Afrika, Namibia

Erongo und die Marmorberge

„So, das hätten wir dann auch“ – denke ich mir, während ich die kleine, glänzende Sprühdose in meine Hosentasche schiebe. „Repellentien“ steht drauf, und eine große, stilisierte Mücke schwebt unterhalb des Schriftzugs. Die Handykamera steckt in der rechten, die große Kamera (Touristen-Ausweis…) baumelt fröhlich um meinen Hals herum. Die Repellentien-Dose in meiner Tasche ein gutes Gefühl, ich lasse meine Hand noch einmal über die glatte, kühle Oberfläche gleiten. Jetzt bin ich gewappnet. Doch ich habe keine Angst, hier in namibischem Hochland, das aus Felsen und noch mehr Felsen besteht, gestochen zu werden. Vielmehr bin ich gewappnet, falls mich ein Pavian (oder ihre ganze, wilde Horde) während meiner abendlichen Wanderung angreift. (Häääh??) Denn dann sprühe ich ihm den Inhalt des Mückensprays (das im Übrigen sehr nett nach Zitrone duftet) genau zwischen die Augen. Jaaa, genau!

Aber von vorne.

Es ist später Nachmittag. Wir haben schon am frühen Morgen das kühle Swakopmund verlassen und steuern über die unwirtliche Ebene dem Karibib-Hochland zu. Es ist wie das Verlassen einer großen, düsteren Wolke; als wenn man aus dem verwunschenen Reich einer bösen Hexe flieht: Sobald wir die Stadt verlassen haben, klettert die Thermometeranzeige Grad um Grad wieder nach oben. Die Sonne durchschlägt die Wolken und lässt ihre Strahlen zuerst auf den Sanddünen, dann über die trockene Savanne gleiten.

Kleine Pumbas trollen die Straße entlang und ab und zu sprintet ein Steinbock entlang unseres Weges. Indessen halte ich die Lodge-Beschreibung in meinen Händen und versuche, während der Fahrt Aktivitäten, die auf dem Farmgelände angeboten werden, zu entziffern. „Du, Stefan, hier steht, dass man auch eine Nachtwanderung mit dem Jeep machen kann, um die nachtaktiven Tiere zu beobachten.“ „Die Nachtwanderung kannst du schön alleine machen.“ Lächelt Stefan und ich bin mir unschlüssig, ob er da lieber schlafen will oder schlicht und einfach in der Nacht nicht rausfahren mag.

Auf der Weggabelung zu unserer Lodge, inmitten von mehreren Koffern, sitzt am Rand eine junge Frau im Staub. Sie möchte mitgenommen werden und als sie uns sieht, lächelt sie uns an. „Stefan?“ Doch Stefan ist unerbittlich und mir bricht das Herz. „Es ist doch nur eine Frau!“

Doch der holperige Weg erfordert unsere ganze Aufmerksamkeit und so wenden sich meine Gedanken nach und nach anderen Dingen zu. Der Weg schlängelt sich zwischen Felsen und trockenen Gebüschen und da ich glaubte, ein Nashorn-Schild gesehen zu haben, meine ich nun, überall um die Ecke graue, riesenhafte Nashörner unter den Bäumen liegen zu sehen (auch glaubte ich schon mal, afrikanische Büffel zu sehen, die sich dann aber als eine schwarze Kuh herausgestellt haben…). So spähe ich gespannt um jede Ecke. Kurz bevor wir die Anlage erreichen, wird der Weg etwas besser und wir haben nicht mehr das Gefühl, mit dem SUV ohne Vierrad klettern üben zu müssen. Eine große Horde Paviane rennt über eine offene Wiese davon, mühelos klettern sie über die aufgestellten Gitterzäune. Einige von ihnen bleiben oben auf den Pfeilern sitzen und halten von dort aus nach den Nachzüglern ihrer Herde Ausschau. Und beäugen uns in unserem fahrenden Untersatz, ob wir sie nicht in irgend einer Art und Weise weiter zu jagen gedenken.

Nein, ich glaube, hier gilt voll und ganz das Sprichwort: Liebe Paviane, diese weißen Touristen haben noch vieel mehr Angst vor euch als ihr vor ihnen… Als die Nachmittagssonne bereits tiefer am Himmel steht, kommen wir endlich an.

Eine kleine, ältere Frau mit grauem, streng nach hinten gekämmten Haar begrüßt uns, zusammen mit einer riesigen, schwarzen Doge, die im tiefen Schatten der Lodge so unsichtbar wirkt, dass ich fast über sie stolpere.

Die Frau heißt Brigitte.

Kurz danach sitzen wir mit je einem Kaffee aus der Kaffeebar und einem Stück Kuchen auf der Terrasse und betrachten die bergige Landschaft, das goldene Gras und die kleinen Antilopen, die immer mal wieder in einiger Entfernung auftauchen, um zu dem runden Wasserloch, das zwischen den Bäumen platziert ist, zu gelangen. Ein schöner Anblick und absolut entspannend.

Brigitte kommt aus Sachsen und lebt bereits seit den Neunzigern in Namibia. Sie ist Verwalterin auf der Farm und hilft mit, die Gäste der Lodge zu betreuen. So hat sie schon verschiedene Locations kennen gelernt, denn, wie ich heraushöre, bekommen die Verwalter eine Einstellung auf Zeit.

Die Etusis-Lodge liegt inmitten der Marmorberge und die schneeweißen Flächen der Berghänge sind das erste, was uns an dieser Landschaft auffällt. Nur gut sind die Bruchkanten zu erkennen, wo noch heute namibischer, weißer Marmor abgebaut und in aller Welt exportiert wird.

Das Farmgelände selbst besteht aus 22 Hektar Land, wobei man die Landschaft so natürlich belassen hatte wie sie war. Bei angebotenen Reitausflügen können Zebras, Antilopenarten und, mit etwas Glück, auch Leoparden beobachtet werden. Nachtausflüge werden nicht angeboten, doch Brigitte hat noch einen Ass im Ärmel: Es ist die abendliche Jeep-Fahrt über das Farmgelände, die in einer halben Stunde stattfinden soll. „Wenn du noch mit willst, dann jetzt…“ Sagt sie. „Ich sage Johan bescheid.“ Johan, ein großer, stiller Mann, der ab und zu im Hintergrund des Geschehens zu sehen ist, organisiert die Ausflüge. Doch ich bin von der Fahrt hierher erledigt; dankend lehne ich ab. Vielmehr gelüstet es mich nach einem Spaziergang mitten durch die Berge, auf die ganz altmodische Art, nämlich mit meinen Füßen. Der Bewegungsmangel der letzten Tage macht sich bereits auf bedenkliche Art bemerkbar: Morgens aufstehen, vom Frühstücksbuffet ins Auto stolpern, mehrere Hundert Kilometer mehr oder weniger in Embryostellung auf dem Autositz verbringen, aus dem Auto und ins Abendbuffet stolpern. Doch wenn ich mir meinen inzwischen um einiges angewachsenen Hüftumfang ansehe, hieße es wohl eher „rollen“ statt „stolpern“. Und so sehne ich mich nach Bewegung.

Brigitte drückt mir eine Karte des Geländes in die Hand, damit ich mir eine Route aussuchen kann. Es werden verschiedene Routen angeboten, wobei man sich nicht von den ausgewiesenen Wegen entfernen sollte. Ich möchte in die Berge. Als ich die Karte zurück gebe, möchte sie genau wissen, wie entlang ich zu laufen gedenke. „Damit wir wissen, wo wir dich suchen müssen, falls etwas passiert.“

…falls etwas passiert?

„Und gib uns bitte Bescheid, sobald du wieder zurück bist.“ Ich denke an wilde Tiere. Ich denke an Leoparden, die in der Dämmerung auf die Pirsch gehen oder an eine Horde wild gewordene Paviane, die mich in Stücke reißen und anschließend, Zähne bleckend, mit meiner Fotoausrüstung spielen. So packe ich, frei nach dem Motto: Du kannst alles zu einer Waffe machen – das Mückenspray, welches ich im Bad finde, in meine Tasche ein. Dazu ein Feuerzeug – dem unter Druck stehenden Behälter kann man sicherlich noch ein paar schöne Flammen entlocken – und das Handy stecke ich tief in meine Hosentasche, damit es nicht geklaut wird, falls ich von Pavianen umzingelt werde. Dann setze ich mich in Bewegung.

Schnell lasse ich das Haupthaus und die kleinen Bungalows hinter mir, die, während ich zurück schaue, immer kleiner und kleiner werden. Ich gehe in Richtung Nordwesten, zumindest wenn man von Uhrzeit und Sonnenstand ausgeht. Noch sehe ich keine Affen auf den Felsen sitzen und auf mich warten, doch das will nichts heißen – die hinterlistigen Biester werden sich bestimmt hinter Felsen in Angriffsstellung versteckt haben.

Kurz nach Verlassen der Lodge verzweigt sich der Weg und ein Schild weist verschiedene Routen aus. Ich lese etwas über einen Wasserfall – Wasserfall? – und wende mich in die Richtung. Es sind weit und breit keine Tiere zu sehen, doch ich traue dem Frieden nicht. Ich hebe ein großes, abgebrochenes Stück Marmor auf, das mir stark nach einem Faustkeil aussieht, und wandere damit herum wie ein erster Steinzeitmensch. Eventuell kann man die Affen ja damit erschlagen…

Doch nach und nach zieht mich die Umgebung in ihren Bann. Es ist ungeheuer faszinierend, inmitten von reinem Marmor entlang zu wandern. Riesige Marmorplatten liegen abgebrochen neben meinem Wanderpfad herum – einfach so – und frische Abbruchkanten schimmern weiß in der Sonne. Die gesamten Berge scheinen aus weißen Marmor zu bestehen, der in der Witterung liegend eine gelbliche Färbung angenommen hatte. Ich berühre die Oberfläche, steige darüber und bin erstaunt ob der Mengen diesen Schatzes, die hier einfach herumliegen und verwittern. Es ist ruhig – und absolut still. Unterbrochen wird diese angenehme Stille nur vom Summen der kleinen Fliegen, die mein Gesicht aufsuchen, sobald ich stehen bleibe. Ein leichtes Geräusch des Windes. Die Sonne, die hinter den Bergen langsam untergeht. Und Schritte, meine Schritte auf Kies.

Das erste Tier, das ich sehe, ist ein Sittich, der, klein und grün, auf einem dünnen Zweig eines trockenen Büsches sitzt. Ab und zu gibt er einen durchdringenden Laut von sich. Ein kleines Erdhörnchen verschwindet zwischen den Felsen, nur um dann ,unbeweglich wie eine Statue, aufrecht stehen zu bleiben und mich zu beobachten.

Irgendwann werfe ich die „Faustkeile“ wieder weg. Sie sind mir lästig und größere Tiere werde ich an diesem Abend vermutlich eh nicht mehr sehen. Von unten aus dem Tal höre ich dumpfe Geräusche, eine Mischung aus dem Zwitschern der Vögel und einem weit entfernten Grollen. Vermutlich haben sich all meine blutrünstigen Paviane da unten zwischen den Bäumen versammelt, denke ich bedauernd. Ich bleibe stehen und lausche den ungewohnten Klängen. In der absoluten Stille dringen Vogelrufe an mein Ohr. So ungewohnt, so fremd. So ganz anders als das Gezwitscher sonniger, europäischer Gärten. Zwielicht legt sich über die Bäume und ich werfe einen Blick auf die Uhr. Um siebzehn Uhr lief ich los, jetzt ist es abends halb sieben. Wenn ich jetzt nicht umdrehe, werde ich zum Abendessen nicht wieder zurück sein, noch schlimmer: Dann fahren sie los, mit Jeep und Laternen, um mich auf dem weitläufigen Gelände zu suchen. Schnellen Schrittes laufe ich zurück zur Lodge, während die Sonne nun endgültig untergeht und eine rote Färbung des Himmels zurück lässt.

Von weitem sehe ich die Lichter der Lodge. Kurz vor dem Abendessen komme ich an. Im Haupthaus scheint noch niemand auf mich gewartet zu haben und auch Stefan ist, anstatt krank vor Sorge im Haupthaus zu sitzen und auf mich zu warten, tiefenentspannt in unserem Bungalow anzutreffen.

Das Abendessen verbringen wir draußen auf der Terrasse an einer langen Tafel, an der sich der Kerzenschein auf der glänzenden Oberfläche der Weingläser spiegelt. Irgendwo prasselt ein Feuer. Die Tafel ist liebevoll gedeckt und das einzige Dach über uns ist die mit Sternen beschlagene Schwärze des Nachthimmels. Außer uns beiden, Johan und Brigitte sind noch Monica und die beiden englischsprachigen Mädchen mit am Tisch, die aufgeregt von ihrer abendlichen Jeep-Safari schwärmen. Anscheinend gab es heute Abend Zebras zu sehen, was wesentlich mehr ist als bei meiner Wanderung, wo das größte Tier, das ich entdecken konnte, ein kleiner Wiesel war. Zunächst halten wir die Mädchen für Gäste, doch sie sind Volontärinnen, also auch mehr oder weniger angestellt.

Ähnlich wie Brigitte verwalten Monica und Johan die Lodge. Beide sind Südafrikaner. Am späten Abend, als wir alle fertig gegessen haben, sitzen wir noch da auf einer kleinen Mauer, den Blick auf die Wasserstelle gerichtet, und unterhalten uns. Die Wasserstelle wird schwach angestrahlt und immer mal wieder sehe ich im Zwielicht irgendwelche Tiere hin- und wieder davonschleichen.

„Paviane?“ Sagt Monica, während sie die große, schwarze Doge streichelt, ein friedfertiges Tier, an das ich mich inzwischen gewöhnt habe. „Oh ja, Paviane sind sehr gefährlich. Ich hatte einmal einen großen Hund – der wollte die Paviane vertreiben. Der Hund ist also zu dem Pavian hin und bellt ihn an. Und der Pavian, der hat nur einmal so gemacht“ An dieser Stelle macht Monica eine schlagende Handbewegung, „und die halbe Hundeschnauze hing in Fetzen von den Knochen…“

Von rechts: Anton, Monica, ich und Stefan

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
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