Deutschland, Europa

Bad Neuenahr-Ahrweiler – Ein Ort zum Nichtstun

Bad Neuenahr-Ahrweiler, April 2017

Das Singen der Vögel wirkt hypnotisierend. Zu keiner anderen Zeit hört man sie so wie in Frühling. Ich sitze in einem Garten voller Obstbäume. Einige von ihnen blühen schon; weiß der Apfelbaum, und an der feinen, rosaroten Blüte erkenne ich die Kirsche. Der Gesang der Vögel ist noch eindringlicher als vorhin in der Stadt und mischt sich mit dem fernen Rauschen der Autos auf der Bundesstraße, irgendwo weit außerhalb des Ortes.

Als ich gestern Nachmittag vor der Tür des Hotels stehe, bin ich müde und will nichts sehnlicher als mich wenigstens für eine kurze Zeit in ein weiches, frisch duftendes Bett zu legen und meine Augen zu schließen. Ich drücke an der Tür – abgeschlossen. Die Tasche in der Armbeuge eingeklemmt und das Gepäck in der anderen Hand suche ich die Klingel und drücke darauf. Eine Männerstimme ertönt aus der Sprechanlage. Warum macht er denn nicht gleich auf? „Oberdorf, ich habe reserviert.“
„…bitte? Ich kann Sie nicht verstehen.“ „Oberdorf, ich habe reserviert!“ Ich beuge mich vor, darauf achtend, dass mir die Tasche nicht aus den Händen gleitet und bin schon leicht genervt. Endlich summt leise die Tür und ich trete ein.

Ein schmächtig aussehender Mann mit grauem Haar und Brille kommt mir auf dem Flur entgegen. Wie ein Bibliothekar wirkt er auf mich. „Tut mir leid, ich habe die Sprechanlage nicht gehört.“ Er nimmt mir sofort mein Gepäck aus der Hand. Zunächst zeigt er mir die Räumlichkeiten. „Hier ist das Lesezimmer – und hier sind Bücher, falls Sie mal etwas lesen möchten. Hier um die Ecke ist das Esszimmer – hier die Getränke.“ Wasser, Säfte und Biersorten winken mir entgegen. „Sie können sich einfach etwas nehmen; schreiben Sie es einfach mit der Zimmernummer auf die Liste.“ Ich bin erstaunt ob so viel Vertrauen.

Er zeigt mir das Schwimmbecken – der Wellnessraum ist verglast und gibt den Blick auf den blühenden Obstgarten frei. „Die Sauna ist an von 17 bis 19 Uhr. Schwimmen können Sie von morgens um sieben bis abends um 21 Uhr.“ Er spricht die Uhrzeiten langsam und eindringlich aus und zeigt mir die Zahlen zusätzlich mit der Hand auf der Uhr an. „Von sieben bis einundzwanzig Uhr.“ Die ganze Zeit, während er spricht, nicke ich eifrig, doch spätestens jetzt muss ich breit grinsen und auch meine Müdigkeit ist ein wenig verflogen. Doch spätestens oben auf dem Zimmer kehrt sie mit vermehrter Kraft zurück und kurze Zeit später ist nur noch mein Kopf unter dem Deckenberg zu sehen.

Am nächsten Morgen beim Frühstück wird mir klar, wieso er die Uhrzeiten so laut und deutlich wiederholt hatte – der Altersdurchschnitt der frühstückenden Gäste beträgt gefühlte neunzig. Dass ich da ein wenig aus dem Rahmen falle, sei dahingestellt.

Die Dame des Hauses schwebt von Tisch zu Tisch und schenkt Kaffee ein. Danach schwebe ich an der Glastür des Schwimmbeckens vorbei, das verheißungsvoll hellblau durch die Scheibe leuchtet, und drücke mir die Nase an derselben platt. Hm, ob ich heute nach Feierabend mal ein paar Runden ins Wasser gehen soll? – überlege ich.

Doch am Abend ist mir das Wetter zu schön, und so sitze ich im Obstgarten, ein kühles Alkoholfreies in der Hand, und beobachte kleine Vögel, wie sie auf dem gemähten Rasen hüpfen. Eine schwarze Katze schleicht auf der anderen Seite des Zaunes zwischen den Kirschbäumen umher, nur um gleich wieder vom großen Golden Retriever der Nachbarn enthusiastisch verjagt zu werden. Eine dicke Hummel begibt sich ins Gebüsch, auf der Suche nach was auch immer. Ich sehe sie und muss lächeln. Eigentlich dürften Hummel gar nicht fliegen, da ihr Körper viel zu groß und schwer für ihre Flügelspannweite ist. Physikalisch unmöglich – habe ich zumindest irgendwo gelesen. Doch die Hummel weiß nichts davon; denn wüsste sie es, würde sie vermutlich sofort vom Himmel fallen. Die Hummel weiß also nichts davon – und fliegt trotzdem munter umher. Was für eine schöne Metapher.

Das stetige Plätschern des kleinen Brunnens vor dem Kur Thermal Badehaus. Überall bilden zarte Magnolienblätter all den hellen, prunkvollen Gebäuden einen romantischen Rahmen. Die Vöglein singen ihr Lied (eigentlich verteidigen sie nur ihr Revier, doch das blende ich in meiner romantischen Verklärung natürlich völlig aus.). Die Sonne verschwindet kurz hinter einer Wolke, um danach wieder hervorzukommen und mein Gesicht zu liebkosen, wofür ja sonst mein Liebster zuständig ist, doch der tingelt auf einer Schulung in Schwarzwald herum und ich, ich bin hier…

Ich ignoriere das Ziepen meiner Hose, die den Winter über unter unerklärlichen Umständen irgendwie eingelaufen sein muss *hüstel* und beiße beherzt in mein Stück Pizza vom Bäcker. Hey, ist das eine Harley, die da gemütlich über die Straßen tuckert? Bald schon, da in April, darf ich auch wieder…

Es geht ein leichter Wind. Ein alter Mann mit ehrwürdigem, weißen Haupt schiebt seinen Rollator den Gehweg entlang. Dabei zuzusehen entspannt ungemein. Viele ehrwürdig weiße Häupter sollen mir noch hier begegnen.

Ich bin in Bad Neuenahr.

Bad Neuenahr ist ein kleiner Kurort, 21 km südlich von Bonn im Ahrtal gelegen. Es ist gemütlich, entspannt, entschleunigt. Die Sonne scheint wie auf Bestellung. Es ist nicht zu warm – auch nicht zu kühl, es ist perfekt. Hip, lebendig und modern kann man woanders finden – hier fühlt es sich an, als stünde die Zeit. Es gibt nichts zu erleben. Und genau das ist im Moment das Beste für mich. (Nun, so ganz stimmt das nicht; man kann sich in einer der vielen Thermalbäder vergnügen oder das Ahrtal mit dem Fahrrad erkunden. Und in meiner Tasche wartet wieder einmal Stephen King auf mich…)

Nichts zu tun zu haben nimmt Geschwindigkeit raus. Sich nichts ansehen zu müssen, nicht das Gefühl haben, alle Aktivitäten gleich mitnehmen zu müssen, sonst verpasse man etwas…

Ich weiß nicht, ob ich Euch diesen Ort empfehlen  kann. Es ist schön hier – doch gibt es im Speziellen nichts weiter anzuschauen. Man schaltet ab von der Hetze des Tages. Wenn Du etwas sehen, etwas erleben möchtest, so ist es vielleicht nicht das richtige. Denn hier verpasst du nichts – es gibt nichts zu verpassen. Ich selbst genieße es hier. Puste leicht die Fliege von meinem Heft herunter, die sich dort niedergelassen hat, beiße in mein Pizzastück.

Man kann hier praktisch dabei zusehen, wie die Zeit dahin fließt. Möchtest Du entspannen, die Seele baumeln lassen, so wirst Du es sicherlich auch genießen. Kein (Zeit)druck. Keine To-do-Listen zum Abhacken – die hohe Kunst des Seins.

Es ist 18 Uhr, die große, schwarze Stadtuhr ist zum Leben erwacht und spielt eine verrückte, schnelle Melodie. Jetzt sind wir alle wach; die ergrauten Köpfe schauen umher und jeder fragt sich zunächst, ob sein Nachbar das Handy laut gelassen hat. Nach der Musik klingen die Kirchenglocken. Es ist Abend.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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