Sri-Lanka, Mai 2018
Wir werden an den Safari Guide übergeben und steigen in seinen Jeep um, während Soliya draußen auf uns wartet. Die Fahrerkabine ist von allen Seiten verschlossen, während der hintere Teil des Jeeps, in dem wir sitzen, links und rechts geöffnet ist: keine Scheiben, nur Planen, die man im Zweifelsfalle hinunter lassen könnte. Ich sehe uns bereits als Leckerbissen für den Leoparden.
Wo sich Halterungen für die Sicherheitsgurte hätten befinden sollen, klaffen schwarze Löcher, und zwar auf allen vier Plätzen. „Its okay, you can smoke in this car.“ Sagt unser Tourguide, als Stefan seine Zigarette austreten will. Als wir uns rein setzen, prangt ein rot durchgestrichener Aufkleber mit einer Zigarette an der Wand des Autos.
Wir kommen auf Landwegen bis außerhalb der Stadt. Der Guide hat einen zügigen Fahrstil, bremst jedoch, wie ich feststellen soll, für jedes kleine Vögelchen, was mich ungeheuer beruhigt. Wir sind auf den hinteren Sitzen des Jeeps für alle weithin sichtbar und einige winken uns zu. Die Straße ist schlecht und voller Löcher und bei dem Gehüpfe und dem Auf und Ab fühlen wir uns wie zwei Wackel-Dackel.
An Wasserflächen und einem See vorbei gelangen wir in die Außenbezirke, wo nur vereinzelt Häuser stehen, überholen einen Mönch in orangener Kutte, der sich auf den Rücksitz eines Rollers an den Rücken des Fahrers klammert und uns genauso interessiert anschaut wie wir ihn, und kommen auf eine gut asphaltierte Straße, die zum Yala Nationalpark führt. Hier versperrt uns erst einmal eine Kuhherde den Weg und hupend versuchen die Fahrzeuge, sich einen Weg hindurch zu bannen und die Tiere zum Ausweichen zu bewegen.
Doch ganz ohne Gegenwehr lassen die Kühe sich das nicht gefallen und ab und zu ist ein langgezogenes, unzufriedenes Muh die Antwort. Mit sanften Augen schauen uns die Tiere von der Seite an und trotten dann langsam und gemütlich zur Seite, nicht ohne vorher noch ein trotziges Muh einzuwenden. Die vor uns fahrenden Safarijeeps kommen ebenfalls kaum durch, die darin befindlichen Passagiere filmen das Geschehen. In solchen Momenten frage ich mich, was sich wohl die lokale Bevölkerung dabei denken mag, die Hirten, die die Kühe antreiben oder Mopedfahrer, die ebenfalls versuchen, sich durch die Masse der Kuhleiber hindurch zu zwängen. Sind die weißen Touristen denn verrück geworden, dass sie sogar schon Kühe filmen?
Gibt es keine Kühe da, wo sie herkommen?
Sri-Lanka Kühe mit Blaufilter 🙂
Irgendwann hat sich das Knäuel aufgelöst und die letzten Tiere neben uns haben ihr Muh ausgestoßen, wir fahren weiter. Wild lebende Pfaue spazieren links und rechts im Gras herum, weitläufige Seenlandschaften tun sich auf. Unser Guide macht uns auf eigens in Sri Lanka vorkommende Vogelarten aufmerksam. Hirsche grasen im Schatten der Bäume und Lotosblumen bedecken die Wasserflächen, tote, trockene Bäume ragen wie Skelette aus dem Wasser empor. Je auf der Rechten oder linken Seite der Straße sind große Plakate angebracht, die aussagen: Animals are the true owner of the jungle.
Ein kleiner, grün schimmernder Vogel lässt sich auf einem Zweig nahe des Weges nieder. „Das ist ein Bienenfresser.“ Erklärt unser Guide, der die wichtigsten Tiernamen und ansonsten ein wenig deutsch kann. Er bleibt immer stehen und macht uns auf Tiere aufmerksam, die wir sonst wohl nie gesehen hätten. Doch obwohl Wildschweine, Hirsche und diverse Vogelarten uns begegnen, befinden wir uns längst nicht im Nationalpark. Den sollen wir erst betreten.
An der Einfahrtskontrolle werden erst einmal Tickets gekauft. Das alles erledigt unser Guide, wir bleiben im Auto sitzen.
Die Straßen im Nationalpark, wenn man denn von solchen sprechen kann, sind abenteuerlich. In der Mitte mit Sand aufgeschüttet haben die Wege links und rechts ein starkes Gefälle, was den Guide nicht davon abbrachte, immer mal wieder mit seinem Gefährt entlang der Kante zu fahren. In solchen Momenten bleibt nichts anderes übrig als Gelassenheit und Vertrauen: Vertrauen in die Welt, Vertrauen in das Glück und Vertrauen darauf, dass das Auto nicht abrutschen und in die Büsche fahren wird und dass da jemand vorne am Steuer sitzt, der sich auskennt und die Strecke unzählige Male fährt. So entspanne ich mich und sehe in die Büsche, wer weiß, vielleicht läuft uns hier ein Leopard über den Weg?
Immer mal wieder halten wir an, wenn es etwas Interessantes zu sehen gibt. Manchmal nähern wir uns anderen Jeeps, die ohne ersichtlichen Grund in einer Reihe auf der Straße stehen. Dann zücken wir unsere Kamera: da muss irgendwas sein! Auf diese Weise entdecken wir auch ein paar Wildschweine, die zufrieden in der Sonne in einer schlammigen Pfütze baden. „Wildschwein!“ Ruft unser Guide. Er bleibt bei solchen Gelegenheiten immer solange stehen, bis er sich sicher ist, dass wir unsere Bilder im Kasten haben, auch steuert er den Jeep immer so, dass wir einen möglichst freien Blick auf die Tiere haben. Bilder im Kasten, wir fahren weiter. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass von dem badenden Schwein nur noch der nach oben geneigte Kopf zu sehen ist. Die Sau hat die Augen halb geschlossen und sieht so zufrieden aus, wie ein Schwein nur aussehen kann: in dem in der Sonne glänzendem Schlamm meine ich, sie sogar grinsen zu sehen.
Wunderschön anzuschauen sind die Wasserlandschaften, die immer wieder zwischen den Bäumen auftauchen. Rosarote und weiße Lilien bedecken das Wasser, schneeweiße Reiher stehen unbeweglich da und lauern auf kleinere Tiere. Kormorane lassen in der Hitze ihre Flügel gespreizt und am Himmel ziehen Seeweißkopfadler ihre Kreise. Krokodile, die unbeweglich am Ufer liegen, so gut getarnt, dass man sie für einen Baumstamm halten könnte, scheinen aus Stein gemeißelt zu sein. Wir sehen Wasserbüffel, die direkt vor dem Auto in einer größeren Wasserlache eintauchen, zufrieden nur den Kopf und den Rücken der Sonne ausstreckend, sehen Adler, immer wieder Hirsche mit ihren weißen Punkten auf dem Rücken bei den Jungtieren, Männchen mit ihrem Geweih. Ein Tier, das aussieht wie eine Kreuzung aus Waschbär und Eichhörnchen, läuft uns über den Weg. Der Duft von Blumen, der ab und zu zu uns herüber geweht kommt, vermischt sich mit dem leichten Geruch von Diesel. Sri Lanka wird für mich wohl für immer die blühende Insel bleiben, mit einer üppigen Vegetation, Exotik und dem subtilen Geruch von Abgasen in der Luft.
Und sogar eine Elefantenfamilie bekommen wir vor die Linse, wie sie in einem See baden gemeinsam mit ihren Elefantenbabys. Hier halten wir länger, denn es ist faszinierend, die Tiere zu beobachten, wie die Eltern, immer mal wieder in unsere Richtung schauend, die Babys in ihre Mitte nehmen, wie die Babys ins Wasser eintauchen, so dass nur noch die haarigen Köpfe zu sehen sind, wie sie sich gegenseitig mit Wasser abspritzen und mit ihren Rüsseln liebkosen. Es gibt nichts schöneres als Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu sehen. Deshalb gehe ich nicht gerne in den Zoo. Und natürlich geben die Elefanten auch ein grandioses Fotomotiv ab.
Elefantenbaden in Blaufilter, weiß der Himmel, warum… 🙂
Doch den wichtigsten Grund unseres Besuches, den Leoparden, haben wir noch nicht gesehen und meine Sorge darüber, dass uns die Raubkatze aus dem Auto zerrt und frisst, verwandelt sich in die Sorge, dass wir sie vielleicht gar nicht zu Gesicht bekommen. Wenn der Leopard überhaupt weiß, was von ihm als Nationalpark-Bewohner so erwartet wird, dann sollte er jetzt besser mit seinen Leopardenhüften kreisend auf die sandige Piste spaziert kommen und Lambada tanzen, aber nein… Einzig eine Spur von seiner letzten Mahlzeit, ein Büffelbaby, dessen Reste mit den Hufen nach unten in einem Baum hängen, zeugt davon, dass seine Anwesenheit noch gar nicht so lange her ist.
Ich merke, wie unser Guide nach Kräften am Suchen ist. Oft ändert er die Route, und immer mal wieder bleiben Jeeps nebeneinander stehen und die Fahrer verständigen sich untereinander. Wenn irgendwo eine gute Sichtung zu erwarten ist, wird diese Information sogleich an alle weiter gegeben, schließlich möchte man, dass alle Gäste ein eindrucksvolles Erlebnis haben. Einmal klettern wir mit dem Jeep eine felsige Route hoch, da sich zwischen den glatt polierten Felsen eine Wasserstelle befindet, an der der Leopard öfters zum Trinken kommt. Doch einzig ein einsamer Pfau steht grünlich glänzend unter dem Baum und schaut uns an. Vielleicht, denke ich mir, ist der Leopard schon längst da, gut im Dickicht verborgen, und beobachtet uns mit seinen unergründlichen, bernsteinfarbenen Augen.
Als es Abend wird und die tief stehende Sonne in wärmere Lichttöne wechselt, habe ich keine Angst mehr, dass der Leopard uns im Auto anfällt, sondern vielmehr, dass er sich gar nicht zeigt. Ein zweites Mal versuchen wir es an der Wasserfläche zwischen den Felsen und auch unterwegs bemerke ich, wie unser Guide mit den Augen die Büsche durchkämmt. Doch weder in den Büschen noch an der Wasserstelle haben wir Glück. Der Fahrer startet wieder den Motor. Als ein zweiter Jeep ankommt, kurbelt er das Fenster runter, sagt etwas und schüttelt den Kopf.
Es ist dunkel, als wir nach dem anschließenden Essen in Richtung unserer Unterkunft fahren. Wieder einmal haben wir Soliya überredet, mit uns zu essen, wobei er sich noch sichtlich unwohl zu fühlen scheint. Unser Fahrer gehört nicht zu den Menschen, die sich wie selbstverständlich mit dazu setzen und erfindet immer wieder Ausreden, um im Hintergrund zu bleiben. Mit seiner zurückhaltenden Art und seinem Anstand hat er uns bereits am zweiten Tag komplett für sich eingenommen. Und auch er selbst ist ein wenig aufgetaut. „Nun fahren wir hoch in die Berge.“ Sagt er zu uns.
Wir bewegen uns jetzt ins Landesinnere, in das Hochland von Sri Lanka, geprägt von grünen Hügeln und Teeplantagen, vorbei an kleinen Ortschaften und Ständen, die am Straßenrand sonnengelbe Kokosnüsse und Bananen verkaufen. Wer bei den sonnengelben Kokosnüssen jetzt die Stirn runzelt: es ist eine eigene Art, die es in Deutschland nur selten zu kaufen gibt, in Sri Lanka jedoch an jeder Ecke. Die Kokosnuss wird an einer Seite mit der Machete aufgeschlagen und das fruchtige Wasser im Innern mit einem Strohhalm getrunken. Doch auch das Fruchtfleisch, obgleich sehr spärlich, lässt sich essen: es ist glibbrig und weißlich und sieht ein wenig aus wie eine Qualle im Wasser, schmeckt aber köstlich. Es wird mit einem Stück der Kokosnussschale wie mit einem Löffel ausgeschabt.
Während der Fahrt im Dunkeln muss unser Fahrer doppelt und dreifach aufpassen, um die nur schlecht sichtbaren Fußgänger und Tiere rechtzeitig zu erkennen. Was nichts an seiner Fahrweise ändert, immer noch werden Motorräder und Tuk Tuks in letztem Moment überholt. Doch langsam fange ich an, zu erkennen, dass die Manöver viel mehr als nur Glück sind, es ist eine Mischung aus hoher Aufmerksamkeit und schnellem Reaktionsvermögen. Manche Fahrzeuge kommen uns mit Fernlicht entgegen, manche komplett unbeleuchtet. Was anderen Verkehrsteilnehmern hier in diesem Land nicht einmal ein Achselzucken mehr abringt.
Auch haben die lang anhaltenden Fernlicht-Zeichen oft etwas zu bedeuten: nämlich, dass hinter dem nächsten Baum im Dunkeln eine Polizeikontrolle lauert und man gut beraten ist, sein Tempo zu drosseln. Immer wieder sehen wir eine Lichthupe und gefühlt alle zwei bis fünf Kilometer sehen wir die Männer in braunen Uniformen, immerzu fünf oder sechs auf einmal, am Rand der Straße stehen. Unfassbar, über wie viel Personal die örtlichen Behörden hier verfügen müssen.
Irgendwann beginnt sich die Straße steil nach oben zu winden. Immer spärlicher werden die Ortschaften, dafür wird die Luft frischer, so dass wir unsere Fenster öffnen. Es riecht nach Nebel, nach Grün und nach Wald, und immer wieder hängt der süße, schwere Duft von Jasmin in der nächtlichen Luft. Wir halten unsere Köpfe aus dem Fenster und in den Fahrtwind hinein und fühlen uns wie diese Hunde mit ausgestreckter Schlabberzunge und wehenden Ohren, die man manchmal aus Autofenstern heraushängen sieht. Wir bewegen uns immer höher die kurvige Straße am Abgrund entlang und als ich die Lichter der Städte tief unter uns leuchten sehe, kann ich nur erahnen, welch großartiges Panorama sich hier am Tage unter uns auftun würde. Inzwischen hat es begonnen, leicht zu nießeln: der übliche Regen am Abend.
„Da rechts ist ein Wasserfall, könnt ihr ihn sehen?“
Auch in Ella, auf 1000 m Höhe, kontrolliert die Polizei auf der nächtlichen Straße. Ella scheint ein Ort für Backpacker zu sein, zumindest sehen wir ein paar von ihnen zwischen den vielen Unterkünften entlang gehen. Immer höher klettert Soliya mit seinem Auto und der letzte Abschnitt ist etwas, das ich nicht einmal als einen Radweg irgendwo im Feld bezeichnen würde, eng und holprig und oft sieht es fast aus, als würden wir geradewegs mitten in die Büsche fahren.
Soliya informiert uns, dass wir fast am höchsten Punkt des Berges übernachten werden. Ein Junge vom Hotel läuft mit unserem Koffer auf dem Kopf so schnell vorneweg, dass ich ohne Gepäck Mühe habe, über all die Treppen und regennassen Steine hinter ihm her zu kommen.
Unsere Unterkunft ist ein kleines Häuschen, angeklebt am Hang des Berges wie ein Schwalbennest. Mitten im schwachen Licht des großen, aufgehenden Mondes kann man die Umrisse der Berge links und rechts erahnen und die Lichter der Häuser unten im Tal lassen nur vermuten, welch eine gigantische Aussicht sich einem hier am Tage auftun würde. Wir setzen uns mit einem Bier auf die mit Geländer versehene Terrasse vor dem Haus und schauen dem Wandern des Mondes zu. Um uns herum – Geräusche der Natur: Zwitschern, Rascheln, Rufen, Zirpen, Gurren – der Dschungel um uns herum pulsiert.