Asien, Saudi-Arabien

Mit dem Jeep durch Wadi al Disah

Dies ist wohl eines der schönsten Orte in Saudi Arabien: das Tal Wadi al Disah. Eine im Fels tief gefräste Schlucht, von Palmen gesäumt, grün und üppig wie der Garten Eden. Mitten hindurch schlängelt sich ein Fluss, ein kristallklarer Rinnsal, stellenweise bereits trocken. Dann taucht er wieder auf, so dass wir jauchzend und quietschend hindurch fahren können. Wasser spritzt unter den Reifen unserer Jeeps. Stimmen hallen von den hohen, nadelspitzen Felsen durch das Tal zu uns hinunter. Rufe begleiten uns. Sie gehören den jungen Saudis, die ihre freie Zeit hier an diesem Ort verbringen. Im Schneidersitz auf Felsenvorsprüngen winken sie uns zu. „Willkommen! Willkommen!“ Wir winken zurück. Und freuen uns.

Das Frühstück an diesem Morgen zählt wohl zur Kategorie „kontinental“. Es gibt alles, was das europäische Herz begehrt: Eier auf Toast, Marmelade, Nutella. Ich hatte mich schon an die Üppigkeit der typisch saudischen Speisekarte gewöhnt, doch unser Hotel in Tabuk kommt modern und international daher. Es gibt Porzellangeschirr mit vergoldetem Rand und es gibt sogar Besteck. Richtiges Besteck. Nach tagelangem Essen mit den Händen über hauchdünnen Plastikplanen ein Novum. Hatte ich es vermisst? Nicht wirklich.

Die kleinen, weißen Wolken am Himmel sehen aus wie der Wollpelz eines Schaafes vor der Schur. Wir verlassen die Stadt. Die Sonne wirkt wie hinter Milchglas verborgen, gedämpft und gleißend zugleich lässt sie die Fahrbahn glänzen wie das Wasser eines Baches. Kleine runde Pflanzenknäuel von blassem Graugrün verteilen sich gleichmäßig in grellem Sand. Der Bus tuckert über die lange, gerade Straße an monotonnen Wüstenlandschaften. Kleine, verstreute Orte, hier und da eine Moschee. Die breit ausgebaute, beinahe leere Fahrbahn ist dreispurig; auf der ebenfalls dreispurigen Gegenfahrbahn kommen uns Trucks aus aller Welt entgegen.

Hier, in der Provinz Tabuk, unweit des Golfs von Akaba, entsteht zu diesem Zeitpunkt mitten in der Wüste Arabiens wohl größtes Projekt, die Planstadt Neom. Ein Gebiet von 26500 Quadratkilometer sind dafür vorgesehen, was etwas weniger als der Fläche Belgiens entspricht. Eine Welt in einer Welt soll es werden, ein in sich geschlossenes Ökosystem, das den Menschen mitten in der unwirtlichen Wüstenwelt optimale Lebensbedingungen mit Wasser, Infrastruktur und einer eigenen Pflanzenwelt bieten soll. Rund 500 Milliarden Dollar soll der gigantische Bau kosten. 2025 soll der erste Bauabschnitt fertig sein.

Gerne, sehr gerne hätte unser Guide Marco uns die in der Entstehung befindliche Gigacity gezeigt, doch zum Zeitpunkt unserer Reise (Dezember 2021) ist ein Besuch noch nicht möglich.

Langsam, ganz langsam wandelt sich die Landschaft. Mehr und mehr schroffe Felsen erwachsen aus dem Sand. Noch immer habe ich nicht gelernt, den mangelnden Schlaf während der Fahrten nachzuholen; es könnte ja sein, dass ich etwas verpasse. Stattdessen setze ich mich nach vorne zu einer der Mitreisenden und wir verbringen die Fahrt in ein Gespräch vertieft. Anna und ich waren uns auf Anhieb sympathisch, auch wenn ich ihre direkte Art, jemanden unverwandt anzustarren, anfangs unheimlich fand.

Stefan hingegen hat derlei Bedenken nicht und schläft den ganzen Weg hindurch. Ich lasse ihn, denn die Ruhe braucht er wohl dringend. Zu den Bandscheibenschmerzen hatte sich eine ausgewachsene Erkältung hinzu gesellt, ein unliebsames Souvenir der kalten Nächte im Wüstencamp.

Erst beim ersten längeren Stopp macht Stefan langsam die Augen auf. Wir sind am Tor zum Wadi angekommen. Ein Gebäude, nun offensichtlich leer, ist wohl als Ferienanlage vorgesehen; wir verlassen den Bus und lassen unsere Augen über die ersten hohen Felsen wandern. Hier ist die Landschaft grüner, so grün, wie ich es nicht einmal in den arabischen Oasen vermutet hätte. Doch es ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll.

Es geht nun mit dem Bus ein Stück weiter hinein in den Wadi. Die sandfarbenen Felsen um uns herum werden höher, wir fahren tiefer in den Bauch des Naturwunders. Wadi Disah, das „Tal der Palmen“, wird als eine der schönsten Regionen Saudi Arabiens beschrieben. Es liegt rund 400 Meter über dem Meeresspiegel im Prinz Mohammed Bin Salman Naturschutzgebiet, rund 260 Kilometer von Tabuk entfernt. Geschützt von Steilhängen hat sich eine üppig wachsende Pflanzenwelt gebildet, die in erster Linie aus Schilf und Palmen besteht. Wir kommen über den südlichen Eingang, der durchaus schönere sein soll. Das Wadi selbst zieht sich über 15 Kilometer Länge. Arabische Familien und vor allem junge Leute, die dem Alltag in den umliegenden Ortschaften entkommen wollen, kommen hierher, um zu picknicken.

Der Park selbst erstreckt sich über 4500 Quadratkilometer und bietet weit mehr als nur das Wadi. Berge, Wanderpfade, Campingplätze und sogar Arabische Leoparden, von derer Existenz ich, ehe ich einen Blick auf die offizielle Touristenwebsite geworfen habe, noch nicht einmal etwas ahnte. Auch verborgene heiße Quellen und historische Schriften der Nabatäer, für ewig im Fels festgehalten, sollen hier zu finden sein. Je mehr ich für diesen Beitrag recherchiere, umso mehr wünschte ich, länger Zeit dort verbracht zu haben.

Irgendwann ist für unseren schwerfälligen Bus Ende Gelände und wir verteilen uns auf zwei geländegängige Fahrzeuge mit Allradantrieb. Die Fahrer haben bereits auf uns gewartet. Aufregung macht sich breit, versprechen die Geländewagen Marke Toyota doch Abenteuer pur. Ich atme die frische, kühle Luft, die mir ins Gesicht strömt. Noch ein Erinnerungsbild und los geht’s.

Kühle Bergluft in der Nase. Rinnsale und Bäche schlängeln sich durch den Wadi. Mit lauten Plätschern zerteilen massive Autoreifen kristallklare Wasseroberflächen, in denen sich bis eben noch hohe, nadelförmige Bergspitzen spiegelten. Die Sonne erreicht uns seitlich, im Wadi selbst herrscht teilweise angenehmer Schatten. Unsere Köpfe wackeln, die Fahrzeuge hüpfen auf und ab und es ist eine besondere Gaudi, mitten durch große, tiefe Wasserpfützen zu fahren, sich durch tiefe Schilfwälder zu schlängeln. Wir neigen die Kopfe ein ums andere Mal, wenn sich die dichte Vegetation ihren Weg in unsere offenen Fahrzeuge sucht. Dann heißt es, Kameras in Sicherheit bringen und den eigenen Kopf auch. Pflanzen schlagen uns gegen die Schultern. Bis es wieder etwas offener wird. Unsere Fahrer steuern die Fahrzeuge gezielt in die größeren Wasserlöcher, damit wir unseren Spaß haben. Andere Vierradfahrzeuge kommen uns entgegen. Die meist jungen Insassen rufen uns Grußworte zu.

 

Irgendwo nach ein paar Kilometern machen wir mitten im Wadi Halt. Jetzt bekommen wir unsere Stunde Auslauf, die jeder nutzen kann, wie er möchte; unsere Truppe zerstreut sich und verschwindet einer nach dem anderen im tiefen Grün. Ich laufe entlang des dünnen Bächleins, der mitten durch das Tal fließt und bleibe schließlich an ein paar Kamelen hängen, die jedoch bei weitem nicht so neugierig sind wie ihre Verwandten in der Wüste. Je mehr ich mich vorsichtig nähere, umso beiläufiger ziehen sich die Tiere, an Blättern und Sträuchern kauend, zurück. Schließlich findet mich eine Mitreisende und wir gehen langsam wieder zurück zu den Fahrzeugen, stampfen mit großen Schritten durch die sandigen Furchen, die im Wadi entstanden sind. Eine Stunde kann so schnell vorbei gehen. Doch um ehrlich zu mir selbst zu sein habe ich mich bereits so sehr an den Drill und das knappe Zeitmanagement gewöhnt, dass ich mit mehr freier Zeit vermutlich nicht viel anzufangen wüsste. Die Zeichen der Konditionierung zeigen sich früh.

Als wir am Jeep ankommen, ist Stefan schon da. Er lehnt am Auto, in der Hand ein Becher Tee. Auch wir bekommen von unseren arabischen Guides Tee angeboten, das Getränk darf auch hier nicht fehlen. Der obligatorische Tee ist so typisch für Arabien, er ist Willkommens- und Begrüßungsgeste zugleich.

Auch meine Jagd nach tierischen Fotomotiven findet hier ein erfolgreiches Ende. Einer der jungen Guides hatte irgendwo ein Kamel aufgetrieben und zieht es jetzt am Strick hinter sich her. Das Tier protestiert zunächst ein wenig, lässt sich aber mit kleinen Snackeinheiten besänftigen. Der Besitzer läuft nebenher und schaut sich mit vorsichtiger Zurückhaltung an, wie sein Tier zum Shootingstar für fünf Minuten mutiert. Irgendwann haben alle ihre Aufnahmen, Kamel kann gehen.

Auf dem Rückweg steht die Sonne bereits schräg und wirft warmes, gelbes Licht auf die Felsen. Dieser Wandel, dieses Lichtspiel ist wunderschön zu beobachten. Zwischen den hoch aufragenden Felsspalten schiebt sich die sanfte Strahlung wie ein heller, weicher Heiligenschein, der die Berge umgibt. Jetzt am Abend ist das Wadi ein beliebter Ort für junge Menschen. Rufe ereilen uns, dringen im Vorbeifahren an unser Ohr und fordern unsere Aufmerksamkeit; es sind junge Männer, die hoch oben auf den Felsvorsprüngen sitzen, lachen und uns winken. Seid willkommen, rufen sie. Genießt es hier. Wir winken zurück.

In dem still stehendem Wasser am Grunde des Wadi sammeln sich Spiegelungen. Die Landschaft steht Kopf in einer Parallelwelt der Oberfläche. Die Sonne sinkt und erleuchtet die Bergspitzen.

Manchmal kommt uns ein Hirte mit seinen Ziegen des Weges entgegen. In einem solchen Fall richten sich alle Augen – und alle fotoaufnahmefähigen Geräte – auf den Mann und seine Tiere. Da uns die Situationskomik durchaus bewusst ist, lachen wir über uns selbst ob dessen, was der arme Mensch wohl über die verrückten Touristen denken mag, die noch nie eine Ziege gesehen haben. Ja natürlich haben wir schon Ziegen gesehen. Aber das hier sind arabische Ziegen. Ist was ganz anderes (*Kopf kratz*).

Am Bus angekommen geht es nicht sofort weiter. Ein wenig Zeit lässt man uns noch, und ich vermute, diese Tatsache ist eher unserem arabischen Busfahrer denn unserem deutschen Guide Marco zu verdanken. Der Busfahrer hat eine Decke ausgebreitet und pafft zufrieden an seiner Shisha. Ich vermute, das Rauchen der Wasserpfeife ist hierzulande eine Männerdomäne, da ich aber eingeladen werde, setze ich mich dazu und nehme ein paar tiefe Züge. Es hat sich herumgesprochen unter unserem arabischen Team, dass Kasia Shisha mag.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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10 Kommentare

  1. Dieses Wadi scheint mir wirklich ein magischer Ort zu sein. Eine sensationell schöne Landschaft! Das würde mir wohl auch gefallen 😁. Ach, vielleicht gedulde ich mich noch, bis diese riesige neue Stadt zugänglich ist. Die wäre sicher auch mein Ding. Jedenfalls rückt SA immer weiter nach oben auf meiner Liste. Dank dir!

    1. Wenn du S.A noch so erleben willst wie wir, würde ich mich beeilen. Ich habe ein wenig Sorge, dass das Land touristisch gesehen zu einem zweiten Marokko wird. Noch ist das Land relativ unbedarft, was den Tourismus angeht, und das macht es auch so charmant.

      1. Mal schauen, was sich machen lässt.

  2. Schon eine tolle Landschaft!

    1. Man sagt, es sei die schönste Gegend in Saudi Arabien…

      1. So sieht’s auch aus…

  3. Das Wadi ist ja richtig toll! Erinnert ein bisschen an die grandiose Landschaft in Nevada und Arizona.

    1. Ja, ein Bisschen Nevada war da schon zu sehen 🙂 Das Wadi war eine der schönsten Landschaften, die wir in dem Land gesehen hatten.

  4. Was für ein magischer Ort, so etwas würde man nicht inmitten einer wüstenähnlichen Gegend erwarten. Die Landschaften sind wunderschön und die Felsformationen wirklich einzigartig. Wer würde sich nicht für eine so abenteuerliche Reise anmelden wollen.
    Was Sie über den Bau der Stadt Neom schreiben, ist sehr futuristisch, aber wenn Sie sehen, was in Arabien aus dem Boden steigt, dann glaube ich daran. Vielen Dank für dieses blog und die schöne Bilder Kasia.

    1. Das Projekt Neom kommt jetzt in die heiße Phase und die Araber machen ernst: neulich habe ich gehört, dass sich Südkorea bereit erklärt hatte, Saudi Arabien dabei zu unterstützen.
      Was die Landschaften angeht, ich war auch überrascht. Ich habe Wüste erwartet, Wüste und noch mehr Wüste. Ich hätte nicht gedacht, dass das Land so vielfältig sein kann.

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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