Deutschland, Europa

Zeche Zollverein

Dieser Beitrag wurde bereits 2017 veröffentlicht. Dies ist eine überarbeitete Version.

Die Menschen im Ruhrgebiet sind eigenwillig. Eine Mischung aus herzlich-rau. Ich sehe viele Piercings, Tattoos und bunt gefärbtes Haar, als ich an diesem Morgen am Hauptbahnhof aus- und in die Straßenbahn 107 einsteige. Zeche Zollverein, UNESCO Welterbe, du bist mein Ziel.

An der Haltestelle Zollverein Nord im Stadtteil Stoppenberg steige ich aus. Und stehe fünf Minuten später da, mit hoch erhobenem Kopf, auf dem Zechengelände, und versuche die Größenverhältnisse, die sich mir da bieten, erst einmal richtig einzuordnen. Denn der Förderturm ist riesig. 55 Meter, in Zahlen ausgedrückt, lassen den Menschen unter sich winzig-klein erscheinen. Eine 24 Meter hohe Rolltreppe führt nach oben und ich gönne mir den Spaß, die normale Treppe, die sich in der Mitte befindet, zu Fuß hinauf zu steigen. Doch das mache ich genau ein Mal – schnaufend und außer Puste komme ich oben an, während die Besucher verwundert und lautlos zu meiner Rechten an mir vorbei schweben.

Oben angekommen erwartet mich eine faszinierende Mischung aus kaltem Stahl und einladenden Cafés, aus Ausstellungsräumen inmitten von still stehenden Schrauben, Ketten, Förderbändern. Dieser Mix ist absolut fesselnd, denn auf geschickte Weise verbindet er kalte, kahle Industrie mit Wohlfühloasen. Es gibt Dauer- und Sonderausstellungen, die Bandbreite der Themen erstreckt sich über Kunst, Geschichte der Region, Fotografie und Design. Und eine dieser Ausstellungen habe ich mir für später aufgehoben. Es ist das Red Dot Design Museum, welches seine Räume ebenfalls auf dem Gelände der Zeche Zollverein hat und die weltweit größte Ausstellung zeitgenössischen Designs sein eigen nennen darf.

Das Außengelände der Zeche ist von Büschen und schlanken, jungen Birken überwachsen, die sich ihren Weg an den still gelegten Anlagen und nicht mehr genutzten Gleisen bahnen. Schnell lässt mich der Ort die morbide Faszination der momentan so beliebten Lost Places spüren und gäbe es die wegweisenden Schautafeln nicht, könnte ich mich auf dem weitläufigen Gelände leicht verlieren. Kleine Teiche spiegeln Türme und Gebilde aus rostigem Stahl in ihrer ruhigen, klaren Oberfläche wieder und lassen mich im Stillen darüber rätseln, welche Funktion sie früher einmal erfüllten.

Die Zeche war im Zeitraum 1851-1986, über hundert Jahre lang also, ein Steinkohlebergwerk. Mehr noch, sie war ihrerzeit die größte Steinkohleförderanlage der Welt. Sie wurde von Franz Haniel gegründet, einem Industriellen, der auf der Suche nach Koksvorkommen war – und sie in Essen Schönebeck fand. Das Kohleflöz wurde nach dem Deutschen Zollverein gegründet, der Name übertrug sich auf die Zeche. Im Jahr 1937 erreichte die Förderleistung 3,6 mio. Tonnen. Mit 54 Öfen wurden 200.000 Tonnen Koks erzeugt. Selbst den 2-ten Weltkrieg überstand die Zeche relativ gut und war 1953 schon wieder dabei, 2,4 mio. Tonnen zu produzieren. Was bremste also den Aufwärtstrend? Die Stahlkriese und die daraufhin fallende Nachfrage nach Koks führte dazu, dass ab den 60er Jahren Abschnitte der Anlagen nach und nach zusammen gebaut wurden.

Stillgelegt wurde Zeche Zollverein im Jahr 1986 – bis auf die Kokerei, die noch bis 1993 in Betrieb war. Das Land Nordrhein-Westfallen kaufte das Gelände von Schacht XII und ließ es sanieren und architektonisch umgestalten. Die Veränderungen sind nicht gravierend, sie fügen sich in die raue Struktur. Ob Cafés oder Museen, Ausstellungsräume oder die Eisfläche, die im Winter im Betrieb ist. Es ist verbrachte Zeit an einem besonderen Ort.

Die Anlage bietet Raum für Museen und Ausstellungen aller Art (u.a. Folkwang Universität der Künste). Aber auch die Anlage an sich ist sehenswert und gilt laut UNESCO-Weltkulturerbe (seit 2001) als die schönste Zeche der Welt. Doch außer Ausstellungen und Museen beherbergt das weitläufige Gelände im Bereich der ehemaligen Kokerei das Werksschwimmbad Zollverein, wo man während der NRW Ferien den Sommer genießen kann. Im Winter bietet eine 150 Meter lange Eislauffläche, ebenfalls entlang der Kokerei, Schlittschuhläufern die Möglichkeit, inmitten von inaktiven Koksöfen und verlassenen Stahlträgern ihre Pirouetten zu drehen – welch spannender Gedanke! Besonders am Abend, wenn das Eis in buntes Disco-Licht getaucht wird, muss das Erlebnis einzigartig sein.

Und als ich dort ankomme, ist die Eislauffläche voll freudiger Läufer; jeder, der kann, schnappt sich ein Paar Schlittschuhe und los gehts! Kindergesichter strahlen vor sich hin, während oben über den Schlittschuhläufern die Stahlkonstruktionen in den Himmel zu streben scheinen.

Das Red Dot Design Museum stellt mit seinen 2000 Exponaten Alltagsgegenstände aus, die formschön und funktionell sein sollen und die kulturellen Unterschiede von 45 Nationen festhalten. Hier findet sich alles, vom Fahrrad bis hin zum Vibrator im Form eines Massagestabs. Vielmehr als die Gegenstände selbst gefällt mir die Art, wie sie präsentiert werden: So sieht man zum Beispiel einen dunklen, ansonsten völlig leeren Raum, in dessen Mitte ein einziger, leuchtend gelber Stuhl steht. Oben angebrachte, unsichtbare Scheinwerfer verstärken noch den Effekt. Mannsgroße Lampen in Form weißer, leuchtender Ufo-Männchen füllen einen ganzen Raum und ein Paravent mit Merkels Kopf und Raute zeigt dem Betrachter eindrucksvoll, wie man mit ein paar wenigen Strichen die wichtigsten Charakteristika eines Menschen einfangen und wiedergeben kann. Schlichtheit und schnörkellose, moderne Eleganz scheinen sich hier wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung zu ziehen. Ich lasse mir viel Zeit.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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