Europa, Italien, Schweiz

13. Schweiz – Rückreise über den Sankt Bernardino Pass

Vor dem Gotthard Tunnel gibt es bereits jetzt acht Kilometer Stau. Rückreisende aus der Ferienzeit vermutlich. Deshalb wählt Stefan die etwas längere, doch unvergleichbar schönere Strecke um den Sankt Bernardino Tunnel herum, vorbei am Lago Lugano. Wir fahren Stunden durch eine märchenhafte Landschaft. Selbst dann noch märchenhaft, als es anfängt, heftig zu schütten und nasse Tropfen an die Fensterscheibe klatschen. Die Luft da draußen kühlt sich ab, das Licht schwindet, alles verdüstert sich.

Doch das tut der Schönheit keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Ich mag es, wenn die Wolken die schroffen, baumlosen Berggipfel umschmeicheln, mit ihnen spielen und in sichtbarer Bewegung an ihnen vorbei ziehen. Wasserfälle zieren die Felskanten, hier und da wie silberweiße Kordeln, dort wieder als tosende Wassermassen, die, durch den herbstregen genährt, ins Tal rasen. Harte Felsenbrüche, baumlose Berge, mit kurz und fein geschorenem Gras bedeckt wie mit einem grünen Damasttuch. Bäche, bei diesem Wetter grau und schlammig, führen das sehnlichst erwartete und gebrauchte Wasser nach einem Sommer des Jahrhunderts, dem vielleicht dritten oder fünften infolge.

Riesenhafte Felsen erheben sich über den Köpfen der vorbeifahrenden. Steile, senkrechte und harte Felswände, die wirken, als hätten wir dort eigentlich keinen Platz und als seien sie Götter, einzig dazu da, sie zu bewundern. Ständig verdrehe ich mir den Kopf im Autofenster und Scharen an Fliegen landen in meinem vor staunen dauergeöffneten Mund. Was mir Stefan hierzulande als Berge zu verkaufen versucht, sind die kleinen, grasbewachsenen Maulwurfhügel in Odenwald oder im Pfälzer Wald. Seit mir nicht böse, Leute, aber alles, was noch einen Baum an seiner Spitze hat, ist in meinen Augen kein Berg. Es ist, wie gesagt – ein Maulwurfhügel.

Kein Wunder also, dass die Schweizer so ehrgeizig sind. Allein schon, mit dieser Landschaft zurecht zu kommen erfordert Konsequenz und Einfallsreichtum. Wie die kleinen Ameisen wirken sie inmitten ihrer riesenhaften Welt, wie sie da mit ihren Ameisenstraßen ihre Bahnen ziehen und sich durch die harten Granitfelsen buddeln, um Tunnel durch den Berg zu graben. In den Bauch der Erde kriechen wie in den Schweizer Käse. Ja, sie müssen schon ein besonderes Völkchen sein. „Du weißt, dass wir Schweizer sehr ehrgeizig sind.“ Sagte mir einmal ein solcher, der nicht aufgeben wollte.

Dann geht es durch ein Tunnelsystem hinüber auf die andere Seite, von Tunnel zu Tunnel. Meine Bewunderung wächst. So etwas zu graben, nur damit wir dann unbehelligt und ohne nennenswerte Kurven oder Serpentinen von A nach B kommen können, das ist schon eine Leistung.

Mit den Bergen wechseln die Seen. Der Lago Lugano, der Wallsee und wie sie alle heißen. Einige der Gebiete sind aufgrund ihrer besonderen Schönheit in die Liste der UNESCO-Gebiete aufgenommen worden.

Ich will eine Übernachtung in der Schweiz. Irgendwo an einem schönen See campen. Am liebsten am Vierwaldstättersee, doch ein anderer tuts auch. Hauptsache Berge drumherum. Doch die Übernachtung wird nicht klappen – den halben Tag verbringe ich damit, zu toben. Die zweite Hälfte des Tages schmolle ich und bedaure weinerlich mein Schicksal, bis mich mein Liebster mit einer Engelsgeduld daran erinnert, dass die Schweiz ausgewiesene Risikogebiete nach RKI hat und was es für seinen Arbeitgeber bedeutet. Es bedeutet, dass wenn für einen Teil der Schweiz nach RKI eine Reisewarnung besteht, er auch die anderen Teile des Landes oder besser: das Land insgesamt nicht bereisen darf. Bereisen beinhaltet übernachten. Transit geht also, Übernachtung nicht. „Wenn wir an den Raststätten sind, dann quasi die Luft anhalten und Blei in die Atemwege schütten.“ Kommentiert Stefan trocken.

Vor lauter „will haben“ hatte ich das nicht mehr auf dem Schirm. Die restlichen Stunden des Tages verbringe ich damit, mich wieder bei meinem Freund einzuschmeicheln.

Doch auch die Schweizer Raststätten sind ein Erlebnis für sich. Gut sortiert und bunt, die fertigen Gerichte auf frischem Obst und farbenfrohem Gemüse drapiert, die frisch gepressten Säfte präsentiert inmitten von Orangen und Bananen auf kleinen Eisstückchen – ja, die Marche Raststätten sind schon ein Erlebnis für sich. Sie erinnern nicht ansatzweise an einen Rastplatz, wie wir ihn von Deutschland her kennen, nein, eher an ein gut bestücktes Restaurantbüffet.

Auch ein Hotel grenzt an, in dem der müde Reisende übernachten kann. „Zum Frühstück geht man runter in den Marche.“ Erzählt mir Stefan. „Das Frühstück ist grandios.“ Und das Ganze umgeben von Bergen. Berge, wohin das Auge reicht. Ich glaube, ich liebe Berge immer mehr.

Wir wollen die achthundert Kilometer von Florenz bis nach Mannheim in einem Rutsch durchfahren. Doch da haben wir uns wohl zu viel vorgenommen. Ich bin kein Freund von solchen Hardcore-Strecken, doch Corona macht ein Übernachten in der schönen Schweiz unmöglich, zumindest in unserem Fall. Wir hatten sowieso richtig Glück; alle Länder sind bisher mit einer zumindest teilweisen Reisewarnung versehen bis auf Deutschland, Polen und eben Italien. Und wir hatten einen schönen Urlaub.

Wir übernachten an einer Raststätte genau hinter der Grenze. Genau so, wie es nicht empfohlen wird. Unser Wohnwagen steht hinter dem Lkw eines Slowenen. Was soll ich sagen, wir leben noch, trinken Kaffee und fahren weiter. Heute ist Sonntag. Das Wohnmobil will noch ausgeräumt werden. Meine Hände frieren beim Tippen. Es ist kalt.

„So. Los gehts.“ Sagt Stefan und läuft an mir vorbei in die Fahrerkabine. Wir wollen beide heim.

 

Mannheim, ein paar Stunden später…

Das Wohnmobil haben wir am großen, leeren Parkplatz vor dem Rhein Neckar Zentrum ausgeräumt und bei der Vermietung abgestellt. Es ist Sonntag, doch beim Wohnmobile-Verleih ist allerhand los; anscheinend findet dort heute eine Ausstellung oder ähnliches statt. Amüsiert lausche ich Stefan, wie er das Wohnmobil abstellt und drinnen noch ein paar Bilder macht. Da hatten sich bereits Kaufinteressenten vor dem Vehikel versammelt, als mein Liebster unvermittelt, in seinen bequemen Jogginganzug gekleidet, aus dem hinteren Teil des Wagens auftaucht. „Der Wagen ist schon verkauft.“ Sagt er.

Nun fahren wir in meinem Auto nach Hause. Vorsichtig nehme ich die Kurven. Das Auto ist hinten wie vorne vollbeladen mit unserem „Hausrat“, den wir aus unserem Wohnmobil geräumt hatten. Was so alles in die vielen kleinen, geräumigen Winkel und Fächer hinein passt, sehen wir jetzt, als hinter uns das lose verstaute Geschirr klappert und der Inhalt der Weinflaschen vor sich hin plätschert. „Wenigstens haben wir jetzt ein normales Auto mit ein wenig Zugkraft.“ Sagt Stefan. „Wenn du damit Gas gibst, ziehst du schnell am Lkw vorbei. Wenn du mit dem Wohnmobil Gas gibst, zieht der Lkw an dir vorbei…“ Konstatiert er.

Hatten wir fast noch Hochsommer, als wir die Stadt verließen, zumindest den Temperaturen nach, so ist der Herbst jetzt voll da. Das nach nur zwei Wochen; die Thermometeranzeige ist gesunken und eine kühle Frische breitet sich aus. Wirbel aus trockenen Blättern tanzen in der Luft, bewegen sich in schnellen Spiralen nach oben. Trockenes Laub wird vor dem Auto aufgewirbelt und eine Zeitung fliegt flatternd an den Platanen vorbei. Das Laub ist nicht golden, es ist trocken, ein trockenes, dörres braun. Er war zu heiß, dieser Sommer, und die Hitze hielt sich bis Ende September.

Jetzt werden warme Klamotten wieder aus den Schränken gekramt. Die Sonne wechselt sich mit den schnell daher ziehenden Wolken ab, die Schatten bilden dunkle Flecken, die sich in der Landschaft vorwärts bewegen, auf ihr Muster malen. Der Wind trägt alles davon, alles tanzt, ist in Bewegung. Und wir beide träumen davon, endlich wieder zu Hause zu sein und zum Stillstand zu kommen.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

3 Kommentare

  1. Interessant zu lesen wie so eine Rückreisetag verlaufen kann ! Ich mag die Schweiz auch sehr was die Landschaft betrifft. Sicherlich eines der Top 3 Länder in Europa ! Die Alpen im Mittelpunkt und die tollen Seen im Tessin !
    Ja die Berge können einen schon verzaubern wenn man sie mag ! Es gibt Menschen die haben in der Bergwelt ein erdrückendes Gefühl und so einer wie ich kann sich kaum satt sehen ! Je höher desto schöner ! Was mich aber von der Schweiz abhält sind die Preise ! Unglaublich teuer für einen Urlaub oder längeren Aufenthalt ! Kommt man in die Schweiz darf man noch umsonst atmen aber sobald man sich setzen möchte schlägt die Dienstleistung voll zu und das zu Preisen die sich „von“ schreiben !!!
    Ihr seit gut und gesund nach Hause gekommen und Hauptsache es war ein schöner Urlaub mit tollen Erinnerungen !! LG Manni

    1. Wir wollten noch eine Nacht in der Schweiz verbringen, es war aber alles ausgebucht und kein spontaner Stopp möglich. Die Preise sind gehoben, aber es gibt noch teurere Länder, wie Island zum Beispiel. Hier darfst du dein Bier ab acht Euro genießen 🙂 Die Landschaften sind dafür wunderschön und ein Traum für jeden Fotografen. Danach kam mir die Schweiz wie ein Schnäppchen vor 😉

      Liebe Grüße
      Kasia

      1. Gut mit Island habe ich mich noch nie beschäftigt und werde dies vermutlich auch nicht tun ! Das ist leider nicht meine Welt! Tolle Fotos habe ich aber schon gesehen! LG MANNI

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.