Europa, Großbritannien

Tag 6 – Tower Bridge, Finanzznetrum und die St. Pauls-Kathedrale

Ich finde es schön, wie das Alte in das Neue übergeht. Eine Möwe lässt sich schwer zwischen den glänzenden Türmen gleiten. Meine Freundin ist schon unten an der Promenade angekommen. Und ich? Ich brauche ein paar Augenblicke für mich…

Die Tower-Bridge

Nachdem ich meine Batterien aufgeladen habe, treffen wir uns unten an der Promenade wieder. Denn heute ist wieder das Sightseeing Programm angesagt, keine Geheimtipps, nein, heute schauen wir uns London von der touristischen Seite an. Am frühen Morgen schon steigen wir in die Metro. Eigentlich versuche ich, solche Situationen zu vermeiden und uns eine Zeit auszusuchen, wo die Menschenmengen bereits kleiner geworden und die arbeitende Bevölkerung sich größtenteils in den schicken Büros verteilt hat. In der Regel laufen wir morgens zu Fuß. Doch diesmal ist es uns einfach zu weit und so ermahne ich meine Freundin, in der U-Bahn, wo alles gerammelt voll ist und alle dicht an dicht stehen, bloß den Mund zu halten. Touristen am frühen Morgen, das hat dem Engländer noch gefehlt. Da müssen wir uns nicht auch noch zu erkennen geben…

Doch das klappt erwartungsgemäß nicht so gut. Das still sein meine ich. Ich bin froh, als wir die Metro verlassen und uns den Blicken entziehen. Nicht, dass einer der wohlerzogenen Londoner irgendwas gesagt hätte…

An der Unterführung werden die Touris von einem hilfsbereiten Stadtmitarbeiter sofort zusammengekehrt und zielsicher in Richtung Tower Bridge geleitet. Ja, die Tower Bridge ist eines der Orte, die mich beeindruckt zurücklassen. Weniger der Architektur wegen, obwohl diese auch sehenswert ist; vielmehr hat sie für mich einfach etwas Legendäres an sich. Die Tower Bridge. So oft auf Bildern gesehen und neben Big Ben Tower das Wahrzeichen Londons schlechthin. Eine der bekanntesten Brücken der Welt. Und jetzt bin ich tatsächlich hier. Ja, das hat was.

Bei ihrer Entstehung Ende des 19 Jahrhunderts wurde die Brücke mit einem hydraulischen Öffnungssystem ausgestattet. Heute geht alles elektronisch vonstatten. Heute noch ist die Tower Bridge nicht nur Wahrzeichen, sondern wird auch rege genutzt: täglich fahren circa 40000 Menschen über die Brücke, doch sie wurde von Anfang an so konstruiert, dass auch Fußgänger sie überqueren können. Mit ihren zwei steinernen Türmen wirkt sie massiv, doch der Kalkstein der Türme ist nur Verkleidung, denn innen ist sie komplett aus Stahl gebaut. Im oberen Teil der Brücke gibt es sogar ein kleines Museum und einen Glasboden, von wo aus man hinunter schauen kann. Für Mutige…

Janine ist hoch auf die Bridge. Ein ruhiger Moment. Der Wind rauscht, Möwen schreien, ein glitzernder Turm, oben ausgefranst. Es ist das Rathaus von London. Eine Bank im Schatten.

Ich setze mich schnell auf diese eine, freie Bank, ehe einer der vielen Spaziergänger sie mir streitig macht.

Flugzeuge am Himmel. Drehen, wenden, bewegen sich auf einen zu und von einem weg. Der Heathrow Airport ist hier irgendwo in der Nähe. Und hier, im Schatten der Bäume, wo mir ein leichter Wind übers Gesicht streift, gehen mir so viele Gedanken durch den Kopf.

Die Parks werden nachts abgeschlossen. Als Schutz vor den Obdachlosen oder um den Obdachlosen Schutz zu bieten?

Das mit den Parks fiel Janine heute morgen auf, als sie in einen spazieren gehen wollte. Zugeschlossen. So was aber auch. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass diese Maßnahme vielmehr dem Schutz der Menschen dient; es kam schon öfters vor, dass ein draußen schlafender Mensch einfach angezündet wurde. Schrecklich und unmenschlich.

Janine hatte beschlossen, sich die Tower Bridge von oben anzusehen. Heißt: sie reiht sich in eine Schlange der wartenden Menschen, um in einen der Türme hinein zu gelangen. Ich beschließe, so lange auf sie zu warten. Sicher wird sie mir später erzählen, wie spannend der Besuch war, doch ich finde, ich muss nicht an allem hoch geklettert, alles von innen gesehen haben. Manche Bauwerke machen für mich von außen einfach mehr her. Ich rechne mit circa einer Stunde Wartezeit. Nach einigen Minuten, nachdem mir langweilig geworden ist, versetze ich meinen Hintern von der Bank in ein nahe gelegenes Cafe, wo ich von einer großen, sonnigen Terrasse aus einen wunderbaren Blick auf die Promenade habe. Hier probiere ich mal was Neues: den Yorkshire Pudding. Ja, ich rechne tatsächlich mit einem Pudding, bekomme aber ein fluffiges Brötchen. Hm. Es besteht mehr aus Luft als aus Brötchen. Ich habe immer noch Hunger.

 

Das Bankenviertel

Janine ist wieder da. Laufen weiter zum Bankenviertel. Wie ist sie wohl, die Arbeitswelt in London, die Welt der Bosse? Die Welt der Leute, die sich jeden Morgen eilig und schweigsam in die U-Bahn drängen? Jetzt sehe ich sie während ihrer Mittagspause, wie sie, scheinbar entspannt, trotzdem an ihrem Handy hängen. Zu dieser Welt hatte – und wollte – ich nie Zugang, sie ist mir fremd. Alle sehen sie gleich aus, mit glänzenden Schuhen, angepassten Anzügen, smart und gutaussehend, eloquent und gestriegelt. Hier ist kein Platz für Individualität, weder die äußerliche noch sonst irgend eine – und wahrscheinlich ist sie auch gar nicht erwünscht. Angepasste Anzüge, angepasste Meinungen. Lächelnd, beliebig, austauschbar. Und immer ein Handy am Ohr.

Individualität findet sich in den… Socken?? Ja, die Socken. Jemand trägt sie trotzig in Orange…

Das Bankenviertel lässt unsere Köpfe sich in den Nacken legen und unsere Gedanken kreisen. Toll anzusehen, wie die Sonne zwischen den Hochhäusern hindurch fällt und sich in den Glasfassaden bricht, wie sich die Gebäude ineinander spiegeln. Die glänzenden Wolkenkratzer, die sogleich Größe und Erhabenheit vermitteln, die faszinierend und einschüchternd wirken. Nicht meine Welt. Nein, so gar nicht meine Welt. Aber ein Wahnsinns-Fotomotiv, symmetrische Formen, ineinander greifend, eiskalte, glatte Wände, die das Licht der Sonne und die Farbe des Himmels zurückwerfen. Jeder Augenblick, in dem wir die Kamera zur Seite legen, wäre Sünde. Ich will alles einfangen von dieser schönen, ach so wichtigen, dieser unechten Welt.

Die Bänker und Angestellten haben gerade ihre Mittagspause, sitzen auf Bänken und verdrücken ihre Sandwiches. Viele haben auch jetzt noch ihr Handy am Ohr. So gestresst sehen sie aus, ich wollte nicht in ihrer Welt leben. Druck, Druck, nochmal Druck… wenn nicht – die Straße winkt. Ich glaube, in einer Welt, in der die Gegensätze so nah beieinander liegen, in der es keinen sanften Übergang, sondern eine scharfe Trennlinie gibt, ist es umso leichter, von der einen Welt in die andere zu stürzen. Es gibt kein Netz, das dich auffängt. Nur leider gelangt man mit dieser unfassbaren Schnelligkeit nur in die eine Richtung.

Einer der Bauarbeiter, die gerade ihre Pause machen, spricht uns an. Er zeigt auf ein großes, gläsernes Hochhaus, wo sich die Aufzüge rauf und runter bewegen, und erklärt uns, was da so schönes neu gebaut werden soll. Es handelt sich hierbei um ein Hochhaus in Form einer Tulpe, wo man in einer Glasgondel hinauf gelangen kann. Es soll nicht das höchste Gebäude sein, sondern das interessanteste, denn die Tulpenform, die sich da ankündigt, wird der Hammer sein. Besucher haben dann einen 360 Grad-Rundumblick über die City. Arbeiten die Männer aktuell daran? Anscheinend, doch nach seiner Erklärung wendet sich der Mann von uns ab und seinem Brötchen zu.

Bleibt nur noch abzuwarten, wie sich der anstehende Brexit auf die Baupläne der „Tulpe“ auswirken.

Die St. Pauls Kirche

Der Gesang schwillt an und wird wieder leiser, er scheint sich mit den goldenen Ornamenten der Kathedrale zu vereinen, zu hypnotisieren, mein Blick verliert sich in den Fresken und dem vielen Gold. „Schön!“ Janines Stimme holt mich in die Wirklichkeit zurück. Sie will noch etwas sagen, doch ich stupse sie an. Nicht so viel zwitschern, meine Liebe.

Die Menschen wissen genau, wann sie aufstehen und sich wieder hinsetzen sollen. Die Religion, das wird mir klar, muss nicht nur den Glauben selbst bedeuten. Sie ist eine Identität, eine Zugehörigkeit, die manchmal wichtiger ist als der Glaube selbst. „Ich bin Muslim.“ „Ich bin Christ.“ Sie sind die Gemeinschaft, die Regelmäßigkeit, der Kit, der die Gesellschaft zusammen hält – die Weltreligionen. Alles, was danach kam, seien es Vereine, Ideologien, Lebensweisheiten, virtuelle Realitäten, die man sich in Computergames schafft, Biker-Clubs, die Flower-Power oder die AfD – bei allem geht es im Grunde um ein- und dasselbe: Zugehörigkeit, Identität, den Glauben an etwas, das größer ist als man selbst. Etwas, das die eigene Existenz auf dieser Erde rechtfertigt, eine Aufgabe; ja, eine Wertigkeit gibt und die ewige Suche nach dem Sinn beendet.

Denn wir wollen nicht glauben (oder es wahrhaben), dass wir dem Universum im Grunde nichts bedeuten.

Der Pfarrer gibt jedem zum Abschied die Hand.

Die St. Pauls Kirche mit ihrem „Flüstergang“. Stellt man sich an eine bestimmten Stelle der Kuppel und sagt etwas in die Wand hinein, so kann der Mensch an der anderen Seite des Raumes es hören. So zumindest die Theorie. Wir haben zwar nicht die Möglichkeit, dies auszuprobieren, dafür aber das große Glück, von etwas anderem Teil zu werden: wir treffen ein, als gerade die Abendmesse beginnen soll. Und wir sind herzlich willkommen.

Der Pfarrer bittet uns, ins Innere der Kirche zu kommen, näher an den Altar heran, denn von hier aus kann man die Akustik am besten genießen. Es wird ein Chor singen. Wir nehmen Platz und warten.

Dann nach circa einer Stunde ist alles vorbei und wir verlassen die Kirche. Der Pfarrer verabschiedet jeden Besucher persönlich – auch das ist mir so in der Form unbekannt. Ich mache mir keine Gedanken darüber, wer alles hier geheiratet hat (Lady Di?) oder was wir uns alles noch ansehen wollen, durch den Gesang bin ich völlig tiefenentspannt, fast hypnotisiert. Ich glaube, so hypnotisiert man Schlangen… 😉

Als wir zurück zum Hotel fahren, ist die U-Bahn wieder voll und Janine hat ausgerechnet den Luftzug über der Tür erwischt. Ihr rotes Haar wirbelt ihr ins Gesicht wie eine leuchtende Flamme. Völlig zersaust sieht sie mich an, wir schneiden Grimassen und lachen uns schlapp. Die Leute gucken gelangweilt und ausdruckslos in die Gegend, keiner verzieht auch nur eine Miene, nur die Köpfe wackeln vor sich hin.

Ja, manchmal, in den seltenen Augenblicken, zeigt er sich wieder: des Briten eigener Humor. Bei der Taschenkontrolle vor der St. Pauls Kirche (in ganz London gibt es hohe Sicherheitsmaßnahmen, bewaffnete Securitys, ausfahrbare Barrieren…) öffnet der nette Mitarbeiter meine Tasche und fragt mich, ohne dabei eine Miene zu verziehen: „Should we go to a other place, is there money for me inside?“ Erst mein verständnisloser Blick zaubert ihm ein erfreutes Grinsen ins Gesicht.

Janine führt uns zum ersten Mal selbständig durch die U-Bahn. Das ist eine Premiere – nun zeigt sie mir, wo wir lang müssen und ich fühle mich wunderbar entlastet. Und bei all dem Gedränge, bei all der Hektik, sind und bleiben die Londoner sehr höfliche Mitreisende, sie entschuldigen sich sogar dann noch, wenn du sie anrempelst. Für die EM brachte man eigens eine Broschüre für die Bevölkerung heraus, in der die Benimmregeln in den jeweiligen Ländern der häufigsten Besuchergruppen stehen. Und das alles, um sich auf die jeweiligen Gäste und ihre Gepflogenheiten einzustellen. Wo, frage ich mich beiläufig, kommen denn eigentlich diese ganzen Pöbel-Briten her, von denen man im Urlaub so viel Schlechtes hört?

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

3 Kommentare

  1. […] Denn die sozialen Gräben in London sind tief, das zeigen mir tagtäglich die omnipräsenten Obdachlosen, die nicht den Anstand haben, sich in eine dunkle Ecke zu verdrücken. Nein, sie sind da, beim Tageslicht gut sichtbar mitten in der Stadt – unser aller schlechtes Gewissen. Ein Fingerzeig darauf, was alles schief läuft. Und es werden mehr. Seit der Sozialreform 2013 sitzen unzählige Menschen auf der Straße. Diejenigen, die einen Job haben, tun alles, um ihn zu behalten. Ein schneller Schritt. Aktentasche in der Hand, immer auf dem Sprung. Niemand möchte dort unten landen… Hier geht’s zur Reise… […]

  2. wow wow wow das wären Fotomotive für meinen Geschmack . Ich glaub ich würde von London nichts anderes sehen als die Fassaden im Bankenviertel. Da könnte ich mich austoben in allen Varianten. Der Rest wäre uninteressant !
    Nein aber diese Glasfassaden sind schon sehenswert ! Ich bin mir ziemlich sicher dass ich dort die meiste Zeit verbringen könnte.
    Nachdem Städetouren in der Regel eh mit Stress und Eile verbunden sind muss man alles reinpacken ( mir geht es so ) !!! Sorry aber was die Fassaden ( mein Projekt ) betrifft , trifft dieser Beitrag am meisten zu ( für mich ) ohne die anderen kritisieren zu wollen. Also 4 Daumen nach oben wenn ich welche hätte !!!

    1. Dann bin ich ja froh, dass das Motiv diesmal deinen Geschmack getroffen hatte 😉 Das Finanzzentrum ist flächenmäßig nicht groß, an sich sind da die meisten Motive schnell abfotografiert. Außer wenn du noch Nachtfotografie und Blaue Stunde mit dazu nehmen willst, aber auch dann ist man dort schnell durch…

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..