Afrika, Senegal

Lac Rose – nicht ganz rosé

Uns erwartet eine längere Autofahrt zum Lac Rose, der nicht mehr rosé ist. Diese gibt mir die Gelegenheit für – wie Elke so schön sagt – „Sozialstudien“. Wer sind die Menschen außerhalb von Dakar? Was tun sie den lieben Tag lang? Wie leben sie?

Und da sich alles Leben vorwiegend am Straßenrand abspielt, bekomme ich allerlei zu sehen. Handwerker, Werkstätten, Märkte, die am staubigen Fenster vorbeiziehen wie ein bunter Kaleidoskop. Dann diese lustigen Pferde- oder Eselskarren, flach, mit nur zwei Rädern und einer Achse, die als universelles Trag- und Transportmittel dienen. Sie werden genutzt, um Lasten wie Säcke und Holz zu transportieren, aber auch Einzelne Menschen oder Menschengruppen von A nach B zu befördern. In Senegal nennt man sie als Kaleschen. Das Geschirr der Pferde ist oft farbig verziert, doch nach einiger Zeit verlieren sich die Farben, blättern ab, bleichen aus und werden vom allgegenwärtigen Staub verdeckt. Vieles hier erinnert mich an Kathmandu, doch nicht alles. Nicht die Menschen. In Nepal habe ich mein Herz an die Menschen verloren, hier ahne ich, dass der Senegal es mir schwer machen wird.

Stefan nutzt die Zeit im Auto auf seine Weise und schläft fast durchgehend. Das ist gut machbar, denn die Straßen im Land sind ausgezeichnet. Über eine glatte Fahrbahn fährt es sich schneller, man muss nur aufpassen, dass man nicht eines der Hühner oder Kühe am Straßenrand zum Omelette macht. Für mich ist an Schlaf kaum zu denken. Das Leben zieht am Autofenster vorbei. Bunte Trucks kommen uns entgegen, Rinderherden werden über die Straße getrieben. Markt- und Verkaufsstände reihen sich entlang der Hauptroute, übergroße Wassermelonen, Bananen, Hülsenfrüchte werden veräußert. Bunt sind diese Märkte, überall sind Menschen unterwegs. Handgemalte Darstellungen auf Häusern und Hütten zeigen, wo es frisches Gebäck, ein Mittagessen oder einen Friseur gibt. Auf Planen liegt auf dem Boden in der Sonne frisch gefangener Fisch.

Frauen in extrem eleganter Kleidung oder leuchtend roten oder gelben Schleiern flanieren am Wegesrand entlang, Körbe und Gefäße auf dem Kopf. Senegal definiert die muslimische Mode für sich neu, und wie unser Guide sagt, wurde der elegante Kleidungsstil noch zur Zeiten der französischen Kolonialzeit übernommen und wird weiterhin lebendig gehalten.

Es wird viel gebaut. Ich weiß, ich habe dies schon an einigen Stellen erwähnt, doch außerhalb von Dakar verstärkt sich dieser Eindruck noch. Es wird verdammt viel gebaut. Neue Häuser entstehen, alte, unfertige Neubauten warten auf eine weitere Kapitalspritzen. Zerbeulte Lastwagen transportieren Sand, Zementmischer stehen im Freien. Und so gut die Hauptwege ausgebaut sind, so wenig trifft es auf die Nebenstraßen zu. Alles, was nicht dem Transport von Waren und der Fortbewegung von A nach B dient, wird schlicht nicht asphaltiert. Die buchstäblich links liegen gelassenen Bereiche sind unbefestigt und sandig.

Die ungewöhnlich vielen Regenfälle in diesem Jahr haben Folgen. Noch lange, ehe wir uns dem Retba See nähern, sehen wir weitflächig überschwemmtes Terrain. Neubauten und ganze Felder stehen unter Wasser und Schlamm, Fundamente nässen ein, der Boden ist weich. „Hier kann nichts mehr gebaut werden.“ Sagt Mamadou. Die Menschen, die hier investiert hatten, haben ihr Geld mehr oder weniger in Sand gesetzt (wobei das nicht passt, da Sand heute ein gefragter Rohrstoff ist.).

 

Retba See

Lac Rose, nicht mehr ganz rosé. Es ist kein Geheimnis, dass Senegal um eine seiner wertvollsten touristischen Sehenswürdigkeiten bangt. Der berühmte Retba See, ein salzhaltiger See 35 Kilometer nordöstlich von Dakar, wird aufgrund seiner Färbung als der „Rosa See“ bezeichnet. Sein Wasser weist einen höheren Salzgehalt auf als das Tote Meer. Doch der Retba See verliert seine Farbe. Überdurchschnittlich viele Regenfälle im September 2022 haben dazu geführt, dass sich überschüssiges Wasser im See angesammelt hatte und der Wasserspiegel stieg. Sogar Fische lebten zwischendrin durch den Zufluss an Süßwasser im See, die nun tot bäuchlings auf der Oberfläche treiben.

Die einzigartige Färbung ist vorerst verschwunden. Nun liegt der See blaugrau und verlassen vor uns – der Tourismus ist noch nicht vollständig nach Senegal zurückgekehrt. Und kaum ein Guide nimmt den Schlenker auf sich, wenn es für seine Schützlinge nichts zu sehen gibt.

Keiner außer Mamadou. Unser Reiseleiter hatte für uns eine Bootsfahrt über den Lac (Nicht)Rose gebucht.

Und ganz so aussichtslos ist die Sache nicht, denn es wird bereits auf Hochtouren gearbeitet, um dem Naturwahrzeichen Senegals seine Farbe wieder zu geben. Überschüssiges Wasser soll abgepumpt werden, der Rest ist eine Frage der Zeit. Laut Technikern soll der Retba See bereits bis Februar seine rosa Färbung zurück erhalten haben.

Viele Anbieter von lokalen Ausflügen nehmen den See zur Zeit aus dem Programm. Doch noch immer wird hier Salz aufgebaut, der in mittelgroßen, weißen Stapeln in der Sonne bleicht. Bleich flattern auch die Senegal-Flaggen auf langen Stangen im Wind, und bereits überflutete Strandhütten und Stege zeigen an, wo sich der See einst befand und wie weit er gewandert ist. All die verlassenen Zeichen des Tourismus, der zur wichtigsten Einnahmequelle der Region wurde und der vorerst verloren scheint. „No stress.“ Befinden handgemalte Aufschriften auf den in Senegalfarben gestrichenen Booten. No stress, wird alles wieder.

Als wir uns nähern, sind wir die einzigen Touristen weit und breit. Sofort umringen ein paar vorwitzige Jungs unser Fahrzeug. Da die Kinder überall umher wuseln, vergewissere ich mich nochmals, dass der Wagen auch wirklich abgeschlossen ist, ehe wir uns zu den Booten begeben. Doch unser Fahrer Ibrahim hat die Sache im Griff und den Wagenschlüssel immer bei sich.

Unser Boot wartet bereits auf uns. Der Fahrer hilft uns beim Einsteigen – eine wackelige Angelegenheit – und mit einem langem Stock, der in den Boden gerammt wird, bringt er die schwimmende Untertasse in Bewegung. Während die kleine Piroge vom Ufer ablegt und ihre ruhigen Kreise über das Wasser zieht, gibt Mamadou einige Erläuterungen zum Salzabbau zum Besten. Vergeblich strenge ich meine Augen an, um zumindest ein wenig Rosa unter mir und um mich herum zu erspähen, doch vergeblich. Doch ich bin nicht enttäuscht, ich wusste im Vorfeld um den Zustand des Sees.

Das Salz aus dem See, so Mamadou, wird mit Booten und langen Holzstöcken in der Tiefe herausgestampft und anschließend nach oben befördert. Natursalz ist dunkel, seine weiße Farbe erhält es erst durch Sonne und Luft. Leichter Schaum wabert vereinzelt über der Wasseroberfläche. Früher, so Mamadou mit leuchtenden Augen – als der Salzgehalt des Wassers entsprechend hoch war, da waren die Ufer voller weißen Schaum wie nach einem Schneefall. „Man nannte das Phänomen auch den ‚Schnee von Lac Rose'“.

 

Rallye Dakar

Am Ufer des Retba Sees haben Senegalesen ein Denkmal errichtet. Er ist der Rallye Dakar gewidmet, dem Rallye Raid Langstrecken-Wüstenrennen, das bis 2007 hauptsächlich auf afrikanischem Boden ausgetragen wurde. Die Strecke der allerersten Rallye, gegründet und organisiert von Thierry Sabine und der Thierry Sabine Organisation, begann am 26 Dezember 1978 in Paris und endete am 14 Januar 1979 in Dakar. Dieses erste, legendäre Rennen wurde Rallye Paris-Dakar genannt, später im Laufe weiterer Wettbewerbe in Rallye Dakar abgekürzt.

Im Jahr 2008 fand die Rallye zum ersten Mal nicht statt. Die französischen Behörden berichteten von akuter Terrorismusgefahr und sprachen eine dringende Reisewarnung für die französischen Staatsbürger aus. Es fanden Mordanschläge auf  französische Touristen und ein Überfall auf französische Soldaten statt, später gab es eine akute Anschlagsdrohung gegen die Rallye selbst. In den Folgejahren trug sich das Rennen in Südamerika aus, seit 2020 findet es in Saudi Arabien statt. Nach Afrika kehrte es seitdem nie zurück. Auch der Veranstalter ist jetzt ein anderer: die A.S.O (Amaury Sport Organisation), die auch Organisator der Tour de France ist.

Thierry Sabine selbst lebte wie er starb, und zwar nach seinem Motto: „Wenn das Leben langweilig wird, riskiere es!“ Zu der Rallye hatte ihn ein Rennen in der Wüste von Libyen inspiriert, als er sich dort mit dem Motorrad verirrte. Er starb bei einem Hubschrauberabsturz während einer Rallye Dakar 1986.

Die Veranstaltung der Rallye kostete enorme Summen, spülte natürlich auch Geld in die Region. Bis zu einer Million Menschen hatten sich früher versammelt, um den Verlauf des Rennens zu verfolgen, weiß Mamadou zu berichten (wobei wir im Verlauf der Reise feststellen sollen, dass die Zahlenangaben unseres Guides mit einem „maybe“ zu versehen sind…). Nach dem Ende des Wüstenrennens in Afrika sorgte der Lac Rose für Touristenzahlen. Als nun auch diese Attraktion ausgefallen ist, fielen mit ihr zusammen Verdienstmöglichkeiten für Menschen aus, die sich vollständig auf den Tourismus eingestellt hatten. Viele hocken noch immer in ihren Shops und warten auf die vereinzelten Besucher, die sich hierher verirren. Oder sie kreisen um den Lac Rose mit ihren Körben auf dem Kopf, wie diese nette, aber hartnäckige Verkäuferin in langen, bunten Kleidern, die in ihrem Korb Halsketten und Armbänder aus vielfarbigen Glasperlen zu verkaufen versucht.

Wir steigen in den Wagen und fahren zum nächsten Dorf. Der „Ort“ am Ufer des Retba Sees besteht hauptsächlich aus Verkaufsständen, die um einen größeren Platz herum organisiert sind. Hier stellen wir das Auto ab und Mamadou faltet eine große Landkarte auseinander. Kinder wuseln um uns herum und fragen nach Geld, das geht solange, bis unser Guide sie schließlich wegschickt. Immer wieder werden wir angesprochen, sich mal in dem einen oder anderen Shop umzusehen, eine Mischung aus Resignation, determinierter Verzweiflung und aufkeimender Hoffnung bei unserem Anblick. Als trügen wir die Last der Ernährung dieser Menschen auf unseren Schultern (macht das irgendwie Sinn?).

Der Wasserspiegel ist nun gesunken, doch Spuren an Häusern und Hütten zeigen, wie weit das Wasser in den kleinen Ort eingedrungen ist. Zu einem nicht geringem Teil ihrer Häuser – die vermutlich nicht mehr als solche genutzt werden – kommen die Bewohner mithilfe von Booten hin.

„Hier fahren wir nun weiter.“ Der Finger wandert entlang der Route, während Wind an den Rändern der Karte zerrt. „Zur Lompoul Wüste. Dort werden wir in Zelten übernachten.“ Bereits heute morgen haben wir umgepackt; für den Wüstensand sind Rollkoffer keine Option. Leichtes Gepäck ist angesagt, alles, was für eine Übernachtung reichen muss, passt in einem Rucksack. Die Faltkarte verschwindet in Mamadous Taschen und wir fahren weiter, zu unserer nächsten Senegal-Etappe: Abenteuer Wüste.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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6 Kommentare

  1. Oh, auf einer solchen Fahrt hätte ich meine Nase sicher auch nicht mehr von der Scheibe wegbewegt. Das pralle Leben draußen, serviert am Straßenrand. Großartig! Dass du keinen so guten Zugang zu den Menschen wie in Nepal bekommen hast, lag sicher auch an dem schon erwähnten Sprachproblem. Oder spielten da eher Mentalitätsgründe eine Rolle? Schade, dass der rosa See zu der Zeit, als ihr da wart, so in Mitleidenschaft gezogen war. Wollen wir mal hoffen, dass das Gewässer sich in absehbarer Zeit wieder erholt oder schon erholt hat. Eure Reise ist ja jetzt schon wieder fünf Monate her. Auf die Wüste bin ich gespannt!

    1. Was den Zugang zu den Menschen betrifft, das hatte nichts mit der Sprache zu tun. Es war ein Bisschen so: freundlich waren die Händler, damit man was kaufte, und Leute, die uns nichts verkaufen wollte, wollten im Großen und Ganzen ihre Ruhe (Mimik, Gestik…). Leider war es so, dass wenn jemand freundlich war, er (bis auf wenige Ausnahmen) 1. entweder in der Tourismusbranche arbeitete, 2. Händler war, 3. sonst auf irgend eine Art und Weise was wollte. Da kann man nichts machen, nicht überall kann es wie in Nepal sein 😉

      1. Ja, wenn man als Besucher nur als Portemonnaie auf zwei Beinen betrachtet wird, wird’s schwierig mit dem Zugang.

        1. Der Eindruck hat sich gegen Ende der Reise gebessert, wir haben coole Jungs am Strand von Sally getroffen, die uns täglich spottbillig mit Kaffee versorgten und mit uns gemeinsam einen German Coffee… aber ich greife vor 😉

  2. Vielen Dank für diesen interessanten Bericht. Es ist seltsam zu lesen, dass in einem Land, in dem es normalerweise Dürre gibt, an vielen Orten jetzt alles überschwemmt ist (oder war).

    1. Das hat uns auch überrascht. Dass der Lake Rose seine Farbe verliert, hatte ich im Vorfeld irgendwo am Rande mal gelesen, da war die Überraschung dann doch nicht so groß. Laut Vorhersagen müsste es aber wieder rosa aussehen.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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