Montag, 13 Mai 2019
Sanft wiegen sich die Palmblätter im Wind.
Sanft blubbert die Shisha.
Sanft rieselt die Musik aus dem Hintergrund.
Im Gin Tonic vor mir steigen kleine Bläschen auf. Ein Jetski rauscht vorbei. Der Passagier quietscht vergnügt, als die Wasserfontänen in die Höhe spritzen. Ein Pelikan fliegt mit schweren Flügelschlägen tief über den Wellen hinweg.
Sanft streicht der Wind über erhitzte Gesichter.
Sanft wiegen mich die Wellen in einen Schlummer.
Etwas weiter weg, hinter dem Korallenriff, da tosen die Wellen mit voller Stärke – der Ozean zeigt seine Kraft. Junge Riffhaie lassen sich bis fast an den Strand spülen, ziehen zielsicher ihre Bahnen, schwimmen parallel zur Strandlinie. Der Mensch kann sie nicht beirren.
Dienstag, 13 Mai 2019
Ein Krimi könnte nicht spannender sein.
Die Krabbe flieht, doch der Plattfisch folgt ihr. Bleibt die Krabbe stehen, so stoppt auch der Fisch und verharrt in Lauerstellung. Nur um der armen Krabbe schon wieder nachzustellen, sobald diese auch nur zuckt.
Das Schnorcheln starte ich am heutigen Morgen ohne große Erwartungen. Ich weiß ja – das Riff ist halb tot, es gibt nicht wirklich viel zu sehen. Aber ich schnorchle halt gerne. Ganz gediegen lasse ich mir diesmal Zeit, während ich an den noch lebenden Korallen vorbei schwebe, ohne nach großen Sensationen Ausschau zu haben. Und genau deshalb bemerke ich nun die kleinen Dinge.
Zunächst mal gibt es Fische. Ganz viele sogar. Sie sind hell, bläulich-weiß und recht groß – doch sie verschmelzen so mit dem Hintergrund, dass sie im Wasser glatt übersehen werden könnten. Ganze Schwärme dieser Geisterfische tauchen auf und verschwinden wieder, so viel Leben im scheinbar totem Riff! Dann sind die braunen, meterlangen „Schnüre“, die am Boden liegen und aussehen wie ein vergessenes Stück Seil – es sind gar keine Seile, sondern etwas ganz anderes. Die vermeintlichen „Schnüre“ atmen, bewegen sich und pulsieren und schaut man genauer hin, bemerkt man die langen, beweglichen Tentakel, die aus dem Kopf so eines „Seils“ zum Vorschein kommen. Ohne es genau zu wissen, tippe ich auf Seegurke…
Ich hoffe ja immer noch auf einen kleinen Riffhai, doch die lassen sich in das pfützenflache Wasser treiben, wo ich nicht schnorcheln, sondern stranden würde. Die Haie schwimmen einem hier auf der Insel praktisch vor die Füße…
Zuerst sehe ich die Krabbe. Schneeweiß wie sie ist, gleicht sie einem weißen Stein am weißen Meeresgrund – wenn sie sich nicht bewegt hätte, hätte ich auch sie übersehen. Ich beobachte die schneeweiße Krabbe dabei, wie sie ihre Scheren bewegt, dann entdecke ich die zwei kleinen, grauen Glupschaugen, die genau neben der Krabbe aus dem Sand lugen. Da ist noch etwas…
Der Plattfisch hätte sich besser gar nicht tarnen können. Vom hellen, fleckigen Grund ist der helle, fleckige Fisch praktisch nicht zu unterscheiden und nachdem ich eine Weile zusehe, wird mir klar, dass da etwas Interessantes vor sich geht: sobald sich die Krabbe bewegt, beginnt der Fisch, ihr zu folgen. Es ist wie ein Tanz – die Krabbe geht ein paar Schritte, der Plattfisch legt in etwa die gleiche Entfernung zurück. Verharrt die Krabbe regungslos, geht auch der Fisch in Hab-Acht-Stellung. Buddelt sich die Krabbe im Sand ein, umkreist der Fisch sie so, dass die Krabbe gezwungen ist, weiter zu krabbeln. Ich verharre regungslos über den beiden. Was beobachte ich da gerade? Das ist spannender als jeder Krimi. Die schneeweißen Fischschwärme sind sowas von uninteressant geworden – ich will wissen, ob der Fisch die Krabbe kriegt. Denn ich habe nicht genügend Fantasie, mir vorzustellen, wie der Plattfisch die Krabbe, die so groß ist wie er selbst, zu fressen gedenkt.
Und wie ich da so im Wasser hänge und beobachte, sehe ich, dass der ganze Boden voll ist, voller unsichtbarer, kleiner Plattfische. Denn jetzt setzen sie sich in Bewegung und stellen der Krabbe nach, doch der große Plattfisch vertreibt sie alle – er ist der Big Boss.
Die ganze Situation findet ein überraschendes Ende: schließlich gräbt sich die Krabbe ein und verharrt regungslos und der Plattfisch verbuddelt sich neben ihr im Sand. Mir entfährt ein „Häh?“, denn allen Anschein nach war ich nicht Zeugin einer Jagdszene, sondern die beiden haben eine seltsame Freundschaft miteinander. Schade, ich wollte sehen, wie der Fisch die Krabbe frisst…
Am Strand begegnen wir Sabine, einem lebhaften, aufgeweckten Persönchen aus Wien, Österreich. Sabine ist das genaue Gegenteil dessen, was man als zurückhaltend bezeichnen würde; sie quatsch jeden an. So erfährt sie aus einem Gespräch mit einem Hotelmanager Dinge, die ich mich nicht selbst getraut hätte, zu fragen wie zum Beispiel über die Müllentsorgung auf einigen Inseln („das wird einfach alles ins Meer gekippt…“) oder was die Angestellten im Hotel so verdienen („ein Manager – so an die 300$ im Monat“). Besonders am letzteren habe ich eine Weile zu kauen: ich wusste zwar, dass es nicht viel ist, aber anscheinend ist das „nicht viel“ erschreckend wenig. Und unser Roomservice, was der wohl kriegt? Ich muss zugeben, da blieb mir mal eben mein Gin-Tonic kurz im Halse stecken.
Eine Zigarre im Mondschein
Nur das Rauschen der Wellen im Dunkeln, der kühle, seidige Sand unter meinen Füßen und ich. Ich spüre, höre es vielmehr, als dass ich es sehe. Schritt für Schritt, über mir der unfertige Mond. In meinem Körbchen am Strand fühle ich mich versteckt, von Blicken verborgen, weil abseits der Lichter, der Bar. Ich sehe alles um mich herum, doch mich selbst im Dunkeln sieht niemand. Der Klang der Wellen ist genau vor mir, die dunkle, graue, sanfte See. Der Duft der Zigarre. Sie riecht süß und nach Kirsche, noch intensiver, als ich sie auspacke. Der an einer Palme tief aufgehängte Korb schwingt direkt über dem Sand, schwingt leise im Wind. Jetzt ist der besondere Moment, hier, nur für mich – an ihn werde ich mich später erinnern.
Irgendwie hat es mich bisher noch nicht erreicht, hier zu sein, auf den maledivischen Inseln. Stefan schafft es immer, sofort zu entschleunigen. Und ich? Ein Mensch, der immer rennt. In Gedanken immer zwei Schritte voraus. Wenn ich es jetzt und hier nicht schaffe, hier, in diesem Augenblick zu sein, wann schaffe ich es dann?
Ich sitze im Schneidersitz, rauche. In der Bar, weit weg, spielt jemand Billard; der ferne Klang der Kugeln beim Anstoßen. Ich lege mich auf den Rücken. Über mir der fast schon runde Mond, sein Licht dringt durch die Spalten des Korbgeflechts und malt Muster auf meiner Haut. Und doch ist dieser Moment nicht vollkommen, denn noch immer tut mir die Ungerechtigkeit weh. Manche Menschen arbeiten so hart, und sie werden trotzdem niemals das hier erleben. Nirgendwo auf der Erde ist das Paradies. Nicht für alle.
Aus der Bar dringt leise Musik. Passender- oder unpassender Weise ist es My heart will go on von Celine Dion. Ich hänge meinen Gedanken nach.
Am Nachmittag packte mich die Rastlosigkeit und zum ersten Mal, seit ich hier bin, schaffte ich es endlich, die Insel zu umrunden. Es gibt einen Fähranleger im Osten von Dhiffushi hin zur Maamigili, einer Local Island, auf der sich auch ein lokaler Flughafen befindet. Auch dort gibt es Bungalows, doch wer dort seinen Wohnsitz ergattert hat, der hat nicht viel zu lachen. Es lockt das laute, stetig tiefe Brummen des Generators und der Urlauber hat einen lieblichen Ausblick auf den Fährhafen, die anliegende Baustelle und die Schrotthalde auf der anderen Seite, auf Maamigili. Hier tigern Arbeiter herum und zum ersten Mal fühle ich mich wie ein Fremdkörper. Haufenweise stapeln sich Säcke, fein säuberlich aufgereiht, die unseren Müll enthalten, doch wohin werden sie dann abtransportiert? Ich weiß es nicht.
Ich frage am Fährhäuschen nach einer Verbindung auf die Nachbarinsel.
„Please ask the reception.“ Bekomme ich zur Antwort. Man möchte mir keine Auskunft geben und irgendwie ist man sich auch unsicher, wie man mit mir umgehen soll oder was man mir sagen oder nicht sagen darf. Es ist vermutlich nicht vorgesehen, dass Urlauber unkontrolliert von Insel zu Insel tigern, auch wenn Maamigili eigentlich für den Tourismus freigegeben ist. Eine spätere Anfrage an der Rezeption bestätigt meinen Verdacht – ein Besuch ist nur mit einem Guide gegen einen Obolus von knapp 150$ möglich, auf eigene Faust hingegen nicht. Die Maßnahme wird mit Sicherheitsbedenken begründet („…damit euch nichts passiert, wenn ihr dort unterwegs seid…“), doch die Erklärung erschließt sich mir nicht und ich vermute eher die klingelnde Kasse als Grund. Denn wenn ich in einem Gasthaus direkt auf Maamigili logiere, dann bin ich schließlich auch dort. Und dann passt auch niemand auf mich auf…
Noch einmal schaue ich mir das Füttern der Haie am Abend an. Diesmal verläuft es ein wenig anders; große, schwarzblaue Thunfische sind mit von der Partie. Ich kenne Thunfisch bisher nur aus der Dose und es ist eindrucksvoll, sie mal im Wasser schwimmen zu sehen. Die Haie sind zwar schnell – doch der Thunfisch schießt vor wie ein Blitz und schafft es ein ums andere Mal, den Haien den einen oder anderen Happen abzunehmen.
Und nun sitze ich hier, in meinem Körbchen. Die Zigarre geht zuneige und ich spüre, dass der Augenblick vergeht. In der Ferne auf dem Wasser fahren Boote, in der Ferne sind Lichter. Wenn der Augenblick vergangen ist, dann ist es Zeit, aufzustehen und zurück zu gehen, zurück durch den kühlen, seidigen Sand.