Das Haus meiner Mutter ist das totale Gegenteil zu der nüchternen Klarheit und Struktur, die die Einrichtung meines Onkels zur Schau stellt. Hier bei Mama herrscht ein kreatives Chaos. Nichts ist zu viel, doch diesmal hat dies eine diametral andere Bedeutung. Nichts kann je zu viel sein, überall findet sich noch ein kleines Plätzchen für ein Einmachglas, eine Schmuckdose, ein Plüschtier, ein Figürchen. Ich weiß nicht, wo ich zuerst schauen soll. Auf den Blumenstrauß auf dem Tisch? Die kleinen, schick bemalten Teedosen? Die Teetassen, von denen jede anders aussieht? Die vielen Blumen? Die Katze schleicht inmitten des Chaos umher.
Ganze kleine Landschaften sind auf diese Weise entstanden. Meine Mutter kauft, was ihr gefällt. Und macht, was ihr gefällt. Und ihr gefällt vieles.
Sie hebt vieles auf. Und alles findet seinen Platz. Jede Ablage in der Küche, jedes Regal im Wohnzimmer; der Boden, der Tisch. Es sind alles bunte, kleine Welten. Und auf der überdachten Terrasse bahnt sich die Kreativität weiter ihren Weg. Blumentöpfe, soweit das Auge reicht. Gekaufte Setzlinge, die in die Erde kommen. Schaukelstühle, Decken.
Der Garten bildet ganze Oasen, in denen man sich verlieren möchte. Obstbäume, deren Äste die Schultern streifen, frische Erde, blühende Erdbeeren („du bist leider etwas früh…). Tulpenbeete, Kletterpflanzen, wilder Wein. Auch hier streift die Katze entlang. Sie folgt uns wie ein Schatten, immer da, wo meine Mutter auch ist. „Sie ist eifersüchtig.“ Sagt diese.
Ich fühle mich auf Anhieb wohl in dieser Welt, die meine Mutter erschaffen hat. Es ist nicht kühl und distanziert, es ist warm, voll und einladend. Wir sitzen auf der Terrasse. Dann kochen wir zusammen. Es gibt ukrainischen Barszcz, Karottensalat und Kartoffelpüree. Das richtige, nicht das aus der Tüte. Ehrensache.
Danach kommt selbstgekelterter Wein auf den Tisch. Wobei das Erzeugnis mit „Wein“ recht wenig zu tun hat. Süß und stark und natürlich fermentiert hat es mehr Ähnlichkeit mit einem kräftigen Traubenlikör. „Und? Wie ist es?“ Fragt mich meine Mutter voller Spannung. Schon seit langem hat sie ihren Hauswein (alle Winzer mögen mir an dieser Stelle diese Bezeichnung vergeben) angepriesen. Ich koste.
„Und?“ Fragt sie nochmal mit kugelrunden Augen.
„Sehr lecker.“ Stelle ich fest. Nur Wein sei das keiner. Aber verdammt… ich will noch ein Glas.
So gestaltet sich das Kochen sehr fröhlich. Und auch alles weitere. Am späten Abend kommt mein Onkel hereingeschneit. Es gibt noch mehr „Wein“…
Am nächsten Tag bei meiner Mutter. Ich bin die verhältnismäßig kurze Strecke zur Fuß gegangen. Zweieinhalb Kilometer meines früheren Schulweges, einmal quer durch die Felder. Als ich bei meiner Mutter ankomme, heulen in der Stadt Sirenen. „Was ist hier los?“ Will ich wissen. Sie weiß es nicht.
Wir gärtnern. Neue Satzlinge wollen gepflanzt werden. Das Gartenidyll bei deiner Mutter ist auch nicht ohne, schreibt mir die liebe Elke. Ja, das ist es. Ich schaue mich um. Um mich herum wächst eine grüne Oase, von allen Seiten dichtes Blattwerk schirmt den kleinen Garten von fremden Blicken ab. Die Fläche bietet Platz für allerhand. Hier die Obstbäumchen, die einen kleinen Hain bilden. Dort die Blumenbeete, der kleine Steinpflanzengarten und eine Fläche fürs Gemüse. Dann der Tunnel. Hier kommen die Gurken- und Tomatensatzlinge in die Erde, die ich gerade in der Hand halte. Meine Mutter läuft mit einem Stock herum und misst die Abstände ab, ich grabe, setze ein und schütte wieder zu. Zwischendurch quatschen wir sehr viel. Das hat mit deutscher Effizienz nichts zu tun. Doch trotz des langsamen Tempos kommt irgendwann jedes Pflänzchen in den Boden.
Die Katze bleibt immer in unserer Nähe. Besser gesagt, in der Nähe meiner Mutter. Mieze ist eifersüchtig; schnell erkennt sie in mir eine Konkurrenz. Doch keine Sorge, Miezi, ich werde meiner Mama schon nicht auf den Schoss springen, die Zeiten sind vorbei.
Wir planen seit langem, einkaufen zu gehen. Doch auch, als ich am dritten Tag komme, kommen wir nicht dazu. Inmitten all die Kleinigkeiten, die in dem großen Haus zu machen sind, inmitten all der Gespräche verliert sich die Idee und wird von Tag zu Tag geschoben.
Am dritten Tag sitzen wir einfach nur unter Decken im Garten. Die Gartenstühle haben wir tief zwischen die dunkelgrünen Thujen geschoben, doch auch hier kommt der Wind an. Es scheint generell sehr windig zu sein hier in diesen Breiten. Dort, wo im Rhein-Main-Gebiet jede freie Fläche zugebaut oder von einem Berg, Haus, -was auch immer versperrt wird, ist es hier etwas anders. Das Land in meiner Gegend ist flach und es „zieht wie Hechtsuppe“, wie Stefan gesagt hätte. Generell friere ich immerzu in den Räumen, egal, wie warm es draußen ist. Bei meinem Onkel sitze ich im Wollpulli, Jacke und Wollstrümpfen auf der Couch. Bei meiner Mutter gestaltet es sich ähnlich. Da gibt es dieses berühmte Instagram-Foto von mir, welches mich in einem Fell zeigt (für die Tierschützer unter euch: Kunstfell. Für alle anderen: es ist nun mal so, dass ältere Damen irgendwo noch ein altes Fell in den Schränken haben, das sie nicht wegwerfen wollen. Und bei uns werden die Dinger hin und wieder sogar noch getragen…)
Gut, wo war ich, eher ich begann, mich unnötigerweise selbst zu erklären? Ach so, bei der Kälte. Tja, eigentlich hat es draußen immerzu siebzehn- bis achtzehn Grad. Und gehe ich erst einmal los, laufe quer durchs Feld, ja, dann sehe ich Menschen in T-Shirts. Vorwiegend in der Stadt. Doch auf dem Land in unbeheizten Räumen fühlt es sich an wie Winter.
Also rücken wir die Gartenstühle noch ein bisschen tiefer in die Thujen hinein und sinnieren über das Leben. Die Katze springt meiner Mutter auf den Schoss. Die Sonne wärmt angenehm.
Dann, am vierten Tag, verschlechtert sich das Wetter. Wir kommen wieder nicht zum einkaufen, denn in der Stadt ist Markt. Die Markttage sind bei uns immer dienstags, freitags und samstags und auch wenn ich nicht so der Marktgänger bin, hier fasziniert mich das. Sobald die Menschen das Wort „Markt“ im Kopf haben, lassen sie den Sparfuchs raushängen. „Überall sind die Preise gleich.“ Ärgert sich meine Mutter, als sie zum Preisvergleich ansetzt. Und es wird nicht mehr so gefeilscht wie früher. Trotzdem bringt uns das nicht davon ab, den Honig für Opas berühmten Honigwodka (wie war das? Polen besteht nicht nur aus Wodka?) erst einmal auf dem ganzen Gelände zu vergleichen, ehe wir zur ersten Händlerin zurück kehren und dort ein Glas für fünfzehn Zlotych erstehen.
Wobei man vom „Gelände“ nun wirklich nicht sprechen kann. Der ehemals große Markt, der am Stadtrand abgehalten wurde, wurde nun aufgrund von Bauarbeiten in die kleine, temporär zu diesem Zweck gesperrte Straße am Fluss Rokitnica verlegt, zwei- bis dreihundert Meter von meiner Mutter Haus entfernt. Das Glück ist uns hold, denn so können wir die im Vorfeld erstandenen Geranien (ja, noch mehr Pflanzen) nach Hause bringen, eher wir uns in den Kaufrausch stürzten. Was dabei rauskommt, ist Gemüse für das Mittagessen. Es gibt Rippchen…
Ja, ich bleibe dabei: der Garten deiner Mutter ist ein Paradies! Das Innere des Hauses würde mich wegen der vielen Dinge wohl eher nervös machen. Aber der Garten – ein Traum! Es ist schön, aus all deinen Zeilen herauszulesen, dass dir der Aufenthalt bei deiner Familie gut tut.
Leider ist der Aufenthalt bald zu ende. Heute noch einmal zusammen grillen, morgen dann die Abfahrt. Schade, aber ich komme im Herbst wieder.
Der Garten ist ungeheuer erholsam. Das Innere des Hauses eher nicht 😉 wie du sagst, es macht hibbelig.
Dann wünsche ich dir morgen eine gute Rückfahrt und viel Vorfreude auf den Herbst!
Dankeschön. Ich werde wieder versuchen, in einem Rutsch durchzufahren, damit ich morgen Abend wieder da bin 🙂
Liebe Kasia,
Die Bilder erinnern mich an längst vergangene Zeiten. So einen Röhrenfernseher hatten wir lange im Wohnzimmer stehen. Logischerweise mit Fernsehen in schwarz-weiß. Später gab es dann Farbfernsehen das ich anfangs zu Hause nicht gucken konnte, weil meinen Eltern der Preis für ein Farbfernsehgerät zu teuer war.
Das linke Radio kam mir auch gleich bekannt vor. Es ist ein ITT-Schaub-Lorenz, ein für damalige Zeiten sehr modernes Gerät mit einem großartigen Klang.
Man merkt richtig, dass dir die Reise guttut.
Vor kurzem hast du geschrieben, dass Mannheim zu deiner Heimat geworden ist. Ist es nicht so, dass Heimat dort ist, wo unsere Wurzeln sind?
Übrigens: Kopfweh bekommt man auch, wenn man zuviel trinkt. 😉
Liebe Grüße
Harald
Lieber Harald,
aaalso… das Kopfweh war schon vor dem Trinken da. Ja wirklich 😉 Die alten Geräte machen mich auch sentimental, vor allem an das Radio kann ich mich gut erinnern. Meine Oma sagte immer: „Macht den Krach aus…“
Der Röhrenfernseher, auf dem habe ich immer die Kindersendung um neunzehn Uhr geschaut, bevor um acht dann die Nachrichten kamen und mein Opa den Fernseher okkupierte.
Heimat muss nicht unbedingt Wurzeln bedeuten. Ich denke, dass dieser Ausdruck viele Bedeutungen hat. Man beschreibt mit „Heimat“ sein Herkunftsland. Seine Wurzeln. Man beschreibt damit aber auch den Ort, an dem man sich zu Hause fühlt. Und „zu Hause“, das ist für mich Mannheim. Polen, dort, wo meine Familie lebt, das ist wie ein Flirt mit der Vergangenheit. Mit einer Zeit und einer Welt, der man längst entwachsen ist. Dort, wo du dich fühlst wie ein Fisch in Wasser, das ist deine Heimat 😉
Liebe Grüße und Prost!
Kasia
Ich glaub, bei deiner Mama könnte es mir gefallen 🤗 alles so schön heimelig.
Liebe Grüße
Sabine vom 🕷 🕸
Es ist dieses Zuhause-Gefühl, welches man bekommt, wenn man bei ihr ist. Sie macht jeden Raum gemütlich, egal, wo sie ist. Ja, das ist schon eine schöne Gabe.
Liebe Grüße
Kasia
Ich bin überzeugt, dass das Wiedersehen mit deiner Mutter zu vielen schönen Momenten geführt hat. Sie ist eine echte Gärtnerin 🙂 Vielen Dank für die schönen Bilder, mit denen wir diese besonderen Momente genießen können.
Das Wiedersehen war wirklich toll. Für meine Mutter ist der Garten nie perfekt. Ständig kommen neue dazu. Es gibt dort viele versteckte Motive für Hobbyfotografen.
Das ist echt schön!
Und so eine süße Katze! <3
Vielen Dank! Die Katze ist herzallerliebst 🙂
Polen hat defintiv eine sehr deftige und auch eigene leckere Küche. Vielleicht kann ich den Garten deiner Mutter, aber auch die Weichsel und Warschau im (warmen) Frühjahr bzw. Sommer bewundern. Polen im Winter hatte ich bis zur Genüge 😀
Die nächste Chance für dich steht in September an… 😉 Pack die Taschen…
Wir haben noch Mai 😉
Na ja, aber davon auch nicht mehr so viel… Drei Tage? Vier? Halt dich ran… 😉
Irgendwie hat so ein bisschen Chaos auch was, oder? Ich mag es Minimalistisch aber ich bewundere es, wenn jemand Struktur in dem Chaos hat – bei ist es dann einfach unordentlich.
Bei mir ist es so, dass ich mir gerne solche kunstvollen Orte anschaue. Selbst dort zu leben, das wäre mir zu anstrengend (zu viel von allem…), aber wenn ich mal zu Besuch bin, dann weiß ich nicht, wo ich als erstes mit den Augen hinwandern soll 🙂
Hm – ja ich denke mir wäre es auch zuviel. Muss ja auch alles irgendwie mal abgestaubt. werden…Schon zuviel Arbeit😂
Boah, das Abstauben. Ich erinnere mich, wie das war, als ich noch jung war und bei meiner Mutter wohnte. Sie steht ja so auf feucht wischen. Also bist du hingegangen und hast jedes Figürchen erstmal vom Regalbrett herunter gestellt, das Regalbrett abgewischt, den Figürchen die Köpfe abgewischt und sie wieder hingestellt. Und nach zwanzig Minuten machtest du dann mit dem zweiten Regalbrett weiter 😉
Urg…ja das kenne ich – ich hab früher immer so viel Nippes von der Familie bekommen und das musste auch immer stehen, wenn sie zu Besuch kamen….deswegen habe ich jetzt fast nix mehr. Meine Ausrede sind immer die Katzen, die machen doch eh alles kaputt (vieles, aber für andere alles….meine Mutter wollte mir gerade irgendeine Kristallschale abdrücke – gesegnete Katzen😼😼)
Meine Mutter hatte eine Zeit lang den Gedanken: ich schenke meiner Tochter etwas zum hinstellen, damit sie an mich denkt.“ Und nein, wir reden hier nicht von einem Foto. Eher sowas wie eine Tasse mit Aufschrift. Ein Figürchen. Oder ähnliches. Ich habe ihr irgendwann wie ein Mantra ins Ohr geflüstert: Mama… nix zum hinstellen. Nix zum hinlegen. Nix zum hinhängen.
Bisher klappt’s 😉
Hahaha – warte mal bis sie älter wird, dann verschenkt sie ihr Zeug an dich, damit du später, wenn sie dann verstorben ist, nicht soviel zu sichten hast. Und sie sagt dann: Also hier hängt mein Herz wirklich dran. Das hätte ich gerne überdauert.“ Ja – in der Phase ist meine gerade.
OMG, du hast Recht… So etwas hat sie gestern erst gesagt… „Ich habe eine Tochter, also habe ich jemanden, dem ich das alles…“
Öhm…
Hahaha – siehst du….warte bis sie so in den 70ern ist…
Hör mir auf, da wird einem ja Angst und Bange 😉
😁Denk an mich, wenn es los geht…hihi…wie war das….ach als ich in deinem Alter war…hahaha
Da muss ich gerade an meine Oma denken. Die sagte immer zu meiner Mutter: „Als ich in deinem Alter war, da war ich noch so fit, ich habe mir selbst mit meinen Fersen in den Hintern getreten!“ Altes, polnisches Sprichwort. Muss man nicht verstehen. Soll so viel heißen wie: ich war so fit, ich war nur am rennen.“
Ja – das kenn ich von meiner Tante….Wenn wir so ein bisschen über unsere Schmerzen jammern – „Also in eurem Alter…..“ Da war sie schon in Pension als Beamtin….grrrrr…..
Danke, dass Du uns auf diese Reise zu Deinen Wurzeln mitnimmst. Bin schon auf den nächsten Teil gespannt.
Ich freue mich, dass Du gerne mit dabei bist 😉
Aber immer doch! Ich würde doch sonst was verpassen…
🙂 Danke