Die Pfalz ist wunderschön. Da fährt man durch Orte mit so unbedeutend klingenden Namen wie Heuchelheim-Klingen und muss anhalten, weil einen die süßen Häuser und die gemütlich wirkenden Weinreben entzücken, die in einem Bogen die sich durch den Ort schlängelnde Straße umranken. Entzückend, würde meine Schwiegermutter dazu sagen. Dazu ein angedeutetes, holzgeschnitztes Weinfass, das alles garniert mit ein paar Strahlen Sonne – manchmal braucht Perfektion so wenig.
Doch Heuchelheim-Klingen ist heute nicht mein Ziel, es ist sozusagen Beifang auf dem Weg in eine etwas abgelegenere Region, die sich an der Grenze zu Grand Est befindet. Es ist Samstag Abend und ich will wandern gehen. Doch es soll anders kommen.
Warum Samstag Abend und warum so spät? Während andere sich auf den Weg in irgend einen Dorfklub machen, um sich dort die Kante zu geben wie jeder normale Mensch, sitze ich im Wagen und jage die Serpentinen des Pfälzer Waldes hoch und runter. Und es kommt wie es kommen muss. Anstatt weiter konsequent meinem Ziel zu folgen, lenkt irgend etwas meine Aufmerksamkeit auf sich. Dieses „irgend etwas“ ist eine Burg.
Nun, wer hier im Südwesten mal unterwegs war, weiß, dass es Burgen und Burgruinen gibt, als hätte sie jemand aus einem Reiskornsack auf die Landschaft geschüttet. Und hin und wieder findet man darunter echte Perlen. Diese hier, die mich willenlos meinen Kurs ändern lässt, sieht bereits von unten und aus der Ferne beeindruckend aus. Es ist die Felsenburg Berwartstein, die sich hier über Erlenbach bei Dahn erhebt.
Kurze Zeit später schleiche ich einen Schleichweg hoch. Schleichweg nicht ganz, denn die ausgebaute Straße führt mich unmittelbar vor die nicht vorhandenen Burgtore. Ich erwarte, einen verlassenen Bau anzutreffen. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass die Burg erstens keine Ruine und zweitens, noch immer bewohnt ist; es handelt sich gar um die einzige bewohnte Burganlage in der Pfalz. Die Burgherrschaften und Burgfräulein treffe ich im Biergarten an, wo zweitere zwischen den zierlichen Tischen und Stühlen laufen und ersteren Bier ausschenken. Blicke, die ich den roten Sandsteinfelsen hinauf schicke, zeigen mir eine beeindruckende, aufrecht strebende Mauer, die sich fast nahtlos in den Fels schmiegt. Tatsächlich wurden hier die natürlichen Gegebenheiten genutzt und die Burg um den Fels herum aufwärts strebend erbaut, wobei die Sandsteinwand als Rückmauer, Gewölbe und Decke fungierte. Aber das erfahre ich erst später.
Denn aktuell, nachdem ich ein paar Mal in die tiefstehende, goldene Sonne geblinzelt habe, die durch die Bäume leuchtet, schicke ich mich an, den Kräutergarten zu betreten. Da ist jemand, der die Pflanzen gießt, und er hat das Tor hinter sich zugezogen. „Kann man noch rein?“ Rufe ich ihm zu, mich auf Zehenspitzen streckend. „Ja.“ Sagt er und verweist mich auf einen „Kiosk“. Der Eintritt kostet sieben Euro.
Um es vorneweg zu nehmen: was mir im ersten Moment „viel“ erscheint, lohnt sich absolut. Gut, weiter im Text. Ich schleiche also in die angegebene Richtung. Im engen Vorraum empfängt mich eine Hexenkatze. Wie könnte ich es anders sagen. Wie sie da zwischen antikem Kram und Silberleuchtern sitzt und mich mit großen, gelben Augen anmiaut. Das Ganze allerdings hinter einer Glasscheibe. Ich komme näher, die Katze will gestreichelt werden. Vergeblich versucht sie, an meiner ausgestreckten Hand zu schnuppern und reibt sich am Glas.
Da kommt auch schon das Burgfräulein. Es ist die Dame, die das Kassenhäuschen bewacht. Sie macht mich auf den Stubentiger aufmerksam. „Ja, ich weiß.“ Sage ich. „Wir haben uns schon angefreundet.“ Ich zahle und bekomme eine letzte Führung für diesen Tag. Eigentlich „schließt“ die Burg um acht. Es ist neunzehn Uhr vierunddreißig und Kasia ist mal wieder auf den letzten Drücker unterwegs. Und hat mal wieder großes Glück.
Eine Burgführung
Zunächst bleiben wir an einem großen Brunnen stehen, der sich mitten in einem der Räume befindet. Praktisch sei es gewesen, erklärt mir der Burgführer; denn so war die Wasserversorgung auch während der Belagerungen gewährleistet. Und von diesen muss es genügend gegeben haben, denn die Ursprünge der Burg führen ins Jahr 1152, als sie zum ersten Mal unter Kaiser Barbarossa (König Friedrich der I) erwähnt wurde. Von einer Schenkung an das Hochstift Speyer war die Rede. Speyer belehnte die Burg an ein Rittergeschlecht und im folgenden Jahrhundert wurde sie als Raubritterburg bekannt und berüchtigt. Viele Herren und Geschlechter wechselten im Laufe der Jahrhunderte; davon zeugen die Wappen, die in fast jedem begehbaren Raum die Wände zieren (hier geht’s zur Geschichte der Burg). Von 1201 bis 1303 herrschte das Rittergeschlecht von Berwartstein, welches sich nach der Burg benannte. Unter Hans von Trotha, besser als Hans Trapp bekannt, galt sie als uneinnehmbar. Die Anlage wurde gestärkt und gefestigt.
Der Burgführer gießt einen Eimer Wasser in den Brunnen hinein. Es fällt. Und fällt. Es dauert, bis wir das erlösende „plantsch“ hören. Wie tief mag der Brunnen wohl sein, fragt er mich. Ich schätze, und er ist erstaunt. Denn ich verschätze mich um lediglich vier Meter.
Zerstört und aufgebaut
Den weiteren Weg nach oben gehe ich alleine. Der Burgführer verschwindet und überlässt mich meinen Mittelalterträumen. Auch wenn die Burg 1561 bei einem vom Blitzschlag verursachten Brand zerstört und 1893 von Theodor von Baginski, einen ostpreußischen Hauptmann erworben und nicht ganz originalgetreu wieder aufgebaut wurde, so merkt man erst beim zweiten Blick etwas davon. Von Baginski ließ die Burg nach seinen romantischen Vorstellungen nachbauen; für mein ungeübtes Auge fügt sich all das gut zusammen. So ist die Burg heute sowohl ein Gesamtkunstwerk als auch ein geschichtliches Zeugniss. Nach Beschädigungen durch Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg wurde die Anlage wieder instand gesetzt und ist heute im Privatbesitz der Familie Wadle.
Die unteren Räume beherbergen die in den Fels gehauenen Zimmer; hier befinden wir uns auf Bergniveau. Strichförmige Kratzspuren an den Wänden sind leicht erklärt. Sie stammen von Werkzeugen, die den weichen Sandstein bearbeitet haben. Rüstungen aus verschiedenen Epochen, bei denen ich mich kurz frage, ob sie „echt“ sind. Klein waren sie, die riesigen, gut gebauten Ritter jener Zeit. Wie klein wird dann wohl so ein Burgfräulein sein? Und andererseits fragten sich die Leute sicher bei meinem Anblick: was ist das für eine riesengroße Frau?
Ein Katapult unten im Hof und steinerne Kugeln hier oben; wie mir versichert wurde, nur ein Nachbau dessen, was man damals verwendet hatte. Auch das nachgebaute Katapult ist um rund ein Drittel kleiner. Die echte würde mit ihrer Größe den gesamten, kleinen Raum füllen. Daneben ein Folterraum, den ich zunächst nicht als solchen erkenne. Unspektakulär wirkt er, die Streckbank hätte ich glatt für eine Arbeitsplatte gehalten (welch Ironie, dass sie es in gewissem Sinne auch war). Ein (auch nicht ganz originalgetreu, dennoch sehenswert) nachgebautes Ritterzimmer. Hoch und höher führen mich die Treppen, vorbei an hölzernen Tischen, alten (?) Schränken und Truhen. Ein ums andere Mal führt der Weg hinaus aus der Burg auf einen spektakulären Aussichtspunkt, von wo man das ganze Dahner Felsenland sehen kann.
Ich genieße den Ausblick, nehme mir aber nicht allzu viel Zeit. Der Gedanke, dass da unten Menschen warten, die gerne Feierabend gemacht hätten, begleitet mich. Und irgendwann geht es sowieso nicht weiter; das wurde mir auch so erläutert. Geräuschvoll gehe ich die Treppen wieder runter und gelange über eine Seitentüre in den Burggarten. Den Ausgang zieren zwei steinerne Büsten, die schöne Mädchen zeigen. Und wer führt mich jetzt in die Unterwelt?
Die Unterwelt
Weitläufige Grotten und Gänge wurden unterhalb der Burg Berwartstein in den Fels gehauen. Von einer langen Röhre im Fels ist die Rede, die ich sogar entdecke. Sie ist auf natürlichem Wege entstanden, wurde von oben in den Sandstein gespült. Lange galt sie als einziger Zugang zur Burg. Ihre Wände waren glatt und eng, somit war dieser Zugang leicht zu verteidigen.
Wo die Natur keine Räume schaffte, wurde nachgeholfen. Eine Beschilderung führt mich zu dem unterirdischen System. Es ist dunkel und sofort wird es um einige Grad kühler. Wachsreste sind da zu sehen, wo noch ein wenig Licht von draußen dringt. Ich könnte schwören, dass mir eine weiße Dame folgt, während ich durch die Verliese geistere. Hier und dort spendet eine fast abgebrannte Kerze einen kleinen Lichtkegel. Es wird vermutet, dass es früher sogar einen unterirdischen, inzwischen zerstörten Gang zur Außenanlage Klein-Frankreich gegeben haben soll, um sich unbemerkt zwischen der Hauptburg und der Vorburg bewegen zu können.
Ich könnte schwören, dass mir eine weiße Dame folgt.
An einer Stelle, wo der Raum sich weitet und in der Mitte von einer stehen gelassenen Steinsäule gehalten wird, lese ich folgende Widmung: „Hier stand mal ein geiziger Besucher, die dem Burgführer kein Trinkgeld gegeben hatte.“
Die „weiße Dame“ entpuppt sich als eine der Mädchen aus dem Biergarten, die hier nach dem Rechten sieht. Ich verlasse die Kellerräume, trete blinzelnd ins Abendlicht und suche den Burgführer auf, um ihm Trinkgeld zu geben und somit meinen unbehelligten Abzug zu gewährleisten.
Waldfriedhof am Fuße der Burg
Bei etwas mehr Zeit bei Tageslicht gibt es hier, im Dahner Felsenland, einiges zu erwandern und zu entdecken. Felsen in unterschiedlichen Größen und Formen, die meist erklettert oder über eine Treppe/Leiter erreicht werden können. Doch heute haben es mir Friedhöfe angetan. Noch eher ich die Burg erreiche, stoße ich auf einen kleinen Waldfriedhof. Klein, da im Schatten hoher Bäume an einem Hang und von einem Jägerzaun umgeben nur drei Grabsteine zu sehen sind. Einer ist der Grabstein des Theodor von Baginski, auch Hauptmann Hoffman genannt.
Theodor von Baginski hatte die zerstörte Burg Berwartstein 1896 erworben und wieder aufgebaut. Er gilt als der Gründer von Bad Salzig, da er dort 1901-1902 die ersten Quellen bohren und erschließen und ein Badehaus einrichten ließ. Die Gründung des Kurortes trieb ihn in den finanziellen Ruin. Dazu führte auch die Hinterlist seiner Geschäftspartner, die ihn um sein in das Projekt investierte Vermögen brachten. Hoffmann musste die Burg Berwartstein verkaufen, erstritt sich aber ein lebenslanges Wohnrecht. Nun ruht er zur Fuße auf einem kleinen Waldfriedhof begraben.
Wer tiefer in die tragische Lebensgeschichte des Theodor von Baginski einsteigen möchte, dem empfehle ich den Artikel von lilo-hagen.de.
Ehrenfriedhof Erlenbach bei Dahn
Später dann, als ich den Ort fast schon verlassen habe, bleibe ich kurz am Soldatenfriedhof stehen. Kleine, klobige Militärkreuze und einfache Tafeln markieren, falls bekannt, Namen, Geburts- und Sterbedaten der Männer; die meisten von ihnen sind nur um die zwanzig geworden. Sie fielen im Zweiten Weltkrieg, als der Ort Erlenbach bei Dahn vor den heranrückenden „Feinden“ angegriffen wurde. So zumindest die ausgehängte Information, die von „gefallenen Helden“ spricht. Lange halte ich mich hier nicht auf. Es tut mir ausdrücklich um jeden gefallenen Soldaten leid, egal in welchem sinnbefreiten Krieg. Doch es geht mir zu weit, in diesem Zusammenhang von „Helden“ zu sprechen. Vor allem, wenn man auf der Seite eines Aggressors gekämpft hat.
Eine Spazierrunde durch den Ort, die eigentlich eine Wanderung hätte werden sollen, lenkt ab. Störche auf den Feldern, die im Schutze des Abends nach Fressbaren suchen. Menschen, die gerade ihren Feierabendbeschäftigungen nachgehen. Von wachenden Hunden angebellt werden. Alte, ausgeschlachtete Fahrzeuge. Meine Möchtegern-Wanderung beende ich vorzeitig mit Blick auf den Himmel. Es wird gleich dunkel. Es wird Zeit.
Ha! Da habe ich doch tatsächlich zuerst „Meuchelheim“ gelesen 🤣. Vielleicht sollte ich weniger Krimis lesen. Doch jetzt mal im Ernst: da biste ja wahrlich durch ein Vorzeige-Dörfchen in der Pfalz gefahren. Das hätte mir auch gefallen. Ein Glas Wein inklusive!
Ja, die Pfalz wirft mit Burgen, ob gut erhalten oder in Ruinenform, geradezu verschwenderisch um sich. Da hat man die Qual der Wahl. Und du ein Riesenglück, dass du es auf den letzten Drücker noch zu einer Führung gebracht hast. Zwar wurde insgesamt aus der geplanten Wanderung „nur“ ein Spaziergang, aber der hat sich doch voll und ganz gelohnt!
Die Südpfalz wirft auch mit vielen Wanderwegen und irrsinnig großen Felsen um sich. Und ein kleines Vögelchen hat heute gezwitschert, dass wir bald dahin ziehen werden… dann werde ich die Wanderschuhe gar nicht mehr ausziehen 😉
Oh, echt? Du wirst deiner großen Liebe Monnem untreu und ziehst aufs Land? In der Südpfalz kannst du die Wanderschuhe tatsächlich dauerhaft anbehalten 😎.
Monnem ist toll und ich werde es arg vermissen. Aber mal ehrlich, mit den Preisen für eine Zweizimmerwohnung mietest du dir woanders ein ganzes Schloss. Na gut, nicht ganz, aber wir bezahlen pro Nase zukünftig in etwa das Gleiche, für zwei Drittel mehr Wohnfläche 🙂 Da wird man auch mal untreu
Ja, das ist natürlich ein schlagkräftiges Argument! Kann ich gut nachvollziehen. Du kannst Monnem ja jederzeit heimlich, still und leise einen Besuch abstatten.
Wenn mir die Pfälzer Küche zum Hals raushängt und ich einen ordinären, aber richtig guten Döner will 😉
😁
Hallo Kasia,
die Burg Berwartstein ist von einer schönen Landschaft umgeben. Ich finde es toll, dass dir die Burginhaber den Besuch ermöglicht haben, obwohl es schon sehr spät war. Ein Tipp: Besuche mal den Drachenfels. Der ist 24/7 offen und bietet viele Klettermöglichkeiten und schöne Aussichten.
Liebe Grüße Harald
Danke für den Tipp. Wie gut, dass ich schon bald öfter Gelegenheit haben werde, dort in der Gegend auf Erkundung zu gehen 😉
DAS könnte mir gefallen: auf einer schicken Burg wohnen. Dazu noch mit Gastronomie und tollem Biergarten – da ist ja jeder Tag schon Urlaub. Im Sommer braucht man bei den dicken Gemäuern keine Klima-Anlage und störende Nachbarn gibt’s auch nicht. Und wenn einer anklopft und nervt – wozu gibt es das gute alte Burg-Verlies. 3 Tage in Ketten und der wird sich überlegen ob er sich noch mal über laute Musik beschwert.. 🙂
Im Winter – naja, da muss man wohl ein paar Socken übereinander anziehen, aber sonst ist das Coolness-Faktor 100%. Schön dass die dort wohnende Familie das Teil so toll in Schuss hält, hätte direkt Spaß mir das Teil mal anzuschauen..
Bis die Tage
CU
P.
Es gibt nicht nur das Verlies. Wenn es unter den nervenden Nachbarn Wiederholungstäter gibt, denk an den Brunnen, von dem niemand so wirklich weiß, wie tief der ist… 😉
Die Familie hält die Burg schön instand, so hat die Öffentlichkeit was davon. Tagsüber veranstalten sie verschiedene Events, die vor allem für Kinder spannend sind. Du magst doch Kinder, oder habe ich mir da was falsch gemerkt? 😉
Ach, .. in Wirklichkeit habe ich nix gegen die kleinen Kacker.. ich mache nur immer einen auf brummeligen Opa damit Sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen, dass ich mit denen spielen will oder das kaputte Spielzeug reparieren.. 😉
Das versuche ich auch immer, aber anscheinend haben es die Kids am liebsten, wenn man sie in Ruhe lässt und kommen dann erst recht auf einen zu (womit habe ich das verdient, heul…)
Ich bin ein großer Fan dieser Art alter Schlösser! Wenn ich neben dem mittelalterlichen Interieur auch die gemütlichen Terrassen sehe, würde ich dort gerne ein schönes Glas Wein genießen, Kasia 😉
Das kannst du mit Sicherheit,, die alten Schlösser lassen sich besichtigen und Wein gibt es im romantischen Biergarten 😉 Es gibt faszinierende Orte hier in Rheinland-Pfalz 🙂