Afrika, Senegal

Neujahr im Delta

Ausschlafen. Am nicht ganz so frühen Morgen, einem starken Kaffee und selbstgemachten Fruchtsäften lassen wir uns nebst Mamadou, der schon längst wach und auf den Beinen ist, in einer Sitzgruppe im Schatten nieder. Stefans gestarteter Gesprächsversuch führt dazu, dass wir die Sitzgruppe bald für uns alleine haben – der gute Mamadou ist für Small Talk nicht zu haben. Er verzieht sich in die Stadt, um nach einen Ringkampf Ausschau zu halten. Der Ringsport und, nicht wie vermutet, der Fußball, ist Nationalsport hier in Senegal. Neujahr sei traditionell der Tag, an dem überall in Senegal Ringkämpfe ausgetragen werden, und so einen will er uns jetzt auftreiben. Bei Erfolg sage er Bescheid, meint er und ist weg. Wir bleiben zurück in der Anlage, mit null Plänen und ganz viel freier Zeit zu unserer Verfügung.

Heute morgen ist in ganz Senegal das Wasser ausgefallen (die senegalesische Wasserversorgung wird über einen großen See im Norden gewährleistet). Es gibt schlimmeres als einen Tag lang nicht duschen zu können. Katzenwäsche aus der Flasche muss vorübergehend herhalten, bis wir später beobachten, wie die eilig fürs Hotel vom Besitzer einbestellte Wasserlieferung vom LKW entladen, sprich ein großer Tanker entleert wird. Fürs erste reicht es, zumindest um Hände waschen zu können. Hoffentlich sparen die anderen auch, denn momentan gibt es nicht mehr als das.

Dann wird es für mich Zeit zum Frühstück. Geröstete Baguettestücke, paradiesisch schmeckende Marmeladen und ein paradiesisch schmeckender, mir unbekannter Fruchtsaft. Der Kaffee in der Metallkanne ist so stark, dass man damit Tote erwecken könnte. Stefan ist schon mit seinem Frühstück fertig und streift durch die Anlage. Ich sitze da, bei leichtem, warmen Wind und angenehmen 23 Grad. Im Hintergrund plätschert Musik. Zwei Geckos versuchen, die über ihren kleinen Köpfen schwirrenden Insekten einzufangen. Frühstück am Swimmingpool, herrlich.

Die Hotelanlage hat schon bessere Tage gesehen. Das Äußere ist schick, doch die Fassade bröckelt. Die Farbe ist ausgebleicht und blättert ab, der Beton am Pool stellenweise gesprungen und die Liegen wurden wohl seit ihrer Gründungszeit vor zwanzig(?) dreißig(?) Jahren nicht mehr erneuert. Ein morbider Charme eines Lost Places, möchte man meinen – wenn da nur die Gäste nicht wären, die nach deutscher Manier die meisten Liegen bereits mit ihrem Handtuch belegt haben.

Doch das stört uns nicht weiter. Wir verziehen uns an den äußeren Rand der Anlage, wo ein wohltuender Wind weht, und strecken uns mit dem Gesicht gen Delta aus. Der Untergrund hinter dem Zaun ist schlammig und gesprungen, das Wasser hat sich weit hinter die Mangroven zurück gezogen. Über die trockene Fläche rennen herrenlose, struppige Hunde umher. Die Hunde hoffen auf Reste, liegen ansonsten während der heißesten Stunden in der Sonne und kratzen ihre sicher schmerzhaften Ekzeme.

Es gibt keinen Ringkampf, Mamadou lässt sich nicht mehr blicken. Die Zeit vom Frühstück bis zum Abendessen verbringen wir dösend am Pool. „Schweres Los.“ Seufzt Stefan und macht das eine Auge wieder zu. Schlanke, fremdartige Tauben flattern über unseren Köpfen. Gangnam Style dröhnt gedämpft aus Richtung Bar. Dazu schlafe ich ein.

Der gelbe Hund döst schon seit Stunden im Schatten, wechselt ab und zu seine Position. Eine Taube sucht vergebens nach einer flachen Stelle am Swimming Pool, um Wasser zu trinken. Die Mittagshitze beträgt inzwischen 35 Grad. Ein brauner Milan fliegt knapp über unseren Köpfen hinweg, gleitet auf der Thermik nach oben, hält mit wachsamen Auge Ausschau nach Beute. Grüne Sittiche rufen aus den Büschen. Wind streift über unsere Körper. Der Muezzin aus der Nachbarschaft versucht, die Musik, die von der Bar dringt, zu übertönen. Gangnam Style vermischt sich mit Allah ist groß. Ich knabbere an ein paar Datteln.

Könnte schlimmer sein…

 

Ausflug zu den Salinen

Der Abend naht und es kühlt ab, denn es sind nunmehr 34 Grad hier draußen. Wir wagen uns hinaus auf einen Spaziergang über den lehmigen Boden zu den Mangroven. Unsere Schatten sind lang geworden auf dem gelben, mit Müll und Scherben übersäten Boden. Haben wir die Anlage erst verlassen, sehen wir menschliche Behausungen entlang des Delta. Wir sind uns sicher, dass sich das Haus der Besitzer hier irgendwo befindet. Fast sind wir hier draußen allein; nur ein junger Typ sitzt kaum wahrnehmbar im Schatten.

Entferntes Vogelgezwitscher und Rufe dringen aus den Mangroven. Wir erreichen sie nicht, denn lange vorher sinken unsere Füße im schlammigen Boden ein. Die scheinbar trockene Oberfläche täuscht, denn das ganze Areal ist mit Meerwasser mehr oder weniger stark unterspült. Dafür wandern wir weiter die trockenen, zugänglichen Bereiche entlang. Entdecken Salinen und eine Salzhütte, die ich von weitem schon spannend finde. Zunächst denke ich, hier sei eine bewohnte Behausung, doch beim Näherkommen stellen wir fest, dass an dieser Stelle anscheinend noch immer aktiv Salz abgebaut wird. Jetzt am Abend liegt all das verlassen da. So können wir uns ungestört umsehen, auch wenn Stefan mehr oder weniger fortlaufend sein Unwohlsein ob der Situation bekundet. Schon gut, Liebster, wir wollen ja kein Salz klauen.

Auf dem Rückweg gen Westen blendet uns die tief stehende Sonne. Glasscherben glänzen in Lehm wie geschliffene Diamanten. Dazwischen gibt es immer wieder größere Müllansammlungen, und auch die Häuser am Rand des Schlammfeldes sehen verlottert aus. Hier eine verlorene Mütze im Schlick, da eine Plastikflasche. Dazwischen Muscheln. „Senegal hat einen verfallenen, morbiden Charme.“ Fasst Stefan zusammen.

Inzwischen taucht auch Mamadou wieder auf, um uns zu sagen, dass das Abendessen bald fertig ist. Doch unser Weg führt zunächst zum Steg, wo zwei Männer, im Sonnenuntergang im Wasser stehend, ihr Pferd abschrubben. Es ist ein malerisches Bild, doch ich will nicht auf die Fresse bekommen und dass mein Handy im Wasser landet. Stellt es euch einfach vor. Stattdessen gibt es Ersatzbilder von der Piroge, die an dieser Stelle wie gerufen kommt.

Das frisch gewaschene Pferd wähnt sich in Sicherheit und wälzt sich einmal ausgiebig im Sand. Das hat sich jetzt gelohnt. Wir lachen, die beiden Männer lachen zurück. Wir sitzen auf einer niedrigen Mauer, unter unseren Fußen bewegen sich langsam und behäbig Krabben im Wasser. Die beiden Hunde von gestern sind heute nicht da. Stattdessen ist die sinkende Sonnenscheibe ganz klar zu sehen. Stell dir mal vor, sage ich zu Stefan. „Irgendwann geht gerade in diesem Moment die Sonne auf.“ Wir verlieren die Sonne nicht, wir borgen sie nur aus. Auf dass sie für ein paar Stunden die andere Hälfte der Erdkugel wärmen möge. Der Gedanke gefällt mir außerordentlich gut.

Zum Abendessen wird uns fantastischer Fisch serviert. Die Aufmerksamkeit der Besitzer, die immer wieder nach dem Rechten sehen, ist bemerkenswert. Nachts vor dem Bungalows überbieten sich Zikaden und Nachtvögel in ihrer Serenade. Eine Katze schleicht lautlos vorbei. Fledermäuse durchschneiden die Luft und kleine, schwarze Frösche hüpfen im kegelförmigen Schein der runden Gartenlaternen. Mamadou kommt kurz vorbei, will wissen, ob das Abendessen gut war. Doch längere Gespräche sind sein Ding nicht, er verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Wir gucken uns an. Manches muss man akzeptieren.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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11 Kommentare

  1. So ein Abhänger-Tag zwischendurch richtet selten Schaden an 😁. Sehr schön! Schallend gelacht habe ich bei dem Foto von euren Füßen auf der Poolliege. Socken und Schuhe bei 35 Grad: das macht mein Stefan ganz genauso! Die Parallelen zwischen den beiden werden mir zunehmend unheimlich 🙈.

    1. Vielleicht sollten wir die beiden mal in einen Raum laden und abschließen, eventuell werden sie dann beste Freunde 😉

      1. Du meinst so eine Art Escape Room 😂?

        1. Hm, eigentlich dachte ich an ein Herrenzimmer mit Whisky, Clubsesseln und Kamin, aber Escape Room gefällt mir fast schon besser 😉

        2. Nur, kriegen wir dann beide lebend wieder…? Hm…

          1. Ganz bestimmt! Das sind doch zwei helle Köpfchen. Zumindest VOR dem Whisky 😅

          2. sagt:

            So ist es 🙂

  2. Vielen Dank für diese episode, das letzte Foto ist ganz toll !!

    1. Der Sonnenuntergang und die Piroge. Typisches Bild für Senegal 🙂

  3. Da habt ihr ja wirklich ein schlimmes Los gezogen. Mein Mitleid ist mit euch.

    1. Ja, faul sein ist so furchtbar. Vor allem faul sein am Pool. Ein ungewohnter Zustand 😉

Was brennt dir auf der Zunge? ;-)

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