Geschickt schlängelt sich unser Jeep die sandige Piste entlang, die lediglich aus zwei von Autoreifen ausgefahrenen, tiefen Rillen besteht, die sich durch den Sand ziehen. Sanft wippt das Gefährt auf und ab und ich fühle mich wie auf einer großen, weichen Sprungfeder. Gestern Abend hatten wir die Touristen in ihren Geländewagen belächelt, deren Köpfe mit den Unebenheiten des Weges wie eine Einheit mitwackelten und die aussahen wie die Teletubbies; nun sitzen wir selbst da und schaukeln auf und ab wie Wackelpudding.
Wir begegnen Tieren wie dem Eland, dem Kudu, oder auch Klippspringern, diesen ängstlichen, kleinen Antilopen, kaum größer als ein Hund, von uns auch großzügig „Angstrehe“ getauft, da sie so scheu sind, dass sie nachts an einem Wasserloch scheinbar eher verdursten würden als sich ans Wasser zu trauen. Helmperlhühner und Warzenschweine kreuzen unseren Weg, doch für uns sind diese Tiere nach fast zwei Wochen Namibia nur noch vom mäßigen Interesse, denn wir wollen die richtig großen Brummer: Wir wollen die Nashörner sehen.
Im Kochbereich der Lodge hatte ich schon häufiger das rauschende Geräusch des Funks gehört, mit Hilfe dessen sich die Mitarbeiter zu bestimmten Tageszeiten verständigen. Da mir das Ganze rätselhaft erschien, stellte ich die nicht ganz ernstgemeinte Vermutung an, sie würden sich gegenseitig die aktuelle Tageskarte durchgeben. Doch nun geht mir auf, dass über Funk die aktuelle Position der Nashörner bekannt gegeben wird, was bei zweimal täglich angebotenen Rhino-Touren voller erwartungsvoller Gäste durchaus seinen Sinn hat.
Unterwegs sammeln wir einen zweiten Ranger auf, der allen Anschein nach über genauere Informationen verfügt.
Fast alle Teilnehmer der Tour sind Deutsche (welch Überraschung…) bis auf ein junges Paar, das sich auf englisch miteinander unterhält. Ein Pärchen scheint uns in der Kalahari Anib Lodge bereits begegnet zu sein; zumindest kann sich das Mädel, wie sie sagt, gut an mich erinnern (??).
Gespannt verfolgen wir die Fahrt, schauen aufmerksam nach links und nach rechts, um den Rhino ja nicht zu übersehen. Ich höre aufgeregtes Gemurmel; und ganz plötzlich sind sie da, stehen auf einer freien Fläche, weder von Büschen verdeckt noch sonstwie dem Auge verborgen, zwei große Breitmaulnashörner, und schauen uns aus ihren kleinen Äuglein an.
„An information for the tour guests.“ Sagte uns vorab der Ranger, noch eher sich der Jeep in Bewegung setzte und den Parkplatz der Lodge verließ. „Wir fahren bis zu dem Bereich vor, in dem sich die Nashörner aufhalten, doch zu tief kommen wir mit dem Fahrzeug nicht ins Gelände hinein. Um die Tiere zu erreichen müssen wir aussteigen und zu Fuß weitergehen.“
Nun ist es also soweit; der Ranger öffnet die Türen und lässt uns nacheinander aus dem Jeep steigen. Nun stehen wir da, vor dem Fahrzeug aufgereiht wie Dartscheiben, zwischen uns und den Tieren nichts weiter als eine freie Fläche und ungeschützte zwanzig- bis dreißig Meter Entfernung.
Ist Stefan blass geworden um die Nase?
Die ersten beginnen, zu fotografieren, während die beiden Ranger aufmerksam die Tiere beobachten. Dann – es hat sich anscheinend herumgesprochen, was die Touris so wollen – geben sie uns zu verstehen, dass wir getrost noch einen – bis zwei Meter vorrücken uns uns gegenseitig mit den Tieren im Hintergrund ablichten können. Den mächtigen Tieren für diesen Augenblick den Rücken zukehren macht schon leicht nervös und mehr als einmal werfe ich zwischendurch einen Blick zurück. Die Nashörner indessen schauen ein wenig verwundert drein, drehen sich ganz langsam bald nach vorne, bald zur Seite. Bei einem solchen Menschenauflauf zweimal täglich würden die wahrscheinlich sogar für ein Selfie mit uns posieren.
Dann, als alle ihre Bilder im Kasten haben, beginnt die Pirsch durchs Dickicht; aus dem Augenwinkel sehe ich einen zweiten Jeep auftauchen, den unser Guide lautlos zu „unseren“ ersten Nashörnern winkt.
Die beiden Guides laufen geduckt vorneweg und geben ein zügiges Tempo vor; die Gruppe hinter mir fällt immer mehr zurück. Der Anpfiff lässt nicht lange auf sich warten: Der kleinere der beiden Ranger hält an, lässt den Rest der Truppe nachrücken und lässt schweigend einen Augenblick verstreichen, ehe er seine Rede hält.
„I houted for you.“ Sagt er. „Aber ihr seid so langsam, dass ihr euch in den Büschen verteilt. Das muss zügiger gehen; wir laufen alle eng zusammen wie eine Familie, so dass keiner hintendran bleibt.“ Als wir weiter gehen, bildet nun einer der Ranger das Schlusslicht der Gruppe.
Was die beiden uns hier zeigen wollen, ist eine Nashornmutter mit ihrem Baby. Wir halten den Atem an, denn dass eine Nashornmama ungemütlich werden kann, ist kein Geheimnis. Leise schleichen wir uns heran, versuchen, auf Sand zu gehen und keine trockenen Grashalme zu zerbrechen. Bei so vielen Neulingen klappt das freilich nur bedingt.
Dann bedeutet uns der Guide, zu warten und verschwindet vor uns im Gebüsch. Einen Augenblick später kommt er wieder und schüttelt den Kopf. Wir ziehen uns zurück.
Doch mit einem rechnen wir nicht: Die Mutter und das Kind beginnen, uns zu folgen und auch ein Nashorn-Männchen nähert sich von rechts aus den Büschen. Als wir wieder auf der freien Fläche beim geparkten Auto ankommen, tritt Mama Nashorn und ihr Baby hinter uns aus dem Dickicht.
Das Kleine ist neugierig. Es trabt unbekümmert vorneweg und auf uns zu und die Mutter trottet langsam hinterher. Noch wissen wir nicht genau, was sie vorhat. Als wir in den ersten Jeep steigen wollen, deutet uns der Guide an, uns zum weiter entfernten zweiten Auto zu begeben. Wer kann, schiebt sich instinktiv hinter den Jeep. Die Mutter läuft weiter, langsam und bedächtig, dann bleibt sie an einem der Wassertröge stehen, schaut noch einmal in unsere Richtung, dreht sich zur Seite und beginnt zu trinken. Wir atmen auf.
„Wie friedlich diese Tiere doch sind.“ Sagt eine ältere Teilnehmerin und ich staune über so viel Leichtgläubigkeit. Eine Nashornmutter mit ihrem Jungen ist niemals friedlich, auch wenn es zunächst so scheint. Das ist eine grobe Fehleinschätzung…