Bonaire, September 2016
Ich habe mir doch vorgenommen, minimalistisch zu verreisen! – denke ich, während ich den Vorrat an Sonnenschutz und Apres in meinem Koffer verstaue, der alleine schon an die „minimalistische“ drei Kilo wiegt… (Der Vorrat, nicht der Koffer, wohlgemerkt!) Der Auftakt für Bonaire beginnt…!
Irgendwann sitze ich da, im Fernsehen läuft eine Sendung über die Raumfahrt, und meine Packliste (Details spare ich mir an dieser Stelle, viele Packlisten fallen gewöhnlicherweise ziemlich gleich aus…) weist keinerlei offenen Punkte mehr auf. Meine Nägel sind frisch lackiert, und Rotwein und Zigarillo sorgen für gute Laune. Es kann losgehen!
„Aufstehen!“ Stefan findet mich zusammengerollt auf der Couch neben meinem Handgepäck liegen. Mürrisch tappe ich ins Bad. Zu früh, viel zu früh!
„Soll ich dir eine Tablette geben, die dich wach macht?“ Wir sind gerade losgefahren. Es ist halb zwei Uhr in der Früh und das erste Gähnen macht sich breit. Und diesmal richtet sich die Frage an Stefan, der noch müder zu sein scheint als ich.
„Ach, hast du so was, ja?“ Wir halten am ersten Parkplatz an. Ich krame Tenuate aus dem Koffer.
„Und was ist das?“
„Ein Appetitzügler.“
„Oha…“
Ich halte Stefan eine Tablette hin. „So, mein Schatz; dann mal runter mit dem Dreck!“ Gehorsam schluckt er die Tablette und spült mit Red Bull nach. Solidarisch werfe ich selbst auch eine mit ein. Danach bleiben wir wach.
Fröhlich wach durch die Nacht
Wir fahren die Nacht durch. Unterwegs unterhalten wir uns die meiste Zeit, um nicht wieder müde zu werden. Ich habe nicht wirklich das Bedürfnis nach Schlaf, und auch bei Stefan tritt die Müdigkeit in den Hintergrund. Natürlich entschlüpft uns trotzdem ein Gähnen, sobald wir an das Wort „Schlafen“ nur denken.
Unterwegs erkläre ich ihn dann die Wirk- und Nebenwirkungen der Tablette. „Vor dem Flug gebe ich dir dann eine Tavor, damit du im Flieger schlafen kannst. Das kehrt die Wirkung von Tenuate um.“ Ich grinse diebisch. „Dein Körper wird mich hassen…“
Ein kleiner Sprinter mit polnischem Kennzeichen knattert bereits zum dritten Mal an uns vorbei. Hää?
Man kann während einer langen Fahrt viel reflektieren. Ich erzähle Stefan von der Arbeit. Von meiner Kamera, die ich mir just für diesen Urlaub neu zugelegt habe. Vom Gespräch mit meinem Chef. Von unserer neuen Praktikantin. Von Vanessas Fotografie mit eben einer solchen Kamera. Er erzählt mir von Schwerin. Von Mannheim. Von der Vielfalt unterschiedlicher Menschen und Kulturen, hier, miteinander. Davon, dass ihm das in Schwerin fehlt.
Die Müdigkeit hat sich inzwischen ganz verzogen. Es leben pharmazeutische Hilfsmittelchen.
Wir sind an der Raststätte Hünxe Ost angekommen und soeben schweben zwei Cappuccino zu mir ins Auto herein. (Sie schweben natürlich nicht, Stefan bringt sie…) Aber Moment mal; kennen wir das nicht schon irgendwoher? Ja, richtig; das kennen wir von der Reise nach Aruba…
Grinsend überreicht mir Stefan zudem eine Tüte mit Croissants. „Man muss nur die Leute kennen, die hier arbeiten, dann gibt es auch Croissants; auch morgens um halb fünf. Normalerweise verkaufen sie die erst ab sechs, aber die liegen meist schon frisch hinten auf dem Blech.“
Hm, schön knusprig… Schoko-Croissants!
„Dir kann man Appetitzügler geben oder nicht geben!“ Lache ich, als ich sehe, wie Stefan herzhaft in sein Croissant beißt. „Oder merkst du eine Veränderung bei deinem Appetit?“
Er hält kurz beim Kauen inne, überlegt: „Nö, eigentlich nicht.“ Und beißt dann wieder rein. Der Vollmond leuchtet auf uns herab, während wir weiter fahren.
Amsterdam
Amsterdam empfängt uns im Morgengrauen neblig und voller Wasser. Große Wasserflächen ziehen links und rechts an uns vorbei, während wir eine Art Damm entlang fahren. Und es ist kein Klischee mit den Windmühlen und den Tulpen, denn es ist tatsächlich das erste, was man sieht, wenn man sich der Stadt nähert.
An den Häusern kann ich mich noch immer nicht satt sehen. Die Bauweise, so schön, so anders als bei uns. Häuser, die auf Pfählen im Wasser stehen, mit einer vollständig verglasten Front und integriertem, innen liegenden Wintergarten.
„Hier waren wir letztes Mal im Hotel gewesen.“ Stefan zeigt nach rechts.
Ein diffuses, orangen-mattes Leuchten liegt über dem Nebel in der Landschaft. Wir diskutieren gerade noch, was es sein könnte, doch so schnell, wie es kam, so schnell verschwindet es wieder. Auch der mystische Mond, der sich nachts zwischen zerrissenen Wolkenschleiern über den schwarzen Tannenwipfeln zeigte, ist nicht mehr zu sehen.
Da! Direkt vor uns ist das Leuchten wieder. In einem schmutzig-trüben rosa-orange steigt es wie eine sich ausbreitende Säule zum Himmel. „Es kommt von den Gewächshäusern!“
Und hier ist auch schon der Flughafen angeschrieben. Wir sind da.
Die Abfertigung geht diesmal reibungslos und schnell; vom letzten Mal gelernt hatten wir diesmal das Flugticket auf meinen Mädchennamen ausstellen lassen. An der Sicherheitskontrolle gibt es eine Riesenschlange, die aber zügig abgearbeitet wird. Eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm quetscht sich an den wartenden Passagieren vorbei. Das Kind quengelt. „Sie ist nervös.“ Sagt ihr Mann entschuldigend, der verhalten hinten stehen geblieben war. Der Fahrgast vor ihm antwortete sinngemäß so etwas wie: Das sind wir alle.
Beim Sicherheitscheck wird mir mein nachfüllbares Edelstahl-Feuerzeug abgenommen. Stefans Pfirsiche winkt man ohne weiteres durch – ich versteh die Welt nicht mehr. „Vielleicht denken sie, dass du mit dem Feuerzeug den Piloten am Hinterkopf treffen könntest und wir dann notlanden müssen.“ Amüsiert sich Stefan.
„Na ja, mein Pfefferspray haben sie mir gelassen.“ Verkehrte Welt.
Im Warteraum von Gate 6 füttere ich Stefan nochmal mit einer Tavor. Vorsichtig drehe ich den Kopf nach allen Seiten und halte Ausschau nach der Mutter mit dem Kleinkind. Doch es sieht fast so aus, als hätten wir nochmal Glück gehabt. Als ich mich entspannt in den Sitz zurücklehnen will, ertönt irgendwo hinter uns ein dumpfer, langgezogener Laut. Schnell werfe ich selbst noch eine Tavor-Tablette ein. Ihr wisst schon – um nicht zu explodieren. Wenn die Kinder schon hier herumschreien müssen, dann soll’s mir wenigstens egal sein.
„Weißt du, Stefan… ich würde meinen Kindern auch Tavor geben.“
Ein Inder in weißem Turban sitzt uns gegenüber im Schneidersitz und verzehrt in aller Seelenruhe sein mitgebrachtes Essen; der weiße Rauschebart wackelt dabei und die Bananenschalen legt er sorgsam auf einem Taschentuch neben sich ab. Mit seinen weißen Sandalen, die nun vor dem Sitz am Boden stehen, so dass die weißen Socken mit den staubigen Spuren an der Sohle sichtbar werden, sieht er aus, als gehöre er in einen Tempel.
Als er dann aber beginnt, sein Handy ziemlich lange auf mich gerichtet zu halten, tausche ich mit Stefan den Platz.
Landeanflug auf Curacao. Schon von Weitem kann ich das türkisene Wasser in den Buchten sehen. Die Landschaft – wie auf Aruba – leicht hügelig, eher trocken, viele Kakteen, die über die Vegetation herausragen. Curacao ist für uns ein Zwischenstopp, bevor es weiter geht nach Bonaire. Hier geht die Uhr um sechs Stunden zurück, es ist also sechs Stunden früher als zu Hause.
„Katze kratzt…“
Wir schlendern durch den Duty Free Bereich. Zwei Einliterflaschen lokalen Likör wandern letztlich in unsere Taschen: Curacao Blue, der prominenteste Likör ever, und eine Art sehr cremigen Punch – das Zeug hat seine zehn Prozent, doch wenn man ihn probiert, glaubt man ihm das nicht; weich und gefällig fließt es die Kehle runter. „Den könnten wir trinken, wenn wir hier sind.“ Sagt Stefan.
„Hier am Flughafen?!“
„Neeein… Hier auf Bonaire.“
Während ich mir noch ausmale, wie wir uns jeden Abend auf der Insel gepflegt die Kante geben, beobachte ich, wie sich neben mir eine lustige Szene abspielt. Ein paar Afroamerikaner und drei blonde Mädels sitzen da.
„Ich habe noch nie in meinem Leben“ – sagt gerade der gutgelaunte Farbige uns gegenüber – „so wunderschöne Frauen gesehen wie dich… (hier zeigt er auf die erste) oder dich… (ein Zeig auf die zweite Schönheit) Und du… “ Er zeigt wieder auf die erste, die begeistert kichert „…dich liebe ich!“ Ich fange an zu grinsen, was ich irgendwann auch nicht mehr verbergen kann. Spitzbübisch schaut er zu mir rüber, nur ein oder dich fehlt in diesem Moment noch. Ich beuge mich lachend vor: „It’s like cinema – just without popcorn!“
Bevor wir anschließend wieder an Bord dürfen, müssen wir warten, denn zuerst werden die Passagiere, die nach Amsterdam fliegen, abgefertigt (Bonaire ist sozusagen der reguläre Zwischenstopp für den Rückflug in die Niederlande). Stefan ärgert sich. „Du kannst ja ein Handtuch über deinem Kopf schwingen und rufen: Ich muss da rein! Meine Liege… ähm, Platz ist reserviert!“
Findet er nicht witzig. Dafür haben wir diesmal im Flieger anscheinend freie Platzwahl (obwohl ich anfangs immer wieder freie Katze kratzt verstehe. Niederländisch – schwere Sprache…) „Komm schon, Schatz; du hast dir doch schon immer gewünscht, einmal erste Klasse zu fliegen, oder?“ Sage ich.
Beim Landeanflug auf Bonaire kann man von oben die Salinen betrachten, die mit ihrem leuchtend rosa Farbton einen schönen Kontrast zu dem türkisfarbenen Wasser der Buchten bilden.
Bonaire heißt uns willkommen.