Das Auto bringt uns ins Paradies. Neein, nicht so, wie ihr jetzt denkt. Wir sind sehr wohl quicklebendig. Mehr noch: lebendiger fühlte ich mich selten. Das liegt an der Kulisse. Eindeutig. Das Weiß blendet meine Augen. Das sanfte Rauschen des Windes. Das unglaubliche Blau. Ein Strand, so endlos lang und so puderweich, dazu so verlassen. Weiße, flinke Geisterkrabben. Muscheln, groß wie ein Babykopf. Ein Paradies eben. Und so lassen es sich die meisten von uns nicht nehmen, ihre Badeklamotten aus dem Gepäck zu kramen und ins Wasser zu hüpfen.
Hüpfen ist die passende Umschreibung. Der Wellengang ist recht stark und die Strömung bringt noch mehr Sand mit sich. An Schnorcheln ist nicht zu denken. An Schwimmen eigentlich auch nicht – nicht für ein Landei wie mich. Doch in dieser strahlenden Kulisse lasse ich es mir nicht nehmen, freudestrahlend ins Wasser zu rennen, lachend vor den Wellen zu flüchten, mich fallen zu lassen, um mich dann wieder ans Ufer spülen zu lassen. Kopf nach oben, Kasia. Es bleibt nicht aus, dass eine kräftigere Welle mal meinen Kopf erwischt. Na und. Dann wird eben gehustet und geprustet, um sich dann wieder ins Vergnügen zu stürzen. Es macht auch nichts, dass ich hier komplett alleine bin, das tut der Freude keinen Abbruch.
Wobei ich so alleine gar nicht bin. Ein ganzes Stück weiter – der Strand ist so weitläufig, dass für Privatsphäre gesorgt ist – sehe ich eine Gruppe Jungs aus den Emiraten (?). Auch sie scheinen die traumhafte Umgebung zu genießen. So etwas wie hier sieht man eben nicht alle Tage.
Warum Emirate? Rate rate… ich rate. Da wäre dann diese Luxuskarosse, die sich im Sand festgefahren hat. Wir sind die ersten, die hier ankommen. Genüsslich beobachten wir die Befreiungsaktionen, die sich direkt vor unserem Rückzugsort, einer halb überdachten Strandhütte, abspielen. Wir sitzen an einem langen Tisch, eben angekommen, verschwitzt und staubig vor der Reise. Unser Camp hat einen weiteren Luxus für uns bereit: voll funktionsfähige Duschen. Ja, Leute, Duschen. Sogar mit warmen Wasser. Keine Katzenwäsche aus der Flasche mehr. Endlich frisch und sauber. Ich hatte schon Sorge, dass man uns in Abu Dhabi erst mit dem Schlauch abspritzen muss, ehe wir in den Flieger dürfen.
Es ist erst früher Nachmittag. Und obwohl der Tag reich an sehenswerten Orten war, ist die Tageszeit noch jung. Das ist kein Zufall. Einstimmig beschließen wir, einen eigentlich für den Nachmittag geplanten Ausflug zu einigen Naturbassins ausfallen zu lassen, um mehr Zeit hier an Aomak Beach zu haben. Denn wie oft passiert es, das man bereits zu Lebzeiten das Paradies auf Erden entdeckt?
Bei Aomak handelt es sich eigentlich um einen kleinen Ort an Sokotras Südküste. Laut Beschreibung des Reiseanbieters leben die Menschen hier vom Fischfang und Dattelanbau. Doch wenn ich mir die gepflegte Anlage hier ansehe, wird Tourismus eine immer wichtigere Rolle spielen. Wir sind Pioniere, doch das Sokotra Archipel wird mehr und mehr in den Fokus der Reisebranche rücken. Hier mal ein Postkarten- und Souvenirlade, dort ein hippes Café. Noch ist es nicht soweit. Noch sind wir glücklich über das Vorhandensein abschließbarer Sanitäranlagen. Und wisst ihr was? Es ist gut so. Entdecker und touristisch ausgeschlachteter Orte gibt es bereits zu Genüge.
Unser neuer Koch auf Zeit wirft sich richtig ins Zeug. Als Schmankerl vor dem eigentlichen Mittagessen schwebt eine riesige Schüssel frisch zubereitete Krabbenchips an unseren Tisch, was auf allgemeine Zustimmung stößt. Nur am Rande meines Bewusstseins flackert kurz der Gedanke an all die Kalorien, die die Leckerbissen beinhalten. Ich, Kasia, habe die höchsten Gipfel von Sokotra bezwungen, ich habe es mir verdient. *Sagte es und stopfte sich weitere zwei Chips in den Mund.* Welch ein Traum.
Träge sitzen wir da nach dem Mittagessen. Es ist okay, nix zu tun, vollkommen okay. Unser Koch hat sich selbst übertroffen. Es gibt Couscous, Bohneneintopf, Fladenbrot und frischen Salat. Zufrieden schaut der Koch in unsere hungrigen Gesichter und lüftet stolz den Deckel des großen Topfes. Erwartungsvoll bleibt er stehen, bis jeder sein Essen probiert hat. Wir loben, was das Zeug hält. Schließlich wollen wir auch weiterhin so gut verköstigt werden.
Meine Schwimmrunde absolviere ich nach dem Essen. Vorbei an großen, rund polierten Steine, großen kalkweißen Muscheln, vorbei an der toten Meeresschildkröte (die rennt nicht mehr weg…) erreiche ich die Strandlinie. Schnell die Kleidung auf den Steinen ablegen. Warmer Wind föhnt mir ins Gesicht. Der Sand ist weich wie Babypuder. Badewannenwarmes Wasser umspült die Zehen. Ich springe rein, renne quietschend weg. Lasse mich überrollen. Und lache, lache, lache. Ein ganzes Stück weiter sitzen die Emiratis.
Trockene Büschel Gras wehen im Wind, und die wunderschön geformten Wellen bringen Sand mit sich. Schaumig schlagen sie ans Ufer, ziehen sich zurück, nur um das Spiel immer wieder von Neuem beginnen zu lassen. Ich hatte es irgendwo einmal erwähnt – Lanzarote muss es gewesen sein – dass ich den Wellen eine Ewigkeit zusehen könnte.
Nach dem Mittagessen folgt irgendwann ein großer Topf frischen Popcorn. Frische Krapfen. Noch mehr Krabbenchips. Ach, was werden wir verwöhnt. Nach und nach sucht sich ein jeder seinen favorisierten Zeltplatz; der Aufbau folgt. Wir übernachten heute am Strand, das Meeresrauschen im Ohr. Als die orangene Sonne endlich untergeht, die Temperaturen angenehmer werden und sich der Himmel pink bis lila färbt, gibt es eine weitere Leserunde mit Gerti. Die jemenitische Geschichte des Kaffees, Teil zwei. Faul sitzen wir rundum und lauschen Gertis Worten; das Einzige, was zu sehen ist, ist ihr Gesicht im Licht der Stirnlampe, das auf die aufgeklappten Buchseiten fällt. Solange, bis unser Koch zum Abendessen ruft. Es gibt diesmal panierten Fisch, den Fang des Tages sozusagen. Frisch aus dem Meer.
Glücklich liege ich in meinem Zelt. Der Sternenhimmel ist mega. Ich liege da, nur mein Kopf ragt nach draußen, und schaue in den Sternenhimmel, zur Milchstraße hinauf, das Rauschen des Ozeans im Ohr. Geisterkrabben, nachts aktiver denn am Tage, huschen an mir vorbei. Nebenan in einem der Pavillons höre ich die ungewohnt angeregten Stimmen der Guides einer anderen Reisegruppe, das helle Lachen der Touristinnen. Da ich noch nicht schlafen kann – noch nicht schlafen will -, seziere ich meine Gedanken, die wie Wind kommen und gehen. Ich denke an den Jungen mit der Krabbe, der heute Mittag an unseren Tisch kam. Stolz präsentierte der Junge rundum seine Beute, und natürlich wurde auch das für die Ewigkeit auf Speicherchips gebannt. Nur nicht von mir.
Mich überkommen leise Zweifel. Hätte ich mehr Gesichter, mehr Menschen fotografieren sollen? Ich tue mich schwer mit Aufnahmen von Menschen. Für uns Reisende aus dem Westen mit (verhältnismäßig) viel Geld und nicht ganz so viel Zeit sind sie, ihre Gesichter, ihre Geschichten nichts weiter als ein Souvenir; buntes, exotisches Beiwerk zu unserer Reise. Ein Souvenir, das wir, ohne zu fragen, in Anspruch nehmen, in tiefer Überzeugung, einen Anspruch darauf zu haben. Wir wollen schließlich doch nur entdecken, die Reise hat viel Geld gekostet und überhaupt sehen die Einheimischen so toll aus mit ihren vom Wetter gegerbten, dunklen Gesichtern und ihren langen, bunten Kleidern. Da lässt sich doch unkompliziert einfach die Kamera vors Gesicht halten, ein Verhalten, das wir in Deutschland/Europa so niemals an den Tag legen würden. Denn hier haben die Menschen Rechte und, das Wichtigere: sie sind sich ihres Rechts am Bild bewusst.
Das schrille Lachen der Frauen übertönt den Ozean und begleitet mich bis spät in die Nacht.
Ja, an diesem Strand hätte ich es wohl auch gut ausgehalten. Die Landschaft, das Meer, die Weite, das leckere Essen im Schatten – und last but not least die ersehnte Dusche nach einigen Tagen Katzenwäsche. Sehr bedauerlich auch für uns Leser, dass diese Reise bald auserzählt ist! Von mir aus könnte es ewig so weitergehen.
Der Strand war klasse. Da die letzte Wandereinheit schon etwas her war, hatte ich Sorge, von unserem lieben Koch gemästet zu werden. Ach, was war der stolz auf seine Mahlzeiten 🙂
Die Reise ist bald auserzählt, aber weitere werden folgen.
Der Strand und dein Video sind wunderschön. Die Farben begeistern mich und so müsste tatsächlich das Paradies sein. Menschen versuche ich auch nicht zu fotografieren oder meistens frage ich
LG Andrea
Der Strand war surreal schön, es gibt nicht viele solcher Orte auf der Welt. Manchmal, und das ist unfassbar, existiert solche Schönheit unentdeckt vor sich hin, einfach um ihrer Selbst Willen. Und das ist das eigentlich Faszinierende.
Geht mir auch so mit dem fotografieren von Menschen. Und immer fragen will ich auch nicht, denn dann ist ja das spontane gleich weg.
Die Verwandlung der Krabbe ist ja gruselig.
Die Krabbe hat sich lecker verwandelt, nicht wahr? 😉 Ich kann dich beruhigen, ich denke, es war nicht dieselbe.
Ja, das Spontane in Bildern ist oft, was die Aufnahme ausmacht. Ich bekam einmal Anpfiff auf einer Manga-Convention, das Mädel sagte, sie posieren gerne für mich, aber sie möchten vorher gefragt werden. Verstehe ich vollkommen, aber wie du sagst, das Posierte ist nicht so schön…
Ich habe tatsächlich auch oft Hemmungen Menschen ohne deren ausdrückliche Zustimmung zu fotografieren. Man müsste halt mehr miteinander reden. Aber Deine Fotos vom Paradies überzeugen auch so.
Vielen Dank. Manchmal reicht die Landschaft größtenteils schon aus, um einen Eindruck zu erlangen. Vor allem so eine 🙂