Der erste Teil der Strecke führt mich über weite, goldene Felder. Und während ich an den Feldern vorbeilaufe, habe ich durchgehend einen weiten, ausgedehnten Panoramablick in den Hunsrück. Die Strecke geht vorerst nur durch offene Felder, die hin und wieder durch die gezielt angebrachte Untersaat in einem gräulichen Blau schimmern. Niemand da, nur der einsame Radfahrer. Fleißig folge ich der Markierung.
Und wieder versuche ich, keine Lebewesen zu töten. Denn in dem Gemähten, aber nachgewachsenem Gras flüchten abertausende von Grashüpfern, um nicht unter meine schweren Stiefel zu geraten. Ich lasse die Füße schleifen, um den Tierchen die größtmögliche Chance auf Flucht zu ermöglichen. Tja, so bösartig bin ich nicht, wie mein Handstaubsauger behauptet. Ich töte kein Leben – außer, das Leben hat es irgendwie in meine Wohnung geschafft. Dann heißt es… ach vergessen wir das.
Endlich kühle, frische Luft. Endlich Schatten und ein wenig Erholung. Ein Ort der Zuflucht. Endlich – Wald.
Doch lange kann ich mich des Waldes nicht erfreuen, denn schon nach kurzer Zeit geht die Strecke schon wieder raus aufs freie Feld. Und auch die Sitzgelegenheiten sind in der prallen Sonne vorhanden. Im Grunde führt die Route bisher nur um den Wald herum. Der Panoramablick ist beachtlich, doch ich laufe die ganze Zeit auf der Westseite entlang und werde semi-gegrillt. Es empfiehlt sich, die Route am Nachmittag gegen den Uhrzeigersinn zu begehen. Denkt auch an die entsprechende Kopfbedeckung, damit wandert es sich leichter.
Dann – wieder Wald. Wald rein, Wald raus. Führt mich die Route jetzt wieder zurück?
Doch um die Planer der Traumschleife in Schutz zu nehmen, es handelt sich hierbei um einen tieferen Abhang, der querfeldein nur schwer hätte überwunden werden können. So hatte die Runde außenherum durchaus ihren Sinn. Außerdem heißt es ja „Traumschleife“ und den Teil mit der „Schleife“ nimmt man anscheinend sehr wörtlich…
Von irgendwo weit in der Tiefe nehme ich das leise Plätschern eines Baches wahr. Das Plätschern hat mich vorgestern beim Wandern die ganze Zeit begleitet. Heute hat das Geräusch von frischem Wasser irgendwie gefehlt. Es gab nur Weizen und Insekten, Sonne und Trockenheit, doch jetzt… Wasserplätschern. Der Durstlöscher für meine Ohren. Verkrüppelte Bäume sehen wie Lebewesen aus.
Der geniale Ausblick in den Hunsrück, weit, weit hinunter. Ein schiefes Kreuz, das nur noch an einem altersschwachem Nagel zusammenhängt. Und weit unten aus dem Tal dringt Rauschen und Plätschern zu mir hinauf. Ist das die Baybach? Das Knirschen des Apfels zwischen meinen Zähnen hört sich unnatürlich laut an.
Die Aussicht hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Ich werde noch etwas Zeit brauchen, um ihn in Worte zu fassen. Ich bleibe vielleicht nicht so lange, wie ich sollte, um diesen Ort zu würdigen. Doch ich glaube, das folgende Gedicht von Birgit Härter gibt das, was ich fühlte; was beinahe jeder fühlt, der hier oben ist, am besten wieder.
Die Hoch-Ley in Baybachtal
„Meine Lippen schweigen, mein Herz steht still
und meine Seele betritt den Raum der Unendlichkeit.
In Gedanken breite ich meine Flügel aus und schwebe
über das Tal, den Bachlauf und die Felsen.
Das Land meiner Väter ist weit, ursprünglich und wunderschön.
Allgegenwärtig ist die Vergangenheit,
und so kann ich die Schatten spüren,
die mich begleiten und behüten.
Es ist kein Traum, sondern Wirklichkeit!
Himmel und Erde berühren sich mit göttlichem Zauber.
Ein jeder, der hier oben verweilt, spürt eine tiefe Demut
vor der Schöpfung und dem tieferen Sein.
Wichtig ist nur der Moment.
Hier steht die Zeit für einen Moment still und so rückt die Ewigkeit
in greifbare Nähe.
Ein Wegkreuz aus längst vergangenen Tagen macht noch einmal bewusst,
welch ein Schatz hier oben begraben liegt.
Und so nehme ich die Botschaft dieses Kreuzes mit in die Gegenwart.
Voller Begeisterung ruft meine innere Stimme:
Oh Herr, wie wunderbar ist deine Welt. Hilf sie uns erhalten!“
Die Sonne steht tief, Steine verformen sich zu Geistern. Die Waldgeister schauen auf mich nieder. Tiefer Wald und das Rauschen des Baybachs. Ich wandere nun unterhalb der Felsen, die ich eben erklommen habe. Der tückische, Rote Sonnenhut beugt seine Köpfchen über meinem Pfad, verbeugt sich vor mir wie ein geflissentlicher, hinterhältiger, schmeichelnder Diener.
Dann sehe ich ihn endlich, den Baybach, dessen Plätschern mich selbst weit oben erreichte. Dunkel, beinahe schwarz windet sich ihr langer, breiter Schlangenkörper durch den Wald. Auch sie ist angeschwollen, wie vermutlich die meisten Flüsse in den letzten Wochen. Ansonsten vermutlich nur ein dünner Rinnsal, schiebt und schlängelt sie nun ihren fetten Leib träge vorwärts durch die Untiefen des Tals.
Und als ich stehen bleibe und dort in den Schatten zwischen den Bäumen blicke, zur Sonne hin, die hier, im tiefen Wald, kaum den Boden berührt; da flimmert es vor meinen Augen in der Luft. All die Insekten, die sich auf den Pflanzen am Wasser niedergelassen haben, all die Härchen auf den Pflanzenblättern; all das leuchtet und leuchtet, und schimmert, und scheint, und strahlt im Licht.
Schwarz sieht der Baybach aus. Schwarz wie die Nacht selbst. Und wen wundert’s? Besteht ihr Grund doch aus reinem Schiefer. Ein schmaler Pfad führt mich jetzt genau an diesem plätschernden Moselzufluss entlang. Die Sonne scheint nur spärlich durch den schattigen Wald und hinterlässt gelbe Flecken auf dem trockenen Waldboden. Es ist bereits Abend.
Eine Frau im schicken Porsche fährt an mir vorbei. Und während ich mich an die Seite vom schmalen Wanderweg stelle und möglichst klein mache, versucht sie hochkonzentriert, ihr Auto nicht anzukratzen und mich nicht zu überfahren. Denn dieses Stück des Wanderweges ist gleichzeitig ein Stück des Zufahrtsweges zu der Waldimkerei Schultheiser Mühle, die auf der Wanderroute liegt. Hier wird eigener Honig produziert und, nach dem Vertrauensprinzip, in einem hölzernen Selbstbedienungskasten verkauft. Das Geld kommt in die „Honigkasse“ rein, und wer möchte, nimmt sich ein Gläschen Honig mit für den Hausbedarf. Doch aktuell ist der Kasten leer. Ob das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens nicht so gut funktioniert hat? Oder ist der Honig zwischenzeitlich vergriffen?
Wie dem auch sei. Ich muss mich leider mit schönen Bildern von der Mühle und den Behausungen begnügen. Wunderschön sind sie ja, von Efeu umrankt und von Blumen umgeben. Wie fühlt sich die Bewohnerin damit – wie würde ich mich fühlen, wenn jemand ständig mein Haus fotografieren würde? Aber na ja… wenn man schon in so einem schicken, alten, mit Schindeln bedecktem Haus lebt? Vermutlich wäre ich stolz darauf, versuche ich mir einzureden. Doch es klappt nicht so ganz. Ich gehe weiter.
Dann begegne ich tatsächlich einem einsamen Pilzsammler. Ja, die Pilzsaison hat in diesem Jahr vorzeitig begonnen. Fun Fact am Rande: habt ihr gewusst, dass Pilze sammeln in Polen inoffizieller Volkssport Nummer eins ist?
Details:
Traumschleife Oberes Baybachtal
Strecke 15 km
Schwierigkeit mittel
Höchster Punkt 440 m
Tiefster Punkt 280 m
Ja, der Hunsrück ist schon was ganz Besonderes. Ich habe ja immer noch im Visier, einmal den Saar-Hunsrück-Steig zu laufen. Wäre das nicht auch ein Projekt für dich? Was die Traumschleifen betrifft: ja, da geht es konzeptionell tatsächlich eher um Panorama und Aussicht als um reine Waldansichten.
So ein langes Projekt ging mir tatsächlich mal durch den Kopf, das ginge aber nur, wenn es sonst keine Möglichkeiten zum Reisen gibt. Weil ich dann doch lieber das weite und ferne Ausland entdecke 🙂
Vollstes Verständnis 😎
Auch auf dem zweiten Teil deiner Traumschleife habe ich dich gern begleitet. Schöne Landschaft.
Vielen Dank, die Strecke war sehr schön 🙂 Fortsetzung folgt…
Ich bin schon gespannt.
Mal wieder ein gelungener Beitrag!
Vielen Dank!
Hallo Kasia,
ich bin mal durch einen Teil der Baybachklamm gelaufen, lange bevor es Traumschleifen gab. Ich kann mich an steile Berghänge erinnern, an denen man sich an Drahtseilen festhalten musste.
In der Nähe liegt die Burg Waldeck, ein berühmter Platz für Konzerte. Zwischen 1964 und 69 traten da einige Künstler wie Reinhard Mey, Hannes Wader usw. auf.
Viele Grüße
Renate
Liebe Renate,
es gibt auch die Baybachklamm-Traumschleife, die soll schon ziemlich herausfordernd sein, wie du beschreibst. Noch bin ich die nicht gelaufen, ich wäre aber unheimlich scharf darauf 🙂 ich versuche, es noch in diesem Jahr zu schaffen. Muss richtig toll sein…
Liebe Grüße
Kasia
Auch der zweite Teil deiner Tour, ist wieder sehr interessant. Auch den würde ich gerne mal „nachwandern“, wenn es nicht so weit entfernt wäre 😊 Vielleicht muss ich doch mal meine Cousine in der Pfalz besuchen 😉
Liebe Grüße
Roland
Ich hab ja das Glück, hin und wieder in der Gegend arbeiten zu dürfen 🙂 Aber die Route ist selbst eine längere Anfahrt wert…
Liebe Grüße
Kasia
das laufen in praller Sonne wäre so gar nicht meins – ich bin auch nicht so ein Fan von warmen Ländern. Einzige Ausnahme Südfrankreich an der cote d’azure – für eine Wonung in St. Tropez oder St. Maxime würde ich mein Erstgeborenes an fahrende Zirkusleute verkaufen!
Das schöne am Wald ist ja, kaum betritt man ihn, ist die natürliche Klimaanlage der natur eingeschaltet. Mindestens 5° C ist es dort kühler als in der prallen Sonne und das schützende Laub tut ein übriges um dich zu „behüten“ im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich merke das jedesmal, wenn ich hier bei uns in die Wälder gehe. Da ist es direkt erfrischend, das Laubrascheln beruhigt und auch das plätschern von Bächen – bei uns sind die meistens Rot, weil Sie Eisenoxid enthalten (das Wasser ist aber nicht giftig) – relaxt zusätzlich. Manchmal möchte man den Wald gar nicht mehr verlassen sondern würde lieber in ein Baumhaus ziehen – natürlich mit 75″ TV und allem Komfort.. 😉
Das müsste dann aber ein schickes Baumhaus sein 🙂
Was ihr habt rote Bächlein? Das gibt bestimmt einen schönen Farbeffekt.
Wälder wirken direkt beruhigend. Da kann man laufen, laufen, laufen… Aber mit den „warmen Ländern“, da wirst du umdenken müssen; Deutschland ist, bis auf diesen einen Sommer, jedes Jahr ein seehr warmes Land…
Jau.. rote Bäche.. ich lad mal ein Foto auf Insta hoch.. 😉
Der Name Traumschleife ist sicherlich nicht übertrieben… Ein weiterer sehr schöner Spaziergang, bei dem wir dabei sein durften. Vielen Dank !
Ja, die Traumschleifen sind sehr abwechslungsreich und wunderschön zu bewandern 🙂