Vogesen, Dezember 2016
Die Außentür schwingt auf, dann wieder zu. Auf und wieder zu. Laute, durchdringende Frauenstimmen erfüllen den Wellnessbereich, schallen von den gefliesten Wänden, ungeachtet unseres Ruhebedarfs. In der kleinen Sauna sitzend können wir förmlich dabei zusehen, wie unsere meditative Stimmung ihre Stiefel anzieht und geht.
Wir stutzen mitten in der Unterhaltung. Stefan schaut kurz raus.
„Entschuldige mich einen Augenblick.“ Sage ich und erhebe mich. Ich öffne die verglaste Saunatür, beuge mich runter und greife mir die große, dicke Keule (ihr wisst schon: So eine wie Fred Feuerstein immer hatte 😉 ), die hinter dem Vorhang verborgen in der Ecke der Dusche steht. Dann laufe ich hinaus.
Ein kurzes „wumm!“ ist zu hören. Danach noch eines. Tapsende Schritte, jemand rennt. Noch ein „wumm!“; ein kurzes Geräusch, als wenn jemand fällt. Dann – nichts mehr. Die Damen liegen da, aneinander gelehnt und mit Kreuzchen in den Augen, und kleine, zwitschernde Vögelchen kreisen über ihren Köpfen. Kein Geschnatter mehr, angenehme Stille.
Ich gehe zurück, stelle die Fred-Feuerstein-Keule in ihre Ecke zurück, öffne die Tür zur Sauna, setze mich wieder hin, Stefan gegenüber. Atme tief durch. „Also; wo sind wir stehen geblieben? Ach ja, das Wetter, echt kalt zur Zeit…“
(Zur Aufklärung: Die Sache mit der Keule war rein fiktiver Natur; Wunschdenken eben…)
Unterwegs steht die Sonne schräg und leuchtet uns ins Auto, als wir durch das hügelige Elsässer Land fahren. Sie blendet und das diffuse Licht lässt alles vor uns schemenhaft erscheinen, ganz so, als schwebten winzig kleine Partikel in der Luft. Als wir ankommen, ist es Abend. Die Wintersonne ist verschwunden und der Reif setzt sich auf den Bäumen ab wie der zu Eis gefrorene Atem eines Riesen. Es ist Nachmittags um vier und es ist frostig und kalt. Ich will die weißen Bäume in der Ferne fotografieren. Von hier aus sieht man sie so schlecht; wir stehen vor dem Gasthof Le vieux hêtre in Wangenbourg-Engenthal.
„Lass uns erstmal einchecken.“ Sagt Stefan. Aber ich laufe los, das Stück des Weges wieder zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Gleich wird es dunkel werden, ich will nicht warten. Kurz darauf hält ein Auto neben mir. Ich steige ein. Stefan fährt mich zu der Stelle, von wo aus sich der Hügel gut überblicken lässt. Dort mache ich meine Bilder.
Als wir vor der verglasten Tür des Hotels stehen, dessen hell erleuchtete Innenräume Wärme und Gemütlichkeit versprechen, werden wir von zwei kläffenden, kleinen Hunden begrüßt. Ein Mädchen, vermutlich die Tochter des Wirts, erscheint kurz darauf im Türrahmen, lächelt uns an und hebt einen der Hunde auf den Arm. Wir treten ein.
Der Wirt, ein lustiger, kleiner Franzose mit Schnurrbart und forschen Augen, betreibt das Hotel zusammen mit seiner Frau; ich kenne ihn schon von meinen früheren Motorradtouren. Ich bin anfangs unschlüssig, wie ich kommunizieren soll, denn obwohl mir bekannt ist, dass man hier durchaus deutsch spricht, erscheint es mir unhöflich, es nicht wenigstens mit französisch zu versuchen. Doch schnell nimmt mir Stefan mein Dilemma ab, indem er in reinstem Hochdeutsch verkündet:
„Guten Abend! Wir hatten reserviert!“ Ich krümme mich innerlich zusammen.
„Was denn? Das alles hier war einmal von den Deutschen besetzt!“ Stefan schaut mich entschuldigend an, als wir wieder draußen und auf dem Weg in unser Zimmer sind.
„Dann lauf zurück und sag ihnen das; die Frauen jagen dich mit einem Besen wieder hinaus!“
Das Einchecken geht schnell und kurz darauf stehen wir, nur mit Badesachen bekleidet, unschlüssig im Wellnessbereich des Hotels vor dem abgedeckten Whirlpool. Hier scheint auch die Winterpause eingekehrt zu sein – der Whirl- wie auch der große Pool sind zugedeckt. Bürgersteige hochgeklappt sozusagen. Schade, denn gerade auf die Wellness-Zone hier habe ich mich sehr gefreut. Der große Raum ist auf zwei Seiten verglast und erlaubt einen Blick über das Tal und die bewaldeten Hügel.
Ob wir die Abdeckung abnehmen sollen? Vorsichtig machen wir uns daran zu schaffen. Und siehe da – das Wasser drunter ist noch warm – angenehm temperiert auf 35 Grad. Wir aktivieren das Gesprudel und zwei Minuten später sitzen wir drin. Warm… toll. Nur etwas muffig riecht es, ganz so, als sei schon lange keiner mehr drin gewesen.
Oder als wären über eine zu lange Zeit zu viele drin gewesen… „…mal das Wasser auswechseln…“ Sagt Stefan. Ich zucke mit den Schultern. Was solls, wir sind eben in der Winterpause gekommen.
Nach einer halben Stunde wird mir selbst der Whirlpool zu kalt. Nur gut, dass die Sauna schon für uns vorgeheizt wurde…
Ich mache einen Aufguss. So langsam weicht die hartnäckige Kälte aus unseren Knochen. Wir entspannen uns. Atmen die schwere, mir ätherischen Ölen geschwängerte Luft. Denken an gar nichts.
Dann schwingt die Außentür auf; wir merken, dass wir nicht mehr alleine sind. Zwei Frauen mittleren Alters sind sich unschlüssig: Swimming Pool oder doch zuerst in die Sauna? Und sie haben anscheinend beschlossen, das hier und jetzt auszudiskutieren. Wir hören laute Stimmen, die sich in französischer Sprache beratschlagen. Oder vielleicht sprechen sie auch nur über das vorletzte Mittagessen; ich kann sie leider nicht verstehen. Fakt aber ist, dass sie nicht versuchen, ihre Stimme zu dämpfen. Die Tür geht ein paar Mal auf und zu. Geräuschvoll.
„Schau mal, Schatz.“ Sage ich und strecke meinen Finger aus.
„Genau da, in der Ecke hinter dem Vorhang… Wenn da eine große Keule stünde; weißt du, was ich jetzt machen würde?“
Sein Blick folgt meiner ausgestreckten Hand.
Später beim Essen.
Der kleine Franzose sagt zunächst nichts; er steht da und blickt streng auf meinen Teller hinunter. So vergeht eine Minute oder zwei, bis ich mich ganz unwohl fühle und innerlich anfange, auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.
„Alles aufessen!“ Sagt er schließlich; seine Augen funkeln und sein Schnurrbart wackelt beim Sprechen. „Sonscht gibtsch keinen Nachtisch!“
Der kleine, zottelige Hund verschwindet unter unserer Tischdecke. Ich hebe diese leicht an – zwei hoffnungsvolle, schwarze Knopfaugen schauen zu mir hoch. Wir sind für diesen kurzen Augenblick, da unsere Teller gut gefüllt sind, seine besten Freunde geworden.
Genießen wie Gott in Frankreich, fällt mir ein und ich muss an meinen Besuch in Paris denken. Ganze Pfännchen stehen dampfend vor uns und die Menge an hausgemachter Käsespätzle und Schweinemedaillons hätte vermutlich drei Leute locker satt gemacht. Stefan und ich kämpfen uns durch das restliche Fleisch.
Aber Nachtisch? Der geht immer…