Taif. Die Stadt liegt inmitten einer bergigen Landschaft im Westen des Landes, circa 70 Kilometer entfernt von Mekka. In vorislamischer Zeit, welche Muslime als „Zeit der Unwissenheit“ bezeichnen, war Taif Stand- und Anbetungsort der heidnischen Göttin Allat. Die Gegend wurde vom Stamm der Thaqif bewohnt, die wohl namensgebend waren für die Stadt.
Im Jahr 620 n.Chr., so die Überlieferung, kam Prophet Muhammad zu den Bewohnern von Taif, um sie zum Islam zu bekehren. Die Bewohner jedoch waren aufgebracht und warfen mit Steinen nach ihm. Muhammad flüchtete und fand Zuflucht bei einem Mann aus Mekka, der in Taif seinen Sitz hatte. Später verließ Muhammad den Ort.*
Diese Geschichte bekommen wir so oder so ähnlich auf der Weiterfahrt nach Taif von unseren Guides erzählt. Denn – und das ist die Quintessenz des Ganzen – Taif hatte sich dadurch auf Ewig den Ungnaden der anderen Einwohner Arabiens zugezogen. Noch heute ist sie nämlich bekannt als „die Stadt, die den Propheten nicht wollte“.
Fakt ist, dass es noch heute andere Gebräuche und Sitten rund um Taif gibt als im Rest des Landes bekannt sind. Da wären zum Beispiel die Blumenmänner.
Die Blumenmänner gehören zu den alten Stämmen Tihana und Asir und leben fast vollkommen autonom in den Ausläufern der Halaba-Berge, die die Stadt Taif umkränzen*, in den Grenzregionen zwischen Jemen und Saudi Arabien. Sie pflegen eine alte, naturverbundene Tradition, die sich so in dieser Form vermutlich aus früheren, vorislamischen Bräuchen entwickelt hatte. Dazu gehören Blumen in ihrer Kleidung und geflochtene Blumenkränze auf dem Kopf, die alle drei Tage erneuert werden. Frische Blumen dafür erhalten die Männer täglich auf dem Markt.
Die Bergpaviane
Die Reisenden lassen die letzten, tiefer gelegenen Städte hinter sich und steigen hinauf über einen schwindelerregend geschwungenen Pass, der sich immer höher und höher ins Gebirge frisst. Dies ist der Moment, in dem ich beginne, mir den Nacken zu verrenken, denn aus den staubigen Autofenstern, unterbrochen von vereinzelten, blendenden Sonnenstrahlen, schält sich aus der steinigen Wüste eine raue, karge Gebirgslandschaft heraus. In Kurven, Schleifen und Serpentinen führt der Pass immer weiter, aus der Sonne in den Schatten und wieder in die Sonne, ganz abhängig davon, auf welcher Seite der Berge wir uns zu der recht frühen Stunde gerade befinden. Wir fahren gerade die gewundene Autobahnschleife den Al Hada Berg hinauf, mit 2177 m den höchsten Punkt der Hijaz Berge. Von hier aus fährt eine Seilbahn zu einem anderen Punkt weiter im Tal, dem Wadi Numan. Sie soll, Stand heute, die längste Seilbahn in Nahost sein. Unten breiten sich flach wie weiße Murmeln die Miniaturhäuser der Städte aus. Das einzige, was immer noch auftrumpfen kann aus dieser Entfernung und Höhe, ist der monströs große Uhrturm von Mekka, der in seiner Ausmaße so manchen mittleren Hügel zu überragen vermag.
Dann, unerwartet, entdecken wir vor uns Passanten – Bergpaviane, die hier auf eine Mitfahrgelegenheit warten. Die Tiere leben in den Bergen rund um die Ortschaften und fühlen sich auf dieser Höhe sichtlich wohl. Längst haben sie gelernt, dass es Sinn macht, sich entlang der Passstraße strategisch günstig zu positionieren, um hier und dort einige Brocken Essbares wie Brot oder Orangen zu ergattern. Denn nicht nur unser Fahrzeug hält an; auch die hiesigen Fahrer lassen, sichtlich amüsiert, die Fensterscheiben herunter und beginnen, die Tiere zu füttern.
Die Paviane indessen kennen keine Scheu. Große Männchen stolzieren auf den spitzen Felsen herum, balancieren am Abgrund entlang, als wenn sie fragen wollten: was kostet die Welt? – zeigen uns ihren roten Hintern, während ihre Weibchen mit kleinen Kindern an der Brust auf die Motorhaube springen und neugierig ins Innere des Fahrzeugs spähen. Die Tiere umkreisen den Kleinbus und schauen uns mit wachen und intelligenten, bernsteinfarbenen Augen an. Wir hüten uns, die Scheibe mehr als nur einen Spalt weit herunter zu lassen. Denn die Tiere greifen sich alles, was irgendwie nach Essen riecht oder aussieht. Unsere Bananenschale verschwindet ebenso schnell in den gierigen, flinken Pfoten wie die Orange oder das Brotpapier. Als es Zeit wird, weiter zu fahren, dürfen unsere Guides nicht zimperlich sein; doch die Affen wissen genau, was es bedeutet, sobald ein Fahrzeug wieder anrollt. Ohne weitere Aufforderung springen sie wieder herunter und eilen auf ihre nächsten, ahnungslosen Opfer zu.
Taif Rose – Die Rosenmanufaktur
Still sitzen wir nebst weiterer Besucher in dem geschlossenen, abgedunkelten Raum und lauschen der Dinge, die uns da ausgestrahlt werden. Vor jeder Besichtigung ein weiterer Lehrfilm, aber das kennen wir ja schon. Es ist kalt und so im Stillstand kriecht die Kälte bis tief in die Knochen. Und ich bin sowieso nicht wirklich topfit.
Der große Bildschirm flackert. Zunächst ertönt ein Gebet, eine Lobpreisung an Gott, bevor wir in die streng gehüteten Geheimnisse der Rosenöl-Verarbeitung eingeweiht werden. Blühende Rosenfelder tauchen vor unseren Augen auf, ein alter Mann mit einem großen Flechtkorb schüttet Rosenblütenblätter auf eine ausgebreitete Decke. In Slow Motion, versteht sich. Die Manufaktur „Taif Rose“ stellt ihre eigenen Seifen, Parfüms, Cremes und Rosenwasser her – es braucht fünf Tonnen Rosenblüten für einen Liter Öl. Wir dürfen bei der Herstellung zusehen und verstreuen uns in den weiten Räumen, wobei ich die Vermutung habe, dass all die eindrucksvollen Apparaturen aus dunklem Glas, die mit grünem Licht unterlegt geheimnisvoll vor sich hin leuchten, wohl eher Vorführzwecken dienen. Wir laufen herum, heucheln Interesse, doch das Interesse der meisten gilt dem letzten aller Räume, dem Shop.
Dieser ist dann auch entsprechend voll. Endlich können wir uns mit allem eindecken, was das Herz begehrt. Ich spekuliere auf einige der schwer duftenden Parfümöle, doch ein Teil meiner Leute wartet schon draußen und eine italienische Reisegruppe hat den Tisch belegt und schirmt ihn erfolgreich vor weiterer Kontaktaufnahme mit dem würdevollen, beschäftigtem Verkäufer ab. Die Öle werden nach Milliliter in kleine Glasfläschen abgefüllt und vor der Abgabe erfolgt eine ausführliche Beratung. Ich gebe auf und trage stattdessen meine obligatorischen zehn Rosenseifen nach draußen. Ich glaube, einige sind froh, als es weiter geht.
View Point
Denn jetzt gibt es Landschaft. Und davon ganz schön viel. Es zieht uns in die fantastische Berglandschaft der Taif Region, wo sich hoch oben an einem Aussichtspunkt an der Unnamed Road. Es ist sonnig, es ist kalt und es ist windig, sehr windig. „Es zieht wie Hechtsuppe“, hätte mein Stefan gesagt, wenn er denn hier wäre. Stattdessen tummelt er sich an der warmen, sonnigen Promenade von Dschidda und knüpft Kontakte mit den Locals. Dennoch hätte ich ihm diesen tollen Ausblick hier gegönnt.
Das Auto hält nahe einer Wetterbeobachtungsstation. Die Kälte und der Wind halten mich nicht davon ab, trotz allem als erste aus dem Auto zu springen. Am Abgrund steht ein ausgedienter Klappstuhl vor sich hin, und ich stelle mir vor, wie sich ein einsamer Araber mit seiner Shisha hierhin niederlässt für die besten Sonnenuntergänge seines Lebens. Ich will es der romantischen Vorstellung in meinem Kopf gleichtun und bugsiere meinen wohlgeformten Hintern vorsichtig auf das Gestellt. Welches dann das tut, was so ein Klappstuhl üblicherweise tut – er klappt zusammen. U-ups… ein blick rundherum. Hat das denn jemand gesehen? Doch meine suizidgefährdeten Leute balancieren schon am Rande der Klippen, einer unserer Fahrer mit flatternden weißen Kleidern vorne an. Es wird fotografiert. Natürlich. Ich will auch. Bitte erst, nachdem ich mich vom zerbrochenen Stuhl erhoben habe.
Und wie ich mich so umsehe, weiß ich genau, dass mit dieser Landschaft derselbe Effekt vonstatten gehen wird wie mit jeder anderen Berglandschaft dieser Art: diese Perspektive, diese unglaublichen Dimensionen sind auf Aufnahmen gar nicht zu sehen. Das Fehlen jeglicher Farbtupfer lässt die räumliche Tiefe verschmelzen zu einem eindimensionalem Standbild. Der seichte Schleier aus Wüstenstaub, der in der windigen Atmosphäre über den trockenen Tälern hängt, trägt sein übrigens dazu bei.
Und dennoch ist es großartig. Diese Proportionen, die Großzügigkeit, den Raum ohne Einschränkungen für sich einzunehmen. Meine Augen sind dies nicht mehr gewöhnt, komme ich doch aus einer Welt, wo jeder Zentimeter Boden mit Messstab abgesteckt und einem sinnvollem Zweck zugeteilt wurde. Es gibt keinen Raum für großzügige Sinnlosigkeit in der deutschen Landschaft.
*Quelle: eslam.de/ *quantara.de
Diese karge Berglandschaft hat es mir ja angetan. Und die Paviane, die sich da so nonchalant in Pose werfen, auch 😁.
Ja, das Kreuz mit den Landschaftsaufnahmen ist in der Tat die fehlende dritte Dimension. Man kann noch so sehr darauf achten, dem eigentlichen Motiv mit einem gut gewählten Vordergrund etwas Tiefe und Räumlichkeit zu verschaffen: das Foto gibt dann aber trotzdem nicht annähernd das her, was das Live Dabeisein vermittelt. Aber etwas Exklusivität sollte der Reisenden vor Ort ja vergönnt sein! Und dennoch vermitteln deine Fotos sehr eindrücklich, was für eine tolle Landschaft das dort ist.
Diese Lehrfilme wären mir vermutlich auch irgendwann einmal auf den Zeiger gegangen. Aber wenigstens gab es dann nachher im Shop zur Abwechslung mal wieder Rosenseifen. Dein Vorrat wird wohl erst in einigen Jahren aufgebraucht sein!
Ich muss gestehen, dass ich es wirklich gerne gesehen hätte, wie der Stuhl unter dir zusammenklappte 😂. Ich dachte, sowas würde nur mir passieren.
Das mit dem Stuhl hat irgendwie keiner gesehen, glücklicherweise, denn sonst wäre ich längst mit der Szene auf irgendwelchen sozialen Netzwerken unterwegs. Du weißt schon, wie die etwas beleibteren Touristen, die nicht ganz so gelenkig auf ein Kamel steigen… *öhm*
Die Dimensionen waren beeindruckend, ein Foto kann so etwas nicht wieder geben. Aber du hast Recht, deswegen fährt man auch hin 😉 irgend einen Vorteil muss es ja haben, vor Ort zu sein.
Zu den Lehrfilmen muss ich gnädig bemerken: die Saudis haben noch nicht den Dreh raus, wie guter Tourismus geht. Sie stehen da ja noch am Anfang. Dafür ist das Land noch so unbeeinflusst und die Neugierde und Willkommensgesten so echt. Das hat man woanders längst nicht mehr in dieser Form.
Nochmal Klappstuhl: ach nein, liebe Elke, das passiert anderen auch 🙂