem Eindringen der Truppen des Warschauer Pakts aus der DDR über den „Thüringer Balkon“ in Richtung Rhein. Für einen solchen Fall sah die NATO einen großflächigen Einsatz von Atomwaffen auf deutschem Boden vor. Leute, wir wären zu Pulver geworden. Aus diesem Grund befanden sich die meisten Waffenlager hinten im Westen des Landes; es brauchte zwei Wochen Vorlaufzeit, um sie nahe der Front zu stationieren. Noch nicht lange ist es her, da die Welt sich in großer Gefahr befand. Wie aktuell dies Thema wieder geworden ist.

Doch nicht nur der „Feind“; auch terroristische Anschläge stellten in den Jahren 1976-1982 eine große Gefahr dar. Die meisten Sonderwaffenlager wurden, um die Sicherheit zu gewährleistet, festungsähnlich umgebaut. Deswegen wird die Area 1 heute auch als eine moderne Burg gesehen. In dieser Zeit entstand auch der rechteckige Wachturm, der uns am Eingang begrüßte. Das Innere des Hauptgebäudes ist noch zum Teil gefliest. Hinweise zu Brandschutzzonen sind noch zu sehen, und im oberen Stock entdecke ich sogar eine Dusche. Der Wachturm ist leider nicht begehbar, einen großen Teil der Wendeltreppe gibt es nicht mehr.

Stefan hatte sich irgendwo im Gebäude verloren. Noch hatte ich ihn gehört, seine Schritte im Erdgeschoss. Nun höre ich nichts mehr. Stille. Vielleicht ist etwas passiert, vielleicht betrat er einen unsichtbaren Punkt, der die Verbindung zwischen dem Hier und Jetzt und der Vergangenheit markiert. Ein weiterer Schritt, und er findet sich inmitten Uniformierter wieder, inmitten von geschäftigem Treiben einer nicht mehr aktuellen Zeit.

Ich finde ihn draußen an einer der Infotafeln wieder.

 

Die Bunker

Nur wenige Bunker sind noch da. Ehemals hundert waren es gewesen zur aktiven Zeit von Area 1. Sie waren zu jener Zeit nicht einfach so zu betreten gewesen. Die Bunker waren so eingerichtet, dass ein unbefugter Zutritt mit erheblichen zeitlichen und technischen Aufwand verbunden gewesen wäre. Massive Stahlgitter dienten als Sichtschutz und Schutz vor Raketenangriffen. Ein Bunker konnte nur zur zweit geöffnet werden, dafür sorgten die massiven Vorrichtungen. Die Türen wurden mit einem Hydraulikzylinder angehoben und geöffnet; auf den Innenseiten der Türen befanden sich Pneumatikzylinder, diese wurden mithilfe von Stickstoff bewegt. Bei jeder Öffnung wurde telefonischer Kontakt mit dem Wachgebäude hergestellt. Hatte man die Bunker erstmal geöffnet, so war das noch nicht das Ende der Übung. An der Decke angehängte Stacheldrahtrollen bildeten einen schützenden Vorhang. Reizgasgeneratoren konnten von der Zentralle aus aktiviert werden.

Nach Beendigung des Kalten Krieges 1991 wurden die verbliebenen Sonderwaffen zur Airbase Ramstein und von dort aus zurück in die USA gebracht. 1994 hatte man das Gelände komplett geleert und an Deutschland zurückgegeben, der Rückbau begann. Mehrere Lager wurden nacheinander gesprengt oder mit Baggern abgerissen, das Gelände wieder aufgeforstet. Doch der weitere Rückbau wurde durch Proteste verhindert. Geschichte sollte erhalten werden, zu Lehr- wie auch zur Mahnzwecken. Der 2009 gegründete Verein IG Area One widmet sich diesem Ziel. Seit 2012 hat das Gelände den Status einer Denkmalschutzzone. Es gibt heute einen 1,3 km langen Rundweg, der auf Nachfrage auch im Rahmen einer Führung begangen werden kann. Einmal im Jahr veranstaltet der Verein den „Tag des offenen Denkmals“ mit Führungen und Ausstellungen.

Ich hole Stefan ein und zusammen marschieren wir entlang der Geschichte. Manche der Bunker sind geöffnet, meist sind sie leer. In einem lagern irgendwelche Möbel, in einem anderen irgendwelche Paletten. Einer sieht innen aus wie ein Hangar. Die vollständige Sicherheitsvorrichtung ist nur noch in einem der Bunker erhalten, der Rest wurde von den Amis selbst, später auch von der Bundeswehr abgebaut. Kalt und etwas feucht ist es im Inneren. Hat man einen gesehen, hat man alle gesehen, denkt sich Stefan und bleibt draußen. Ich hingegen muss meinen Kopf überall zumindest mal reingesteckt haben. „Was, wenn die Türe einfach zugeht?“ Fragt Stefan in die sonnige Luft hinein. Schatz, sage ich. Diese Türen gehen nicht einfach so zu.

Unserer Rundweg nähert sich dem Ende, wir kommen wieder am Hauptgebäude an. Was gibt es noch zu wissen? Vielleicht, dass das Gelände seinerzeit (1 April 1955) von den USA annektiert und quasi enteignet wurde. Oder, dass es um dieser Jahreszeit (Juni) bereits viele Stechmücken im Wald gibt. Vielleicht auch, dass die Gegend um Fischbach herum von unzähligen Fischteichen umgeben ist, die im Sommer kühle Oasen darstellen. Badebuchten und -ufer inklusive. In Ludwigswinkel entdecken wir ein Lokal mit schmackhafter Pfälzer Küche. Und ich nehme mir vor, auf eine längere Wanderung hierher zu kommen. Oder auf einen Badetag. Wie gut, dass die Sonderwaffenlager nur ein längst vergangenes Echo sind. Wie glücklich wir doch waren, all die kurzen Jahre, in denen wir uns nur „von Freunden“ umgeben sahen. Ich schließe meine Augen und halte mir die Ohren zu und stelle mir vor, es sei noch immer so.

Wer mehr wissen möchte, dem empfehle ich kuladig.de, wie auch westpfalz.wiki.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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11 Kommentare

  1. Lost Places finde ich immer interessant – Bunker haben immer etwas geheimnisvolles – man erwartet dass man eine geheime Tür entdeckt, die vor einem noch keiner gefunden hat und dort ein Labor mit Gen-Experimenten zur Schaffung des ultimativen Supersoldaten entdeckt.
    Natürlich muss da noch ein Skelett in einem weißen Doktor-Kittel auf einem Stuhl an einer riesigen Computer-Konsole sitzen, den knochigen Arm direkt neben einem verstaubten mit Spinnweben überzogenem – durch die Jahrzehnte ausgeblichenem – aber schwach erkennbar rotem Warnbutton liegend, der immer noch schwach bedrohlich blinkt.. ist doch klar was ich dann mache, oder?.. 🙂

    1. Dich taktvoll zurückziehen und den roten Knopf roten Knopf sein lassen? 😉

      1. Da kennst Du mich aber schlecht… 🙂

        1. Na, ich weiß, da wollte jemand brav sein 🙂

          1. „Manno.. nix darf man..“ *Steinwegkick*.. 😉

  2. Harald sagt:

    Über diese Wanderung war vor kurzem ein Bericht in der Rheinpfalz.

    1. Hm, muss ich mal nachlesen. Danke 😉

  3. Spannend! Von der Area 1 habe ich noch nie gehört. Ein toller Lost Place mit unzähligen Fotomotiven und einer sehr interessanten Geschichte. Danke fürs Mitnehmen!

    1. Der Ort war mir auch lange Zeit unbekannt. Schon interessant, was man an Geschichte in den Grenzregionen erlebt 😉

  4. Sehr interessante Geschichte, danke fürs zeigen!!!
    Liebe Grüße, Roland

    1. Vielen Dank, Roland. Ich war selbst überrascht, dass die Pfalz so etwas Spannendes hat.

      Lg Kasia

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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