Das Nachtleben in Tabuk
Tabuk ist konservativ. Selbst für saudische Verhältnisse. Wobei, von was spricht man denn eigentlich, wenn man von „saudischen Verhältnissen“ spricht? Na eben. Auf jeden Fall ist Tabuk anders, speziell. Und das darf ich bei unserem abendlichen Spaziergang, bei dem die Kamelreste in unseren Mägen fröhlich verdaut werden, am eigenen Leib erfahren.
Okay, das hört sich krasser an als es ist. Denn die Menschen in Tabuk sind freundlich und höflich, wie auch all die anderen im ganzen Land, denen wir auf unserer Reise begegnet sind. Und die Narrenfreiheit des Touristen dürfen wir auch nicht außer Acht lassen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich mich weiterhin trotzig weigere, mein langes Haar zu verhüllen? Nun, die erwachsenen Menschen reagieren gelassen auf uns, die westlichen Frauen der Gruppe. Es sind die Jugendlichen, die noch nicht die Contenance im ausreichenden Maße eingeübt haben. Ich muss still in mich hinein lachen, denn die Reaktionen, die mein „freier“ Kopf auslöst, würden sich in etwa mit denen westeuropäischer Kids auf ein Playmate beim Wet-Tshirt-Contest decken.
Doch noch während wir uns vom Restaurant zum Hotel aufmachen und unsere Frauen im Vorfeld darüber spekulieren, in Tabuk ihre eigenen Abayas tragen zu wollen, bin ich damit beschäftigt, meinen Bandscheiben-gestraften Stefan ins Hotel zu bringen. Ein paar Minuten haben wir, um uns frisch zu machen, danach geht es wieder hinaus, um die nächtliche Stadt zu erkunden. Ja, es ist ein strammes Programm, welches unser Guide uns da angedeihen lässt, doch das blöde ist… ich will ja mit. Ich will ja nicht im Hotel bleiben. Ich will ja alles sehen. Auch wenn ich vor Erschöpfung aus dem letzten Loch pfeifen sollte. Denn wann käme ich einmal wieder her?
Mein Stefan freilich, der pfeift wirklich aus dem letzten Loch. Das Sitzen auf dem Boden, welches für unsereins als gemütlich gelten würde, hat seinem Rücken den Rest gegeben, ebenso wie die Erkältung, welche er sich in der Wüste zugezogen hat und welche nun ihren Tribut fordert. Mein Stefan will nichts mehr als auf sein Zimmer und ins Bett zu verschwinden. Und das tut er dann auch. Passenderweise bietet das Hotel den Luxus einer ganzen Wohnungseinheit mit Küchenzeile, die uns da zur Verfügung gestellt wird. Wir haben ein jeder von uns ein großes Schlafzimmer und ich brauche meinen Liebsten nicht aufzuwecken, während ich am späten Abend wieder zurück kommen würde.
Doch mit der deutschen Effizienz – oder überhaupt mit Effizienz… – da ist es bei den Saudis nicht weit her. Teilweise stehen wir gefühlte Stunden an der Rezeption, während die sehr freundlichen und hilfsbereiten, jedoch augenscheinlich ungeübten Angestellten versuchen, unserer Gruppe die passenden Zimmer zuzuweisen. Meine Karte wird zweimal falsch kodiert; während des ersten Males klopfe ich ungehalten an eine Tür, weil ich denke, mein Stefan, der schon vorgegangen ist, will mir nicht öffnen. Während der zweiten Tour ein Stockwerk höher klopfe ich nicht mehr, und beim dritten Mal stehe ich tatsächlich vor der richtigen Türe und diese geht auch noch auf. Wahnsinn.
Tabuk bei Nacht
Tabuk bei Nacht gleicht für meine Orient-hungrigen Augen einer Märchenlandschaft. Entspannt schlendern wir durch die fahl erleuchteten Straßen, vorbei an Moscheen, entlang einer glatten, im gelben Laternenlicht glänzenden Fußgängerpassage. Und wir haben Zeit… endlich haben wir ausreichend Zeit. So vieles hier macht mich neugierig, so vieles zieht meine Aufmerksamkeit an. Die Goldgeschäfte, die entlang der stark befahrenen Straße ihre üppig glänzenden Waren feilbieten. Die Händlerin mit ihren Kleidern, die sie mitten in der Passage ausgestellt hat. Mehrmals kreise ich um die schicken Abayas herum, unentschlossen, ob ich sie kaufen sollte oder nicht. Eine saudische Abaya kostet umgerechnet um die zwanzig Euro, je nach Ausfertigung natürlich. Doch das Geld ist gut investiert, denn es handelt sich um sorgfältig verarbeitete Ware. Und wer hier nur an wallenden schwarzen Stoff denkt, weit gefehlt. Den Abschluss bilden oft Ornamente, glänzende Steinchen, goldene Kordeln. Der schwarze Stoff ist zart und hauchdünn wie eine Wolke. Eine saudische Abaya kann wunderschön sein.
Doch nicht nur Frauenkleidung haben die Läden hier anzubieten. Honig, Parfüm, oder auch die saudische Ghutra in allen Ausführungen. Neugierig betreten wir ein solches Geschäft. Und auch wenn die Ghutra, das große, weiß-rot gemusterte Tuch der saudischen Männer, für unser Auge beinahe gleich aussieht, so unterscheiden sich die Modelle in ihrer Bemusterung und Qualität erheblich. Es gibt sie in der einfachen Version, aber auch von namhaften, uns bekannten Markenherstellern. Hier kann der modebewusste saudische Mann seinem Stil einen individuellen Stempel aufdrücken.
Doch es gibt auch spezialisierte Geschäfte des täglichen Bedarfs. Es darf nicht vergessen werden, dass der anmutige, saudische Bürger auch nur ein Mensch ist und vielerlei Dinge benötigt, die da wären: Mehl, Brot, Kaffee… Es gibt Teppiche und Decken aus Ziegenhaar, für die der Ort berühmt ist. Säckeweise Kamelfutter steht aufgereiht in den Ladenräumen.
Wir kommen an Geschäften vorbei, wo es in großen Mengen nur Kaffee zu kaufen gibt. Auf einer alten Waage, die noch analog über Gegengewichte funktioniert, wird der Kaffee abgewogen, gerne auch vor Ort gemahlen und abgefühlt. Kiloschwere Säcke stehen und liegen auf dem Boden herum. Als wir, zwei Mädels (eine der Mitreisenden und ich), neugierig herein spähen, werden wir freundlich herein gewunken und gebeten, uns umzusehen. Auch dürfen wir Bilder machen, soviel wir wollen, auch wenn dem Ladenbesitzer zu dem Zeitpunkt längst klar sein müsste, dass wir nur interessiert sind und nichts kaufen werden. Doch darauf sind die Leute hier nicht angewiesen; alles, was es hier an Waren gibt, ist einzig auf den einheimischen Bedarf ausgerichtet. Mit ein wenig Wehmut frage ich mich, wie lange wohl noch die „Fremden“ so freundlich empfangen werden wie jetzt. Wann der überflutende Tourismus dazu führt, dass an jeder Ecke Stände mit Nippes und Kühlschrankmagnete stehen.
Auch gibt es Läden mit Militärbedarf. Hier im Angebot: Militärkleidung und entsprechendes Zubehör. Von Tabuk aus führt die Hauptroute direkt nach Jordanien; ich denke, hier gibt es entsprechenden Bedarf für den Grenzschutz. Ich fremdele ein wenig damit, doch meine Mitreisende schaut sich fasziniert die Wüstenstiefel an. Berit ist eine begeisterte Wüstenreisende und solche Schuhe würden bei ihr mit Sicherheit nicht nur als Souvenir im Schrank stehen.
Oben ohne
Tabuk gilt als eines der etwas konservativeren saudischen Orte. Unsere Reisegruppe, und speziell unsere Frauen – wir fallen auf. Die Menschen schauen interessiert, doch jeder erwachsene Saudi ist imstande, seine Verwunderung über unseren ungewohnten Anblick einigermaßen gut zu verbergen. Anders verhält es sich mit Jugendlichen, bei denen unsere unbedeckten Köpfe einiges an Begeisterung auslösen. Heranwachsende Jungs starren uns beim Entgegenkommen an und kichern wie Schulmädchen. Vor allem, da ich mein Kein-Kopftuch-Gebot auch hier knallhart durchziehe. Natürlich könnte ich mein langes Haar bedecken. Doch wenn der Prinz sagt, ich muss nicht, dann muss ich auch nicht. Und überhaupt bedecke ich mich auch so schon von Hals bis Fuß, wie es sich für eine anständige Europäerin gehört. Mit den Blicken der Leute kann ich gut umgehen. Die Menschen sollen ruhig wissen, dass wir anders sind. Ich finde das nicht falsch.
Überhaupt finde ich die Saudis sehr entspannt. Ja, da schiebt auch mal der Vater den Kinderwagen. Da schmieren sich der kleine Bruder und seine Schwester mitten auf dem Gehweg mit Rasierschaum voll und grinsen vergnügt und die lachende Mutter hat überhaupt nichts dagegen, dass wir ihre Kleinen dabei fotografieren. Die Stimmung ist gelöst und wir fühlen sich, egal wo wir hinkommen, herzlich aufgenommen.
Am Ende landen wir in einem großen, verschlungenen Geschäft, in dem alles Mögliche an täglichem Bedarf eines Beduinen verkauft wird: Geschirr für Kamele, große Töpfe, Pfannen, die obligatorischen, glänzenden Kaffeekannen, Garn, Wolle, Perlen, Korden, lange, plüschige Beduinenmäntel… Wir stöbern neugierig unter den Augen des begeisterten, alten Ladenbesitzers. Das meiste hier ist für uns, Westlinge, nicht wirklich zu gebrauchen, doch die Auswahl an Mänteln hat mein Interesse geweckt. Ein solcher Plüschmantel mit Kapuze hält mollig warm im Wüstenzelt am Feuer, könnte ich mir vorstellen. So probiere ich verschiedene Ausführungen aus und werde schließlich fündig. Kasia von Arabien in königlichem Blau, mit golden besetzten Stickereien. Zwischenzeitlich wird mir ein langer, dünner Krummsäbel in die Hand gedrückt – der Besitzer wollte es mal herumzeigen. Ungelenk halte ich das ungewohnte, erstaunlich schwere Metallstück in den Händen und bin erleichtert, als ich es schließlich an jemanden weiter geben kann.
Als ich, mit vielen frischen Eindrücken und meiner Beute vollgepackt, zurück ins Hotel komme, schläft mein Stefan längst tief und fest.
Hi Kasia,
bei dem Kaffekannenregal muss ich ja an Stefan denken Und die Wunderkanne aus 1001 Nacht – einfach kurz reiben und Du hast den leckersten Kaffee des Orients.. :-)..
Aber Stefan tut mir ja echt leid – habe in meinem Freundeskreis auch 2 Personen, die Last mit dem Rücken haben. Das müssen Schmerzen sein, die man seinem größtem Feind nicht wünscht. Umso mehr Daumen hoch, dass er dich auf deine Touren begleitet. Röööspekt!!
Die hell erleuchtete Einkaufsstraße könnte es auch hier im Ruhrgebiet geben – allerdings wären die Warenhäuser wohl höher und alle paar Meter wäre ein Handyladen und eine Dönerbude..
Bleib gesund Kasia..
CU
P.
Ich habe es Stefan hoch angerechnet (tue ich immer noch), dass er die Reise mit mir gemacht hat. Inzwischen geht es ein wenig besser mit seinem Rücken, aber Gruppenreisen sind nicht so das richtige für uns. Wir sind lieber individuell unterwegs, da hetzt keiner und wir können unserem eigenen Tempo folgen. Was sich positiv auf den Rücken auswirkt 😉
Liebe Grüße
Na da habt ihr ja wieder für ordentlich Furore gesorgt. Zumindest bei den Heranwachsenden. Sie werden es euch danken und noch ihren Enkeln von den merkwürdigen Oben-ohne-Frauen erzählen! Die wiederum werden wohl nicht nachvollziehen können, was daran so erzählenswert sein soll. Denn bis dahin wird das wohl selbstverständlich sein. Vielleicht sogar nicht nur bei den ausländischen Touristinnen. Wer weiß?
Ansonsten habe ich deine geschilderten Eindrücke und Fotos von Tabuk sehr genossen. Danke dafür!
Tatsächlich habe ich sogar saudische Frauen (ich denke zumindest, dass das welche waren) mit freiem Kopf in Riad gesehen, doch Tabuk war da eine andere Nummer. Ja, die Jugendlichen haben wir ganz schön aufgemischt. Vermutlich ist es, wie du sagst: noch ein paar Jahre, und dann wird sich niemand mehr über Touristen und ihre Kleidergewohnheiten wundern…
All deine Erlebnisse dieser Reise hier mitzuverfolgen ist auch für deine Leser ein schönes Erlebnis und gefällt mir sehr!!!
Liebe Grüße und danke fürs teilen 🤗🍀
Vielen Dank, liebe Hanne. Es wird noch viele weitere Erlebnisse geben 🙂
Vielen Dank, dass Sie uns einen Blick auf diese Aspekte werfen, und es ist klar, dass Sie Ihren jüngeren Generationen noch etwas beizubringen haben…. 😉
Gerade deshalb ist Austausch so wichtig und auch, dass man sich auf Reisen nicht vollständig assimiliert. Woher sollen die Menschen sonst wissen, wie es woanders ist und dass es auch anders geht? 😉