Europa, Moldawien

Republik Gagausien – Komrat

„Da hast du dir aber ganz schön was vorgenommen.“ Denke ich mir, als ich mich am frühen Morgen aus den Federn schäle. Heute wird es ein langer Weg zurück aus Soroca, ein ewiger langer Strich auf der Landkarte vorbei an Chisinau, Milestii Mici, zielstrebig gen Süden. Gagausien ist mein Ziel. Das Gagausien, über welches ich kaum etwas wisse bis auf einige wenige „Tatsachen“ aus dem Internet. Eine eigene Turk-Kultur sollen sie sein, die Gagausen, mit eigener Sprache, eigener Kulinarik und eigenen Bräuchen. Russischsprachig sollen sie sein, und noch russlandaffiner. Laut Berichten einiger öffentlich-rechtlicher Medien sind Gagausen zwar Russland zugeneigt, doch hat die Republik keine separatistischen Bestrebungen. Das schauen wir uns genauer an.

Was willst du dir genauer anschauen, liebe Kasia, wenn du nicht einmal russisch sprichst, palavert es in meinem Hinterstübchen. Viele der Menschen aus der Region Gagausien sprechen kein Rumänisch. Nicht dass es etwas helfen würde, falls doch: rumänisch spreche ich ebenfalls nicht. Analphabetin auf Postsowjet-Reise. Na, wird schon irgendwie werden.

Schon bezahlt?

Beim Frühstück folgt nach dem äußerst freundlichen Empfang der Hotelbesitzerin vor zwei Tagen beim Einchecken heute morgen eine unangenehme Überraschung. Ob wir das zweite Frühstück bezahlt hätten, fragt die streng wirkende Bewirtung mich und das belgische Pärchen. Wir alle drei bejahen, das Frühstück sei am ersten Tag gebucht und bezahlt. „Ich werde das überprüfen.“ Sagt die Frau und verschwindet.

Später beim Auschecken ergibt sich eine unangenehme Situation. Die Frau redet auf mich ein, doch ich kann die Rechnung von Tag eins vorweisen. „Ich will die Besitzerin sprechen, wo ist sie?“ Fordere ich in gebrochenem Mix aus Polnisch-Russisch. Plötzlich ist bei meiner Rechnung alles in Ordnung. Anders bei den Belgiern, die die Quittungen in einer Aufräumaktion bereits entsorgt hatten. Auch sind sie nicht individuell unterwegs wie ich und haben weder den Nerv noch die Zeit, die Sache auszudiskutieren, denn ihr Bus wartet bereits draußen. Zähneknirschend bezahlen sie den Betrag nochmal, ein schales Gefühl bleibt. Ob es sich wirklich um ein Versehen gehandelt hatte? Hinzu kommt, dass eine ähnliche Situation bereits in den Bewertungen des Hotels moniert wurde.

Zunächst stelle ich mich auf eine lange Fahrt ein. Doch wie so oft beschrieben, sind die Moldawen entspannte Autofahrer. Ich zuckle vor mich hin mit einer angenehmen Geschwindigkeit zwischen hundert und hundertzehn, denn ich habe es nicht eilig. Die Sonne scheint und der Himmel zeigt einmal wieder sein schönes, unaufdringliches Blassblau, das sich harmonisch in die wellige Landschaft fügt. Interessant sind die bunten, übergroßen Aufschriften, die an Wegekreuzungen stehen – Ortsnamen, farbenfroh gestaltet, wie es für Moldawien üblich ist.

Polizeikontrollen und Blitzer sind hin und wieder präsent, weshalb ich mich an einen ortskundigen dranhänge – an einen Lkw-Fahrer, der außerorts mit hundert und innerorts mit siebzig vor sich hin braust. Außer in den Dreißigerzonen natürlich – da fährt er fünfzig. Dafür weiß er mit untrüglichem Gespür, wo die nächsten Blitzer vorhanden sind, denn da ist er plötzlich regelkonform unterwegs. Der Lkw ist mein Freund.

Langsam kriege ich den Dreh raus, was die Blitzeranlagen betrifft. Sie sind in Moldawien meist an Verkehrsampeln montiert, für das ungeübte Auge kaum sichtbar, doch die Locals wissen bescheid.

Was Polizeikontrollen anbelangt, die sind selbst für mich wahrlich nicht zu übersehen. Denn die Menschen warnen sich gegenseitig, und das nachdrücklich. Bereits zwei Kilometer vor einem potentiellen Kontrollpunkt veranstalten die entgegenkommenden Autofahrer ein wahres Blitzlichtgewitter. Die Scheinwerfer gehen nicht nur, wie bei uns, einmal kurz an, nein, da wird Partybeleuchtung angemacht. Blink blink blink! Pass auf, da stehen die Bullen! Dann schleicht man in gemütlichem Tempo an den zu Tatenlosigkeit verurteilten Polizeibeamten vorbei. Heute wieder keinen dran bekommen. Natürlich wissen die Cops um die gegenseitigen Warnaktionen.

Sobald ich die Konglomerate Kischinaus mit ihren Staus und umliegenden Orten, all die Polizeikontrollposten und den dichten Verkehr hinter mich gebracht habe, wird es wieder ruhiger auf der Straße. Hier in den Süden will scheinbar keiner hin, ewig lang zieht sich die fabelhafte, neue Autobahn leer vor sich hin. Nur ab und zu kommt mir ein Fahrzeug entgegen, nur ab und zu überhole ich einen Laster. Es ist – so werde ich es später noch feststellen – als ob der Süden ein wenig abgehängt sei vom Rest des Landes. Doch die Autobahn ist neu, die Fahrbahn ausgezeichnet – gesponsert aus Geldern der Europäischen Union, worauf Schilder hinweisen. Ob die Menschen, die sich eindeutig dem politischen Osten zugehörig fühlen, das wissen? Fragen über Fragen.

Weite Landschaften, Felder, welliges Terrain. Kleine Wölkchen. Wind, der mir um die Nase weht (die Klimaanlage funktioniert noch immer nicht, dafür die elektrischen Fensterheber einwandfrei…). Das Draußen, das durch die geöffneten Fenster dringt. Geräusche der Straße. Ein grüngelber, geflickter Felderteppich. Nichts als Leere. Und ein unglaubliches Gefühl im Herzen. Noch immer fühlt sich alles so richtig an.

Stunde um Stunde. Doch irgendwann sehe ich die Schilder. Komrat, die Hauptstadt des Südens, die Hauptstadt der Republik Gagausien. Ein wenig habe ich bereits darüber gelesen. Ausschließlich russischsprachig soll sie sein. Inklusive Straßenbeschilderungen.

Nun, ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht. „Schlimm“ und „glücklicherweise“ deshalb, weil ich sonst aufgeschmissen wäre. Das erste Schild, das ich sehe, lässt mich die Abfahrt scharf nach rechts nehmen. Schon gelange ich auf eine nicht mehr ganz so fabelhafte, weil etwas zerbeulte Fahrbahn. Wie üblich in Moldawien, sobald man die Hauptroute verlässt. Die Navigation macht, was sie soll, sie navigiert mich zuverlässig in Richtung Zentrum.

Komrat, Stadtzentrum

Das „Zentrum“ besteht aus einer weitläufigen Parkfläche, die von Lokalen, Läden, Häusern und vereinzelten Marktständen umrankt wird. Über all dem thront eine gelbe Kirche und blendet meine Augen mit ihrem goldenem, in der Sonne glänzendem Dach. Dahinter lässt sich so etwas wie ein Park erahnen. Ich fühle mich müde von der langen Fahrt, zudem verschwitzt und klebrig. Also parke ich mein Vehikel, bleibe erstmal im Auto sitzen und schaue mich unauffällig um.

Das Gelände wird von einem Polizisten bewacht, der mir zum Glück jedoch kaum Beachtung schenkt – einheimischem Kennzeichen sei Dank. Die Menschen eilen hin und her. An jeder Ecke stehen Geldautomaten, an denen man unter anderem Rubel ziehen kann. Geldwechselstuben. Russische Sprache umgibt mich, die Geschäfte sind auf kyrillisch beschriftet. Werbung für Hochzeitsausstatter und Schönheitsbehandlungen. Russische Musik. Hier ist irgendwie alles anders als im Rest des Landes.

Der Hunger macht sich bemerkbar. Das Frühstück mit Hindernissen (siehe letzte Folge…) ist nun etliche Stunden her. Doch das Restaurant, welches ich mir vorneweg so schön ausgesucht hatte, hat zu oder ist nicht vorhanden – schwer zu sagen im kyrillischem Dschungel. Also schleppe ich mich entkräftet und nach Wegzehrung lechzend in das nächste Café. Die Einrichtung kommt überraschend stylisch und modern daher (warum überrascht mich das jedes Mal, wenn ich im Osten unterwegs bin?), und irgendwie schaffe ich es sogar, einen Kaffee und ein Dessert zu bestellen.

Dann sitze ich da und beobachte die Familien um mich herum. Das einsame Mädel zu meiner Linken ist voll und ganz in ihre Elektronik versunken. Die Mütter treiben palavernd ihre in schicke Sonntagskleidchen gesteckten, kleinen Mädchen zusammen. Das Kind guckt mich großäugig und neugierig aus ihren Knopfaugen an. Dreht sich grinsend verschämt weg. Guckt wieder hin, wenn ich „nicht hingucke“. Dreht sich wieder grinsend weg. Das wird eine Freundschaft auf Zeit.

Was angenehm anmutet, ist die Tatsache, dass dieses Café über einen separaten Raum verfügt, in dem Kinder mit anderen Kindern spielen können, während ihre Mütter in Ruhe den neuesten Tratsch klären. Ganze Kinderwägen finden hier platz, denn der Raum ist groß genug. Manchmal sind es scheinbar diese einfachen, für uns progressiven, für die anderen selbstverständlichen Details, die den Unterschied zwischen „kinderfreundlich“ und „unerwünscht“ machen können.

Kinderfreundlich

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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11 Kommentare

  1. Ich muss gestehen, dass ich von Gagausien bisher noch nie was gehört habe. Liegt vermutlich an meiner „Ostblock“-Blindheit 😅. Danke, dass du meinen Horizont erweitert hast. Ja, Verständigung mit Händen und Füßen kann anstrengend und ein wenig eingeschränkt sein, aber sie funktioniert. Zumindest für die wesentlichen Dinge. Wäre da nicht auch Google Translate ein Mittel der Wahl gewesen? Oder hattest du keine SIM für dein Reiseziel?

    1. Google Translate hat sogar die Möglichkeit, Karten runter zu laden, um sich offline zu verständigen. Leider hatte ich nicht rechtzeitig daran gedacht bzw. ich hatte Russisch runtergeladen, aber Deutsch vergessen, aus irgend einem schwer nachzuvollziehenden Selbstverständnis heraus… 🙂

      Von so mancher dieser „Republiken“, die gerne mal eigenständig wären, hatte ich bis dato auch noch nie was gehört und das wäre vermutlich auch so geblieben, wenn ich nicht durch meine Reise dorthin und meinen Auftrag, euch zu berichten, gezwungen wäre, mich damit zu beschäftigen 🙂 Doch je tiefer man anfängt, zu graben, umso mehr solcher geopolitischen Besonderheiten kommen ans Licht. Schon spannend.

  2. Du bereist Länder von denen ich noch nicht einmal gehört habe. Respekt!

    1. Na ja… Gagausien ist nicht wirklich ein eigenes Land, es ist vielmehr ein autonomer Teil Moldawiens.

      1. Und vermutlich früher oder später ein Teil Großrusslands.

        1. Wir werden sehen… wie wir feststellen mussten, sind Grenzen nicht unbeweglich. Momentan sieht die Richtung eher EU vor. Wenn auch ganz knapp.

          1. Das wäre zu wünschen!

  3. Du hast ja Nerven. Im Ausland rumfahren und die Landessprache nicht zu können. Englisch wird offensichtlich auch nicht verstanden. Ich wünsche dir viel Glück bei der Reise durch dieses Land.
    LG Harald

    1. Hallo Harald,
      zu einer Verständigung kommt man immer, auf die eine oder andere Art. Aber du hast Recht, ohne Sprachkenntnisse ist ein Austausch nicht möglich, auch das Kennenlernen der Kultur und Bräuche ist nur bedingt gegeben. Deswegen werde ich das nächste Mal eine organisierte Tour zu den Gagausen unternehmen.

  4. Na sowas.. da lese ich den Beitrag und der ist ganz unüblich schon recht schnell zu Ende. Was zum Teuf…Diese etwas seltsame Republik scheint doch noch mehr zu bieten als nur ein Cafe in dem sich Mütter von ihren Kindern erholen können. Also da will ich aber mehr wissen..raus mit der Sprache – WAS VERSCHWEIGST DU UNS?! 🙂
    liebe Grüße aus’m Pott!
    CU
    P.

    1. Und liebe Grüße zurück 🙂 Tatsächlich habe ich in letzter Zeit recht wenig Muße zum Schreiben, aber keine Sorge, dies sollte nur eine Einstimmung sein. Der Rest ist in Arbeit, doch leider – und auch das ist für mich unüblich – bin in etwas in Verzug geraten…

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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