Während der Bus gemütlich durch die winterlichen Straßen tuckert, wird unsere Runde immer fröhlicher. Was nicht zuletzt an all dem Schnaps und Likör liegen könnte, der immer mal wieder durch die Reihen gereicht wird, zuzüglich der selbstgebackenen Kekse von Kurt. Werner, der Busfahrer, hat das Nachsehen – denn während er den grauen Tag und den Verkehr da draußen im Auge behalten muss, wird für uns die Welt immer bunter. Der Likör schmeckt köstlich, so dass wir, leicht angesäuselt, nach über zwei Stunden an unserem Zielort ankommen: Dem Straßburger Weihnachtsmarkt.
Nun, zunächst einmal nicht direkt dort, sondern an einem Busbahnhof, der sich einige Schritte vom Zentrum entfernt befindet. Aufgeheizt und aufgekratzt quälen wir uns hinaus in die trübe Kälte. Schon die Fahrt hierher war ein feucht-fröhliches Ereignis, was auch an den tollen, fröhlichen Leuten lag, mit denen ich die Schnäpse teilte. Doch noch nie habe ich den Weihnachtsmarkt in Straßburg live erlebt, und so kam es, dass ich, als die Ausfahrt organisiert und bekannt gegeben wurde, als erstes rief: Hier!
Und jetzt bin ich hier, mit meiner Biker-Truppe vom Stammtisch der Heppenheimer, und stampfe zusammen mit den anderen durch die kalte, schneelose Stadt.
Der Stammtisch der Heppenheimer organisiert nicht nur Motorrad-Ausfahrten im Sommer; auch im Winter gehören gemeinsame Unternehmungen zur schönen Gewohnheit. Das stärkt den Zusammenhalt und lässt uns, während wir Schnaps trinken und über Bikes fachsimpeln, die kalte, Motorrad-lose Wintersaison überstehen.
Der Straßburger Weihnachtsmarkt ist voll und wird immer voller. Begeistert drücke ich mich zwischen all den Besuchern hindurch, während ich wie ein Jagdhund in der Luft nach Lebkuchen und den süß-würzigen Düften der handgemachten Glühweine schnuppere. Überall brennen Lichterketten und allerlei an Weihnachtsschmuck, Girlanden, Puppen und übergroßen Plüschbären schmückt Fenster und Hausfassaden und überdimensionale Lebkuchenmännlein hängen an den Wänden.
Die Straßburger sprechen deutsch – theoretisch jedenfalls. Doch wie mir scheint, nicht allzu gerne. So bestelle ich brav meinen Glühwein in gebrochenem französisch, zufrieden damit, mich irgendwie durchgeschlagen und das Richtige bekommen zu haben. Doch letztendlich ist es egal, was ich bekommen hätte – jede einzelne Sorte, die die kulinarisch verwöhnten Franzosen auf Lager haben, schmeckt himmlisch. So probieren wir uns alle durch die Getränkekarte, was unsere Laune noch weiter hebt und uns die A*** Kälte vergessen lässt.
Wir nehmen mit unseren Getränken auf einer langen Holzbank Platz. Baumelnde Weihnachtsmann-Mützen und Renntiergeweihe schaukeln neben mir auf Kopfen der sonst so coolen Biker, die eine oder andere Mütze blinkt wie eine Baustellen-Warnleuchte auf der Autobahn. Mein knappes Jäckchen erweist sich als zu wenig und neidisch schiele ich auf die mollig warmen Plüschmützen und die dicken Handschuhe der anderen. Der Tag bleibt grau, doch das stört hier keinen, um mich herum sehe ich viele fröhliche (oder angeheiterte?) Gesichter, höre Geplapper, Gelächter und melodisches Vogelgezwitscher.
Hä?
Es dauert mehrere Sekunden, bis ich endlich begreife, was mich an dem Geräusch stört: Es gehört nicht zum Winter. Hastig beginne ich, um mich zu blicken, um die Quelle des ungewöhnliches Gezwitschers zu orten. Kein Vogel weit und breit; stattdessen bleibt mein Blick auf einem großen, hageren Mann hängen, der, von einer kleinen Menschentraube umringt, mit weit aufgerissenen Augen und starrer Miene mitten auf dem Platz sitzt. Und aus seinem zusammengekniffenen Mund, während er fröhlich in die Menge blickt, kommen diese sommerlichen, authentisch klingenden Geräusche. Ich staune mit den versammelten Kindern um die Wette.
Wir schlendern weiter, vorbei an Kerzen, Holzfigürchen und lecker duftenden Spezialitäten. Inzwischen ist es fast dunkel geworden und der Himmel glüht in einem satten Rosa. Dafür leuchten nun überall Girlanden um die Wette und von Kochstellen und übergroßen Glühwein-Töpfen steigt Dampf in die Höhe. Der Besucherandrang ist, obgleich dies bis eben kaum möglich schien, noch größer geworden, und ich fühle, wie ich vor lauter köstlichem Glühwein lustig zu schwanken beginne. Was gutes hat der Andrang ja – er macht es unmöglich, umzufallen.
Irgendwann am Abend gibt es das obligatorische Gruppenfoto, danach wandern wir gemeinsam wieder zum Bus zurück. Inzwischen ist es bereits dunkel und ich versuche, auf einer Brücke stehend, die funkelnden Lichter mit der Kamera einzufangen, die auf der teerschwarzen, unruhigen Wasseroberfläche tanzen.
Auf dem Heimweg sitze ich auf dem vordersten Platz, die Kopfhörer unter meiner Mütze fest in den Ohren, während sich die Truppe hinter mir auf dem Smartphone nicht jugendfreie Filme ansieht.
Tss tsss… böse, böse…