Sri-Lanka, Mai 2018
Gesehen hat Stefan die Wolkenmädchen schon damals, vor zwanzig Jahren, als Sri Lanka noch nicht allzu touristisch war und die Eintrittspreise noch nicht astronomische Höhen erreicht hatten. Vor zwanzig Jahren, als der Bürgerkrieg und die Unruhen im Norden dem Land zu schaffen machten. Und so bleibt er kurzentschlossen an diesem Morgen im Baumhotel und schläft.
Für mich hingegen heißt es, früh aufstehen. Als ich pünktlich um halb acht am Haupthaus ankomme, ist Soliya schon da und macht gut gelaunt den Innenraum seines Wagens sauber. Zu essen gibt es zu dieser frühen Uhrzeit noch nichts, denn die Hotelangestellten in allgemeinen schätzen, so wie ich es bereits im Hotel in Ela festgestellt habe, ihren Schlaf: gefrühstückt wird erst später.
„Da wirst du heute hinaufklettern.“ Sagt Soliya und zeigt auf den rund 200 m hohen, runden Monolith, der markant aus der Landschaft heraussticht. Ohne Frühstück, ohne Kaffee – na das wird ein Spaß…
Unten auf dem Gelände angekommen führt er mich zum Ticketschalter, der an ein Museum anliegt, vorbei an kleinen Häusschen, auf dem „only locals“ steht. Tatsächlich ist es so, dass Einheimische einen wesentlich günstigeren Preis bezahlen als die dreißig Dollar Eintritt, die Besucher aus dem Ausland zu entrichten haben, was mir unser Fahrer auch bestätigt.
Dann laufe ich los, vorbei an verschlungenen Bäumen und wunderschönen Wassergärten voller Lotusblüten, an Männern vorbei, die im Schatten stehen und mit aufmerksamen Augen alle weißhäutigen Neuankömmlinge beobachten. Ein ums andere Mal läuft jemand neben mir her: „Do you need a guide? Its better to claimb Sigiria with a guide!“ Ich winke allen ab. No, thank you, I need any guide. No guide, no magic box, no elephant, no anything. Relativ zügig gehe ich weiter.
„Hier gibt es viele, die als Guide fungieren wollen.“ Sagte Soliya zu mir, ehe wir noch aus dem Auto stiegen. „So ein guide kostet dich an die zwanzig Dollar. You dont need a guide.“ Für diese und ähnliche aufrichtige Informationen schätzen wir unseren Fahrer sehr. Und auch dafür, dass er keinerlei Druck ausübt, in irgendwelchen Geschäften irgendwelche Sachen kaufen zu gehen. Auch den Ayuverda-Kräutershop in Kandy empfahl er uns mit dem Wissen, dass die Preise dort auf einem anderen Niveau sind. „Dort gehen auch Einheimische einkaufen.“ Sagte er uns. Es gäbe zwar in der Stadt ein viel größeres Geschäft, das aber viel teurer ist und Touristen das Geld aus der Tasche zieht. Das will er für uns nicht. „Immer nur zahlen, zahlen – Stopp!“ Erklärte er mit einer entschlossenen Handbewegung.
An den Wassergärten vorbei gelange ich an zwei Wärterhäuschen, wo diesmal vier statt wie gestern sechs Uniformierte sitzen und das Ticket kontrollieren. Der eine reißt einen gestanzten Abschnitt des Tickets ab, der andere haut seinen Stempel drauf und ein dritter setzt seine Signatur darunter. Der vierte schaut von seinem Frühstück auf.
Dann beginnt der Aufstieg.
Auch hier stehen noch vereinzelt selbsternannte Guides im Schatten der Bäume herum. Hinter mir und vor mir laufen bereits Besucher mit je einem davon an der Hand. „Da in diese Richtung befinden sich die Wolkenmädchen.“ Erklärt gerade einer. „It is not allowed to make a photo of them.“ Wie bitte, ich glaube ich habe mich verhört? Was heißt hier: not allowed? Ich habe dreißig Dollar für die barbusigen Schönen gezahlt: und wie ich mein Foto machen werde!
Als ich mit dem Aufstieg beginne, habe ich bereits alle potentiellen Guides hinter mir gelassen. Soliyas wohlweislicher Rat, entsprechend früher loszufahren, erweißt sich nun als Segen, denn obwohl es noch nicht so heiß ist wie am Mittag und ich im Schatten gehe, rinnt mir jetzt schon die Soße den Körper runter. Wie viele Stufen es diesmal sind, da mag ich gar nicht drüber nachdenken, stattdessen stelle ich einfach schön einen Fuß vor den anderen.
Der riesenhafte Monolith erhebt sich über mir in die Höhe und grüne Streifen zeigen die Stellen an, wo während des Regens Wasser entlang rinnt. Hier fühle ich mich wie in einer vergessenen Welt, mal von den anderen Menschen abgesehen, denn die verschlungenen Pflanzen und Bäume, die links und rechts über den Steinen wuchern, lassen an alte Abenteuerfilme denken.
Eins, zwei, drei… Stufe für Stufe gelange ich weiter nach oben. Mit jedem Abschnitt steige ich höher hinauf und mit jedem Abschnitt wird der Ausblick um mich herum schöner. Die Aussicht auf die Wälder rundum bringt mich dazu, innezuhalten und meinen höher steigenden Puls zu beruhigen. Der Wind zersaust die Blätter und sollte eigentlich Kühlung bringen, doch wie kann er das, ist er doch so heiß wie der Strahl des Föns in meinem Badezimmer.
Immer wieder bleibe ich stehen, um meine brennenden Waden zu entlasten. Noch kann ich nicht wirklich glauben, dass der Weg wirklich bis nach oben führt, denn die zweitausend Jahre alten Fresken der Wolkenmädchen befinden sich in einer Einbuchtung etwa auf halber Höhe des Berges.
Dort angekommen muss ich meinen Gedanken an ein Foto jedoch entschieden verwerfen. An mehreren Stellen angebrachte, gut sichtbare Schilder weisen auf das Verbot hin und gleich drei streng blickende, uniformierte Männer stehen vor der Absperrung in der kleinen Nische und achten darauf, dass sich ja niemand über das ausgewiesenen Fotografierverbot heimlich hinwegsetzt. Ich bin alleine mit den Männern und den Fresken in der Nische und kurz ziehe ich in Erwägung, die Jungs mit je einem Tausender zu bestechen, laufe jedoch unverrichteter Dinge weiter. Vermutlich hätten mir die angebrachten Kameras sowieso einen Strich durch die Rechnung gemacht. Lange mag man sich auch gar nicht der Betrachtung hingeben, so unter den wachsamen Augen der Wächter. So bleibt mir nichts weiter von diesem Ort als die Gewissheit, die berühmten Wolkenmädchen mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Sigiria war um 500 nach Christus sowohl Königspalast als auch eine schwer einzunehmende Festung. Doch schon um 300 n. Ch. lebten Mönche in den Höhlen unter dem Felsen. Als Sigiria zum Palast ausgebaut wurde, wurden am Fuße des Felsens Lustgärten und Paläste für die rund fünfhundert Konkubinen des Königs gebaut. Es wird vermutet, dass es sich bei den Darstellungen der Wolkenmädchen um ebendiese Konkubinen handelt.
Des Königs Palast befand sich ganz oben am Gipfel des Felsens; und dorthin bin ich nun unterwegs.
Ich komme an der Spiegelgalerie vorbei. Beiläufig wundere ich mich über die abgesperrte, glatte Wand. Dass sich an selbigen Schriftzüge und frühe Graffitis befunden haben sollen, finde ich später heraus, denn zu sehen ist davon auf den ersten Blick so gut wie nichts.
Enge Metalltreppen führen weiter hinauf. Um keinen Personenstau zu verursachen, hat man sich eine clevere Lösung einfallen lassen: je eine Treppe führt hinauf, eine andere hinunter; beide sind räumlich voneinander getrennt. Manchmal jedoch überschneiden sich die Wege.
Nachdem es einen längeren Abschnitt aufzusteigen galt, komme ich auf einem kleinen Platz an. Sigiria bedeutet übersetzt Löwenfelsen, und zwischen zwei riesigen, aus dem Magmagestein gehauenen Löwenpranken hindurch führt eine steile Treppe weiter nach oben. Von hier habe ich eine tolle Aussicht über das Land und die einzelnen Berge, die sich aus dem Meer an saftigem Grün erheben. Von oben fließt Wasser die Wände des Monolith hinunter und tropft aus großer Höhe angenehm und kühlend auf die Köpfe der müden Kletterer hinunter. Riesige Löwenpranken sind in den Fels gehauen und eine Schar gelber Schmetterlinge fliegen in einer Wolke umher.
Zwischen den steinernen Löwenpranken geht der Weg wieder weiter. Soliya hatte Recht – die Treppe führt mich bis ganz nach oben, bis an den Gipfel zu den Königspalästen, von denen nur die Grundmauern noch erhalten sind. Ich bin müde und hungrig und die Tatsache, dass ich von den Wolkenmädchen, die der eigentliche Grund dafür waren, den beschwerlichen Aufstieg auf mich zu nehmen, keine einzige Erinnerung behalten kann, trägt nicht gerade zu meiner Laune bei. Irgendwo glaube ich zwar, was davon gelesen zu haben, dass Bilder verboten sind, jedoch hielt ich es aufgrund der vielen Bilder, die ich in diversen Blogs gesehen hatte, für eine Fehlinformation. Auch erschließt sich mir der Sinn des Verbotes nicht, sind doch die Fresken dem ständigen Licht ohnehin ausgesetzt. Auch hätte man das Verbot nur auf das Blitzlich beschränken können, doch meine Vermutung geht in die Richtung,dass eventuell die Fotolizensen für teures Geld vergeben werden. Dreißig Dollar Eintritt, lediglich nur, um sich etwas ansehen zu dürfen – das empfinde ich als Wucher. Und zum ersten Mal auf dieser Reise bekomme ich das schemenhafte Gefühl, wie es ist, als ein wandelndes Dollarzeichen betrachtet zu werden.
Oben auf dem Gipfel des Sigiria Felsens bin ich geflasht und in Anbetracht dieses grandiosen Rundum-Blicks ein wenig mit meinem Schicksal ausgesöhnt. Rund um mich herum sehe ich den Dschungel, eine grüne, flache Ebene, und den Pidurangala-Felsen, der sich wie ein Schiff aus einem Bäumemeer erhebt. Ich schaue auf den Weg hinunter, den ich gekommen bin, auf die Wassergärten und die Palastanlage am Fuße des Felsens. Ein jadegrün schimmernder See ist in der Ferne zu sehen und unter einem ausladendem Baum haben sich bereits ein paar Besucher niedergelassen. Nach ein paar Bildern und einiger Begeisterung geselle ich mich dazu.
Gelbbraune Hunde liegen faul in der Sonne herum. Menschen machen Aufnahmen von sich selber. Ich verzichte auf eine Eigen-Beweisaufnahme – so verschwitzt und erschöpft wie ich jetzt wohl aussehen mag, will das keiner sehen.
Einer der Hunde erwacht urplötzlich aus seinem schläfrigen Dämmerzustand und rennt laut bellend an den sitzenden Menschen vorbei. Ein kleines Mädchen beginnt zu weinen und läuft, Trost suchend, zu ihrem Papa hinüber. Heul doch, denke ich mir. Der Hund bellt etwas in der Ferne an; und dann sehe ich einen Falken auf der Jagd, der im Sturzflug versucht, einen kleineren Vogel zu erbeuten. Laute, helle Rufe ausstoßend kreist das Falkenpärchen vor uns am Himmel und lässt sich dann auf unserer Höhe auf einem am Vorsprung wachsendem Baum nieder.
Hier oben befindet sich ebenfalls ein kleiner, quadratischen Teich mit Seerosen und eine größere Zisterne mit schmutzig braunem Wasser, die vermutlich als Bad genutzt wurde. Ich schaue auf die Uhr – es ist erst halb zehn. So an die zwei Stunden hatte Soliya für den Auf- und Abstieg prophezeiht und er hatte damit Recht behalten. Ich denke daran, was Stefan jetzt gerade machen mag. Entweder noch schlafen – oder draußen auf dem Balkon mitten in den Baumkronen sitzen und rauchen. Frühstück gibt es auch für ihn keines – gefrühstückt wird zusammen erst, wenn ich wieder zurück komme.
Der Abstieg geht relativ schnell. Unten angekommen gelange ich wieder zu dem Parkplatz, wo unser Fahrer mich heute morgen abgesetzt hatte. Diesmal muss ich mir keine Sorgen über einen Guide machen. „You need Tuk Tuk?“ Höre ich auf meinem Weg. No Tuk Tuk, no anything, no thank you. Da ich immer noch das Fotografierverbot im Hinterkopf habe, fällt meine Antwort zwar immer noch lächelnd, jedoch etwas kurz angebundener aus.
Auf dem Parkplatz ist er nicht. Doch hat er nicht gesagt, dass er woanders auf mich warten würde? „Ich warte drüben, auf dem Touristenparkplatz.“ Sagt Soliya und seine Hand zeichnet einen weiten Bogen nach rechts. Doch wo ist denn nun der Touristenparkplatz?
„You need Tuk Tuk?“ Ein paar Jungs sitzen unter einem Baum. No Tuk Tuk, ich winke ab. „Dein Fahrer ist nicht hier, du bist hier falsch.“ Sagt einer von ihnen, der lässig an seinem Motorrad lehnt. „Du suchst doch deinen Fahrer, oder?“ Nun bin ich interessiert und komme näher. „Und wie komme ich dahin?“
„Du überquerst wieder die Wassergärten und läufst auf der anderen Seite nach rechts. Der Parkplatz ist ausgeschrieben. Soll ich dich mit dem Moped dorthin bringen? Das ist umsonst. Kostet nichts.“ Ich sage nein, bedanke mich und laufe los. Nichts im Leben ist umsonst, denke ich mir; vermutlich willst du danach etwas verkaufen oder meine Nummer haben.
Die Tuk Tuk Fahrer, die mich auf meinem Weg ansprechen, sind zugegeben ganz nett, denn die Info, wo sich genau der Parkplatz befindet, gibt es umsonst.
Als ich eine Weile weiter gehe, höre ich neben mir ein Motorrad anhalten. Der Junge von vorhin winkt mir freundlich zu. „Komm, ich nehme dich mit, ich wollte dort sowieso einen Kaffee trinken gehen. Wirklich umsonst.“ Nun, vielleicht ist eine Mitnahmemöglichkeit doch keine so schlechte Idee, denke ich mir; denn der Weg zieht sich und Soliya hatte bereits versucht, mich auf dem Handy zu erreichen. Ich steige auf. Lass den Mann doch später einen Kaffee als Dankeschön haben wollen, das ist dann auch okay. Als wir da sind und ich absteige, ist Soliya schon da und winkt mir aufgeregt zu. Ich greife in meine Tasche und hole ein Trinkgeld heraus, doch der Junge winkt ab und fährt weg. „Ich habe doch gesagt, dass es umsonst ist.“
„Hat er dich hierher gebracht?“ Fragt mich unser Fahrer später. „Wir verstehen uns gut, das ist ein Freund von mir.“
Rund vier Stunden dauert die Fahrt nach Kalutara zurück. Unterwegs lasse ich den Straßenverkehr, die Städte und die Menschen an mir vorbei ziehen. Durch das geöffnete Autofenster dringen die Luft und die Geräusche des Straßenlebens hinein. Ich weiß gar nicht mehr, wieso mich zur Anfang der Reise das geöffnete Fenster und die Abgase auf den Straßen gestört haben, jetzt, da die Reise zu ihrem Ende geht, merke ich davon überhaupt nichts mehr.
Als uns Soliya an unserem Hotel absetzt und ihm Stefan ein Trinkgeld und eine Stange Zigaretten in die Hand drückt, steht er gerührt und mit feuchten Augen da. Wir drücken uns die Hände und die Männer rauchen noch zusammen eine. Später, als er weg und wir wieder im Hotel sind, denken wir an all die Momente der Reise zurück. Wir haben so viel erlebt, dass wir jetzt erstmal eine Pause brauchen, einfach nur entspannen unter Palmen, und bitte keine neuen Eindrücke mehr. Es ist so, wie ein früherer, deutscher Kunde von Supuns Sri Lanka Tours in seiner Bewertung geschrieben hatte: Wir fuhren los mit einem Fahrer und verabschieden uns nun von einem guten Freund.