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Ja, ich habe Vorurteile

Anlass zu diesem Beitrag war ein YouTube-Kanal, welchen zwei Syrer seit 2017 betreiben. In den Videos versuchen sie, zwischen der Welt der Deutschen und der Welt der Syrer zu vermitteln, indem sie sich in erster Linie viele gängige Klischees vornehmen, die über bestimmte Bevölkerungsgruppen so grassieren. 

Und ich? Ich habe Vorurteile. Ja, ich packe Menschen, einmal gesehen, gerne in Schubladen, den Stereotypen nach geordnet, und mache die Schublade zu. Wenn ich jemanden sehe, der zu meinen bereits vorhandenen Stereotypen passt, erwarte ich gar nicht erst, dass er sich als das genaue Gegenteil entpuppt. Doch manchmal passiert genau das.

Und manchmal auch nicht. Beispiel: gängiges Klischee über Polen: Polen klauen Autos. Das – und noch ein paar mehr – sind die Dinge, die einem Deutschen wohl, gewollt oder ungewollt, als erstes in den Kopf schießen. Und ich als gebürtige Polin war früher nach Kräften bemüht, das Vorurteil der Deutschen über uns zu entschärfen. Dabei kam es einmal zu einer lustigen Anekdote: auf der Hochzeit meiner besten Freundin unterhielten sich Jimmy*, damals noch mein Mann und Wojtek*, der Trauzeuge des Bräutigams, miteinander; mich hatten sie als Dolmetscher dazwischen stehen. Nach ein paar Gläschen guten Wodka (Klischee Nr. 1) begann Wojtek* damit, sich über die schlechte Arbeitsstituation im Lande auszulassen.

„Es ist ein Jammer.“ Sagte er mit vor Alkohol gerötetem Gesicht. „Total hoffnungslos, alles. Aber was will man machen? Die einzige Möglichkeit, wirklich etwas Geld zu machen ist, ein paar Autos über die Grenze zu schieben…“ Mir verschlug es die Sprache (wobei ich heute denke, dass wohl auch ein wenig resignierte Ironie aus seinen Worten sprach) und ich begann, Wojtek* zu beschwören, doch das Bild der deutschen Gäste über seine Landsleute nicht dermaßen zu untermauern, nachdem ich mir jahrelang die größte Mühe gab, ebenjenes zu widerlegen. „Das kann ich nicht übersetzen!“ Rief ich entschlossen aus.

In diesem Fall haben sich die Vorurteile, wenn man so will, bestätigt. Doch Vorurteile, was sind sie eigentlich?

Wenn man sie sich genauer betrachtet, dann sind Stereotypen auf realen Erlebnissen basierende Einschätzungen unseres Gehirns, die über bestimmte Menschengruppen herrschen, sei es kulturelle, religiöse, die Staatsangehörigkeit oder andere, bestimmte Merkmale betreffend (Blondinen sind blöd, Frauen können nicht einparken). Diese Einschätzungen beruhen teils auf selbst gemachten Erfahrungen, teilweise auf dem, was wir über eine bestimmte Gruppe Menschen gehört oder gelesen haben. Vorurteile haben ihre Berechtigung, denn sie kommen ja irgendwo her. Doch obgleich auf wahren Erfahrungen beruhend, sind Vorurteile trotz alldem niemals objektiv, das darf man nicht vergessen. Dazu ein Beispiel:

Nehmen wir uns mal die Muslime vor. Was passiert?

Zack, Geheimfächer in unseren Gehirnwindungen öffnen sich und mit einem leisen Knacken geben sie betende Männer, verschleierte Frauen, gesungene Suren aus dem Koran und Kopftücher frei. Und da wird es schon differenzierter: bei manchen Menschen enthalten diese Geheimfächer vielleicht Attentäter, Bauchweggürtel oder den IS. In anderen Köpfen, Köpfen, die vielleicht etwas herumgekommen sind und eigene Erfahrungen gesammelt haben, sind bunte Märkte dabei, Verkäufer, die einen in ihre Geschäfte ziehen und mithilfe vieler Komplimente einen Seidenschal passend zur Augenfarbe an den Mann (die Frau) bringen. Vielleicht ist es aber auch die liebe, lächelnde Kollegin von der Arbeit, die in einer solchen Kopf-Schublade ihren Platz gefunden hat.

Klischees teilen Menschen in Kategorien. Sie erleichtern uns das Denken. Doch – und das ist das Spannende daran – sie entstehen oftmals nicht aufgrund objektiver Wahrnehmung, da wir selektiv aussortieren, was für unser Gehirn wichtig ist und was nicht. Ich hatte mit Muslimen (um mal bei einer Gruppe zu bleiben) sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht. Ich denke, dass die positiven überwiegen, doch an die negativen kann sich ein Mensch besonders lebhaft erinnern. Dies ist ein reiner Schutz- und Erhaltungsmechanismus direkt von Mutter Natur, der dazu dienen soll, unangenehme und gar bedrohliche Situationen erneut zu meiden. Dem Löwen ist es wichtiger, nicht gefressen zu werden als sich daran zu erinnern, welcher Löwe früher einmal nett zu ihm war.

Man sagt als Richtwert, dass es bis zu fünf gute Erlebnisse braucht, um ein schlechtes auszugleichen, denn die schlechten bleiben umso länger hängen; aus genau diesem Grund sind Klischees und Vorurteile fast immer sehr negativ behaftet. Die Jugendlichen, die im Schwimmbad Frauen angrapschen, bleiben in der öffentlichen Wahrnehmung; die Flüchtlingskids, die sich nach Silvester 2016 freiwillig aufmachten, die Straßen ihrer Stadt zu kehren und zu säubern (lokale Nachrichten, Radio), versanken klanglos in den Weiten der Berichterstattung. Jeder wird sich an mit dem Messer zustechende Syrer erinnern, doch niemand an die Gruppe anderer Syrischer Migranten, die ihn dingfest machten und der Polizei zuführten.

Ich meine: Klischees im Kopf hat jeder, und das aus gutem Grund. All die schlimmen Dinge sind wirklich passiert, sind nicht von der Hand zu weisen. Und unser Kopf ruft uns: Vorsicht! Doch wichtig ist, zu erkennen, was solche Vorurteile eigentlich sind, wie sie gebildet werden und wozu sie da sind. Vorurteile soll man nicht verteufeln, denn sie sind ein Teil eines jeden Menschen. Wir alle leben damit, wir alle haben welche oder sind ihnen hier und da mal ausgesetzt. Man kann sie jedoch im Alltag, während einer neuen Begegnung, trotzdem versuchen, dort zu lassen, wo sie sind: nämlich in den Schubladen in unserem Kopf. Wir wissen ja, dass die Schublade da ist. Es ist unsere Entscheidung, ob wir sie öffnen oder nicht.

Du kannst nicht anders? Gedanken und Erfahrungswerte purzeln ungebeten einfach so heraus? Das ist nicht schlimm. Nimm es an. Doch bleibe offen – offen dafür, dass die Person, die dir gegenüber steht, vielleicht alle dir bekannten Klischees widerlegt. Oder aber auch nicht – vielleicht werden sich deine Stereotypen bestätigen. Auch das passiert manchmal. Nicht schlimm. Versuch weiter, offen zu sein.

Ich habe mich mit dem, was in meinem Kopf so über andere Völker kursiert, längst abgefunden. Chinesen essen alles? Nach all den Lifestyle-Sendungen darüber, welche Delikatessen es so in China zu kaufen oder zu bestellen gibt, fällt es mir schwer zu glauben, dass es anders ist. Aber wer weiß, vielleicht wird sich auch das irgendwann revidieren. Oder aber auch nicht.

Noch eine kleine Anekdote zum Thema „unmögliche“ muslimische Jugendliche: als ich neulich in Heidelberg mit Stefan und meiner Kusine durch die Fußgängerzone lief, kamen wir an einer arabischen Großfamilie unterwegs: Vater, Mutter (verschleiert), Kinder. Der kleinste Sohn warf seinen Müll auf die Pflastersteine der Straße, woraufhin ihm der ältere Bruder etwas in barschem Ton zurief. Eine weitere Ermahnung später mit Stimme, die keinen Widerstand duldete, lief der Kleine zerknirscht zurück und sammelte seinen Müll wieder auf. Ich lief beeindruckt weiter.

Sei immer bereit, das Denken in deinem Kopf umzukrempeln.

* Namen wurden geändert

Kasia

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