Saudi Arabien, 31.12.2021
Unser Bus bringt uns weiter nach Duba, einen Küstenort am Rotem Meer, dessen Vergangenheit und Entstehung in der Fischerei und im Perlentauchen begründet ist. Die Fischerei spielt in Duba weiterhin eine große Rolle; so besuchen wir einen örtlichen Fischmarkt und flanieren an der bis dato touristisch vollkommen unentdeckten Promenade. Hier ist noch alles so ursprünglich wie es in all den anderen, bereits erschlossenen Küstenortschaften vor langer Zeit mal war, lange bevor Cafés und Bars und Strandstände mit Nippes Einzug erhielten.
Duba, die unentdeckte Promenade
Die Hafenstadt Duba begrüßt uns mit Palmen. Die 22000 Einwohner zählende Stadt ist mit ihrer Lage am Rotem Meer ein vollkommener Kontrast zu dem, was wir bis dato im Wadi erlebten. Keine schroffen Berge mehr, stattdessen frischer Fisch an Straßenständen, ebenso wie frische Datteln, die von dunkelhäutigen Jungs verkauft werden. Festvertäute Boote schaukeln am Ufer im Wasser, von den Rümpfen blättert in der Sonne verblasste Farbe ab. Fischer bringen kistenweise frischen Fang zum örtlichen Markt. Das Glitzern der Sonne auf der tanzenden Wasseroberfläche, die fröhlich bunten Farben der Boote. Welch malerisches Bild für die Augen. Duba am Roten Meer trägt etwas entspanntes in sich, als wenn die Zeit hier langsamer vergehen würde.
Zu eben jenem Fischmarkt begeben wir uns jetzt, folgen den beiden Männern mit ihren Kisten voller rosaroter Rotbrasse. Es gibt hier vieles zu sehen, allerdings nichts, was sich ohne weiteres kaufen ließe. Denn die vielen Geschenke des Meeres, auf Eis gekühlt, wollen fachgerecht zubereitet werden. Entspannt lehnen die Verkäufer in ihren Plastikstühlen, der eine oder andere mit seinem Handy am Ohr. Sie wissen, dass diese Heuschrecken, die hier hereinstürmen und viele Bilder machen, nichts kaufen werden, aber das ist okay. Wir dürfen uns umsehen, so viel wie wir wollen. Ab und zu wechselt ein Schein den Besitzer und abgewogener Fisch wird in Plastiktüten gepackt.
Etwas kaufe ich aber doch; ich nehme einen großen, abgefühlten Beutel Fischgewürz für Stefan mit. Da mein Stefan gerne kocht und ich hingegen eher der… hm… VERKOSTER bin, spekuliere ich darauf, irgendwann mal ein arabisches Fischgericht kredenzt zu bekommen.
Duba ist entspannt, sehr entspannt. Und wir sind es auch. Wir schlendern an der unberührten Promenade entlang, mit Blick auf die schaukelnden, bunten Boote und eine sandgoldene, anmutige Moschee im Hintergrund. Warum ich hierbei von „unberührt“ spreche? Der Grund ist ganz einfach. Duba verfügt noch nicht über all das, was einen touristisch frequentierten Ort ausmacht. Es gibt weder Restaurants am Wasser noch irgendwelche Stände mit irgendwelchem Tand. Nicht einmal Toilettenhäuschen sind vorhanden. Und wisst ihr was? Das ist auch gut so. Niemand will uns etwas verkaufen; nein, es ist egal, was wir hier erstehen oder auch nicht. Die Menschen leben ihr Leben, gehen ihrem Alltag nach. Wir sind nur Gäste, nur Beobachter, dürfen nur zuschauen, weiter nichts. Momentan gehen von Duba aus Fährverbindungen nach Jordanien und Ägypten, aber das wars dann auch. Hoffentlich vergeht noch eine lange Zeit, bis die Infrastruktur auf uns ausgerichtet wird.
„Schön hier.“ Sagt Marco zu einem der Mitreisenden. Hinter den beiden gehend schnappe ich Fetzen der Unterhaltung auf. „Aber was fehlt, sind ein paar Dinge wie Cafes, Geschäfte… dann wäre das eine richtig tolle Promenade.“ Folgert Marco und bekundet, in diesem von der Welt (noch) vergessenem Ort touristisches Potential zu sehen. Ich bin wütend. So seid ihr alle, denke ich mir. Ihr touristischen Agenturen kommt irgendwohin, an unberührte Orte wie diesen und wollt sie… zerstören, indem ihr sie zu dem macht, was ihr unter „touristischem Potential“ versteht. Ja, stellt ruhig mal ein paar Buden mit Snacks hin, vielleicht noch ein paar Strandliegen, Sonnenschirme, einen Starbucks… und dann unterscheidet sich die Promenade von Duba mit nichts mehr von jedem anderen Küstenort dieser Welt, die mit dem, was sie zu bieten haben, wie geklont daherkommen, egal ob das nun die Kanaren, die Balearen, die Türkei oder ein anderer Spot sonst wo auf der Welt ist. Alles wird nach und nach angeglichen, wird homogen – das ist nicht der Grund, warum ich an solche Orte reise.
Doch mir ist auch bewusst, die Zukunft lässt sich nicht aufhalten. Für die touristische Entwicklung wird Saudi Arabien selbst sorgen. Uns bleibt nichts anderes übrig als die Wandlung zu beobachten. Und, fairerweise gestanden, ohne diese Wandlung hätte es kein geöffnetes Königreich; hätte es mich hier an diesem Ort nicht gegeben.
Das jemenitische Fischrestaurant
Den Fisch, welchen wir heute Mittag am Hafen von Duba begutachten konnten, dürfen wir nun verköstigen. Der Bus bringt uns zu einem Fischlokal, dem Blue Fish, wie ich später erfahren soll (meine Kenntnisse der arabischen Schrift beschränken sich zu diesem Zeitpunkt auf „nicht vorhanden“).
Die Einrichtung des Lokals ist, wie oft bei solchen Lokalitäten beobachtet, spartanisch. Doch alles Nötige ist vorhanden, inklusive eines Waschbecken für die Hände und eines nach Orangen duftenden Tonikums, von jener Sorte, wie sie in Arabien und der Türkei zum Einreiben der Hände nach dem Waschen verwendet werden.
Das wichtigste von allem sind die Düfte, die sich aus der einsehbaren Küche ausbreiten. Der Fisch wird frisch für uns zubereitet und schwebt schließlich auf einer obligatorisch riesigen Portion Reis zu uns herein. Wir haben am großen Tisch rundum Platz genommen, Marco verteilt Softdrinks. Unter Begeisterung aller werden knusprig gegrillte Fischstücke, gar ganze Fische aus dem Reis gefischt und auf Teller verteilt. Sieht man einmal von der großen Menge an Gräten ab, so schmeckt es köstlich. Ich habe keine Ahnung, was ich da gerade esse, bin aber noch nie ein Experte der Meeresfauna am Roten Meer gewesen. Wird man mich später fragen, so war es eines der leckersten Mahlzeiten, welche ich während dieser Reise zu mir genommen hatte.
Dann geschieht etwas. Vorhersehbar zwar zu dieser Uhrzeit, doch manch einer wird davon doch kalt erwischt: der Muezzin ruft zum Gebet.
Jetzt wäre der Gebetsruf an sich nichts, was uns als Auswärtige direkt betrifft. Eigentlich. Wäre da nicht die gesetzliche Bestimmung in diesem Land, dass zu den Gebetszeiten alles Leben draußen und drinnen zu ruhen habe. Wie bereits auf dem Souk in Riad gesehen werden auch hier die Bürgersteige hochgeklappt, das Restaurant provisorisch verschlossen. Natürlich nimmt uns niemand unseren vollen Essensteller vor der Nase weg, und auch im Inneren des Lokals sehen wir keine Betenden auf Teppichen knien. Das Leben geht normal weiter, nur muss dem religiösen Ruf Respekt gezollt – und, wenn man ehrlich sein möchte, auch der Schein gewahrt werden.
Essend werden wir also im Restaurant eingeschlossen – bis auf Stefan, der draußen seine Zigarette raucht und nicht weiß, wie ihm geschieht. Ich höre ihn draußen kurz diskutieren, dann wird der Paravent an der Tür kurz zur Seite geschoben und ein leicht überraschter Stefan schlüpft herein.
Ein schöner, dunkler Sonnenuntergang, untermalt von tiefem Orange, erwartet uns draußen. Kurz bleiben wir noch vor dem Lokal stehen, ehe wir langsam zum Bus schlendern. Die Tage hier in Saudi Arabien vergehen wie im Flug, die Weihnachtszeit und die Zeit danach blende ich in diesen Tagen völlig aus. Nur hin und wieder erreicht mich der Gedanke, dass hier mal der erste Weihnachtstag ist (was habe ich da gemacht? Es war der erste Tag, die Ankunft in Riad). Dass dort zu Hause der zweite Weihnachtstag gefeiert wird. Denn dies spielt hier so gar keine Rolle und auch ich vermisse sie nicht, die Weihnachtszeit. Sie ist weg, weit weg und nicht existent. Sie fehlt mir nicht.
Heute freilich, heute ist Silvester. Und auch daran hätte ich nicht gedacht, doch einer unserer Guides, Wasim, hat sich für uns etwas einfallen lassen. Es gibt auf dem Hotelzimmer einen kleinen, alkoholfreien Umtrunk. Gemeinsam stoßen wir an, und für einen kurzen Augenblick stellt sich so etwas wie Verbundenheit ein. Marco fragt uns der Reihe nach, welche Reisepläne wir noch für das kommende Jahr in uns tragen. In diesem Augenblick schleicht sich bei uns beiden, bei Stefan und mir, ein verrückter Gedanke in die hintersten Windungen unseres Hirns. Was, wenn das nicht unser letzter Besuch hier in Saudi Arabien wäre? Was, wenn wir wiederkämen? Schon bald? Ein undeutlicher Plan nimmt langsam Gestalt an.
Duba mit seiner noch unverfälschten Szenerie gefällt mir sehr! Deine Fotos unterstreichen noch deinen Text dazu. Witzig finde ich, dass ihr in dem Restaurant echt eingeschlossen wurdet. Stefans verdutzte Miene draußen vor der Tür hätte ich gerne gesehen 😅.
Ja, wenn gebetet wird, dann wird halt gebetet (oder zumindest der Schein gewahrt…) Sie haben ihn ja noch rein gelassen, aber er hatte wohl kaum damit gerechnet, dass man ihm die Tür vor der Nase zuschlägt 😉
Hi Kasia,
bei dem langen Steg mit dem Häuschen am Ende muss ich direkt ans englische Brighton denken. War dort mal, weil wir für das BBC eine Halle ausstatten mussten. Dort wurde aber nicht der Betrieb eingestellt, wenn ein Lied der Spice Girls ertönte – die damals durchaus fanatische (aber nicht zwingendermaßen religiöse) Anhänger hatten.
Bei solchen Szenarien merkt man dann wohl auch relativ schnell, dass da eben doch 2 komplett unterschiedliche Kultur – und Glaubenskreise aufeinander prallen..
Es ist immer spannend, wenn zwei so unterschiedliche Kulturkreise zusammen kommen. Ich genieße den Kontakt mit Menschen, die so anders denken als ich, die aber andererseits so gastfreundlich sind. Andererseits, das gebe ich zu, könnte ich nie dort leben und bin happy, wieder in meine Welt zurück kehren zu können.
Spice Girls, ach ja, das war ja meine Jugend… Dass du dich überhaupt daran erinnerst? 😉
Ich bin ja sonst kein großer Freund von Fisch, aber das sieht sehr lecker aus.
Das war wirklich köstlich. Ich mag Fisch, er muss aber frisch und richtig zubereitet sein. Mit dem, was man hierzulande bekommt (Nordseeküste ausgenommen), kann man mich jagen… 😉
Hier im Süden ist es noch schwieriger. Fast die ganze Ware ist gefroren/getaut. Fisch kommt daher für mich (fast) nur im Urlaub in Frage.
Wie jetzt, ist die Zeitverschiebung so groß, dass dort schon Weihnachten ist? Erstaunlich…;-)
Lach, nein mein lieber Sinnlosreisender, du hast mit mir eine Zeitreise rückwärts in das Jahr 2021 absolviert. Tja, hättest nicht gedacht, dass es so schnell gehen kann? 😉
Oh, das mit der Fähre ist eine wichtige Information für mich Öko, der ich versuche, weitestgehend ohne Flugzeug um die Welt zu kommen.
Ich fand das auch immer toll, wenn ich um den Jahreswechsel im Nahen Osten war und Weihnachten und Neujahr komplett vergessen konnte.
Ich muss sagen, inzwischen fehlt mir die Weihnachtszeit zu Hause. Auf der anderen Seite sind die freien Tage ideal, um in potentiell heiße Regionen zu reisen. Und doch habe ich Weihnachten zu Hause während der Pandemie sehr genossen.
Ich hingegen bin – wie fast alle Menschen aus kaputten Patchworkfamilien – ein absoluter Weihnachtshasser.
Einmal, es war im Libanon – https://andreas-moser.blog/2020/08/11/beirut/ – war ich richtig schockiert, dass man dort auch Weihnachten feiert, als ich mich vor diesem ganzen Tannenbaumgedöns verstecken wollte. Aber wenn es warm ist und nicht schneit und der Muezzin ruft, dann kann ich es besser ignorieren.
Ein Reiseziel, das so viele schöne Eindrücke hinterlässt…. da muss man doch mal wieder hin 😉
Ja, der Plan existierte tatsächlich, doch irgendwann stellten wir fest, dass wir doch noch an einen neuen Ort reisen wollten und sind anschließend in Mai in Lanzarote gelandet. Saudi Arabien, ja, vielleicht doch nochmal, irgendwann. Vielleicht, wenn Neom fertig ist 😉