Sri-Lanka, Mai 2018
Ich kreische und quietsche, als sich die vielen hungrigen Mäuler auf die empfindliche Haut meiner Füße stürzen. Im Wasser tummelt es und glitschige, rosarote Leiber drängen sich zu einem Knäuel; geöffnete, zahnlose Münder, wie die einer alten Frau knabbern an meinen Zehen und fühlen sich wie harte Raspeln an. Stellenweise saugt sich ein Fischmaul an meiner Wade oder meinem Knöchel fest: das ist der Moment, in dem ich kreischend und laut lachen aufbegehre. Ich sitze auf einem hölzernen Steg und lasse die Beine ins Wasser baumeln, wo sich die hungrigen Viecher tummeln. Und neben mir sitzt Stefan. „Ach du scheiße!“ Ruft er und kommt aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Denn wir haben uns eine extravagante, etwas eklige Spezialbehandlung gegönnt: die Fisch-Massage.
Wir fahren weiter, die Küste entlang. Hier im Süden ist die Zerstörung durch den Tsunami besonders stark sichtbar. Überall sieht man zerfallende, gerstörte und verlassene Gebäude, vieles wurde neu aufgebaut. Die Welle, die kam, war dreißig Meter hoch. Sie drang fast einen Kilometer tief ins Land und nahm 40 000 Menschen das Leben und unzähligen ihr Heim.
In einem der Orte fahren wir an einem der Friedhöfe vorbei, deren Gräber im Zuge des Buddha-Festes alle mit weiß wehenden Girlanden geschmückt sind. „Hier an diesem Friedhof liegen meine Eltern.“ Sagt er. Wir nicken und fragen nicht weiter nach, doch der Mann scheint nicht älter als vierzig zu sein. War es der Tsunami?
Ein leichter Fischgeruch zieht zu uns ins Auto, denn hier entlang des Strandes haben viele Fischverkäufer ihre Stände aufgebaut. Silbrig glänzend liegen die Fische ausgebreitet da oder hängen aufgeschnitten am Hacken. Hinter den Palmen verborgen liegen Fischerboote an oder ruhen auf aufgebauten Holzgerüsten und scheinen, wie Relikte, nur dazu da zu sein, um dem Auge ein schönes Fotomotiv zu bieten.
Wenige Kilometer weiter an einem inmitten dichter Vegetation gelegenem See biegen wir ab und halten. Hier, am Madu Lake, ist eine Bootstour durch die Mangrovenwälder geplant. Soliya wartet im Auto und ein junger Sri Lanker nimmt sich unser an. Geschickt manövriert er das Boot durch die dichten Wurzeln der Mangroven. Sonnenlicht fällt wie durch ein Mosaik durch die Blätter und Wurzelgeflechte hindurch und ich fühle mich wie inmitten der Säulen eines urtümlichen, grünen Tempels. „Hier lebt die große Anaconda.“ Sagt er und grinst. „Aber heute ist sie nicht da.“ Stattdessen sehen wir einen Waran, der vor dem Motorboot zu fliehen versucht. Der Mann steuert das Boot näher an das Tier heran. „Der ist groß, aber noch gar nicht ausgewachsen.“ Sagt er. „Die Tiere können bis zu zwei Metern lang werden. Sehr gefährlich.“ Unser Bootsführer ist ein lustiger, humorvoller Bursche. Er macht uns auf Affen in den Bäumen und Kormorane auf hölzernen Pfählen aufmerksam und immer wieder holt er sich unsere Kamera, um Bilder von uns beiden zu machen. Es hat sich wohl längst herumgesprochen, was Touris so wollen und wie man ihnen ein unvergessliches Reiseerlebnis bescheren kann und die Menschen hier bemühen sich nach Kräften um ihre Besucher. Ich find’s toll.
Die Sonne strahlt sehr intensiv selbst durch den diffusen Wolkenschleier und ich kneife die Augen zu, als meine Blicke über das blaue Wasser gleiten. Das Boot schlägt leichte Wellen und hüpft manchmal leicht. Als wir zwei tief gelegene Brücken passieren, ducken wir uns und ziehen die Köpfe ein. Die lupenreine Idylle der Natur stört einzig der Abgas-Geruch des Motors, der bei jedem Anlassen fröhlich vor sich hin raucht. Doch das gehört zu einem authentischen Erlebnis wohl auch dazu.
Irgendwann nach einer Weile legt unser Boot an und der Guide deutet an, ihm zu folgen. Mehr oder weniger leichtfüßig erheben wir uns und balancieren vom Boot auf den Steg und den sandigen, verwinkelten Pfad entlang. „Das hier ist die Zimtinsel.“ Sagt er. Die Insel ist dicht bewachsen und wir bewegen uns angenehm im Schatten. Nichtsdestotrotz läuft ist es warm und schwül und uns steht der Schweiß auf der Stirn. Unauffällig schaue ich mir die Gesichter der Menschen hier an. Keiner von ihnen schwitzt. Nicht ein bisschen.
Ein kleiner Buddha-Schrein steht da im Schatten gelb blühender Bäume. Vogelrufe ertönen, kleine Hütten links und rechts scheinen bewohnt zu sein. Ein Junge sitzt mit dem Rücken zu uns ausgestreckt in seinem Plastikstuhl und tippt auf seinem Smartphone.
Und während ich noch überlege, was unser Guide mit der Zimtinsel meinte, beginnt der, Blätter von einem der Sträucher in der Hand zu zerreiben. „Das ist ein Zimtstrauch.“ Ich rieche daran. Ach, tatsächlich, ja! Das riecht doch irgendwie nach Zimt, doch nicht wie wir es kennen. Zu dem typischen, doch nicht so stark ausgeprägtem Zimtgeruch kommt noch ein anderer hinzu, ein frischer, grüner Duft. Dann schabt er ein wenig Rinde vom Strauch ab. Ja, das riecht schon etwas mehr nach Zimt.
In einer überdachten Hütte wartet heißer, ungesüßter Zimttee auf uns. „Zimt reguliert den Stoffwechsel und ist gut für die Balance im Körper. Zimt hilft, Diabetes zu vermeiden. Wir verwenden ihn für Curry, Eis, Desserts und verschiedene Gerichte.“ Ein Junge sitzt auf dem Boden und raspelt an einem Stock herum. „Das, was er da abschabt, ist Zimtrinde. Sie wird hier unter dem Dach aufgehängt und acht- bis neun Tage trocknen gelassen. Das Holz eignet sich jetzt nur noch zum Feuer machen.“
Zimt soll den Kreislauf stimulieren, gegen Übelkeit wirksam sein und den Blutdruck senken und der Ceylon-Zimt enthält, im Gegensatz zum billigeren Cassia-Zimt, weit weniger Cumarine, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Bei den Lorbeergewächsen handelt es sich eigentlich um Bäume, die man jedoch auf Plantagen nur zu Strauchgröße heranwachsen lässt.
Zimt wird auf Sri-Lanka seit Jahrtausenden angebaut. Um den Handel mit Ceylon und die Herkunft des Gewürz zu verschleiern, erzählten die alten Araber verschiedene Geschichten. Unter anderem hielt sich lange die Sage, dass die Zimtstangen aus den Nestern riesiger Vögel fielen. Inzwischen wird auf Sri-Lanka über 22 Prozent des weltweiten Zimtertrages produziert. Wir trinken den warmen, kräftig aromatischen Tee aus und kaufen ein paar Kleinigkeiten ein. Interessant für mich ist das Zimtöl, welches für Massagen oder zum Kochen verwendet werden kann, und Stefan nimmt ungeriebene Zimtrinde mit. „Schmeckt intensiver.“
Wieder auf dem Boot bekomme ich das Steuer in die Hand gedrückt. Na ja, nicht ganz: aber nach anfänglicher Skepsis bei der Frage, ob ich mal selbst fahren will, nicke ich begeistert, dann klettere ich zu ihm nach hinten. Kurz zeigt er mir, wie man die Richtung bestimmt und schon düse ich über den offenen See, links und rechts von mir Mangroven in sicherer Entfernung, so dass ich sie nicht umfahren kann. Wie man hierbei die Geschwindigkeit reguliert, habe ich immer noch nicht herausgefunden, doch nachdem ich die ersten Sekunden über das Boot durch zu heftiges Manövrieren gefährlich auf Schlagseite gebracht habe, habe ich langsam den Dreh raus. Entspannt steuere ich an den Mangroven vorbei und der Bootsführer deutet mir immer wieder an, wo es lang geht.
Irgendwann übernimmt er das Steuer. An einem kleinen, aufragenden Inselchen halten wir neben einem weiteren Boot an. „Das hier ist ein hinduistischer Schrein.“ Erklärt er uns und zeigt auf den kleinen Bau, in dessen Inneren Ikonen der Gottheiten zu sehen sind.
Der nächste Halt ist ein buddhistischer Tempel, und diesmal kommt unser Guide nicht mit. Er übergibt uns stattdessen einem Mitarbeiter des Tempels, der uns zuallererst darum bittet, die Schuhe auszuziehen. Barfuß laufen wir dann über Sand und Rasen und folgen ihm rund um die Anlage. Und während wir vor dem Bodhi-Baum stehen, dem Baum der Erleuchtung, der eine Pappelfeigenart ist und bis zu 2000 Jahre alt werden kann und seinen Namen dadurch bekam, da Buddha unter ihm immerzu meditiert hatte, läuft eine Gruppe Mönche an uns vorbei.
War es nicht so, dass Frauen Buddhistische Tempel nicht betreten dürfen? Jedoch bin ich hier. Wir kommen zu einer Reihe Statuen, die entlang einer Treppe stehen, an deren Ende die Mönche verschwunden sind, und Buddha und seine neunzig Schüler darstellen. „Wollt ihr fotografieren?“ Fragt uns der Mann. Wir haben es bisher unterlassen, die Kamera zu zücken, da wir nicht wussten, ob Bilder hier erlaubt sind. „Wollt ihr ein Foto von euch zwei? Dann stellt euch vorne dran.“ War es nicht so, dass man Buddha-Statuen nicht den Rücken zukehren sollte? Wir sind irritiert.
An einem überdachten Buddha-Schrein erklärt er uns die Bedeutung der Mudras, der symbolischen Handgesten Buddhas, von denen jede einzelne etwas anderes bedeutet. So gibt es zehn wichtigste Mudras im tibetanischen Buddhismus.
Ein vierhundert Jahre altes Buch liegt ausgebreitet auf dem Altar, dunkel sind die singhalesischen Schriftzeichen in die hölzerne Oberfläche eingebracht. „Die Zeichen werden in das Holz geritzt und anschließend mit Kokossaft eingerieben. Nach dem Trocknen sind sie dunkel. Ihr könnt es ruhig anfassen, wenn ihr wollt.“ Ich zögere, das alte Relikt mit meinen schwitzigen Pfoten zu begrapschen, denn nichts zersetzt mehr als Hautfett und Schweiß, wenn man dem nur genügend Zeit gibt. So streife ich nur leicht drüber.
Wir können uns in ein Spenden buch eintragen und einen Betrag unserer Wahl spenden. So werfen wir fünfhundert Rupien in die aufgestellte Box und Stefan trägt unsere Namen, das Land und den gespendeten Betrag ein. Im Innern des Schreins steht die Luft. An Stefans Kopf läuft Wasser entlang. „Wie ein Eis, das schmilzt.“ Scherze ich.
Unser Guide für diese Bootstour wartet vor dem Tempel auf uns. Nun steuern wir die versprochene Fußmassage an. Umgerechnet fünf Euro pro Person kostet der Spaß, sicher teuer für Sri Lankische Verhältnisse. Stefan beschließt von vorneherein im Boot zu bleiben, doch er wird ebenfalls aus dem Boot und auf den Steg gescheucht und uns beiden wird gehießen, die Schuhe auszuziehen. Doch zunächst steige nur ich in das Becken. Freilich jedoch nicht sofort. Als ich die kleinen, offenen Mäuler sehe, ähnlich unserer Karpfen, und die glitschigen Fischkörper, die sich in einem Schwarm genau unter der Oberfläche tummeln, bekomme ich langsam bedenken, ob das wohl so eine gute Idee war. Die Fische werden in quadratischen, abgegrenzten Bereichen gehalten. So, ich dürfe jetzt gerne die Füße ins Wasser tun, sagt der Mitarbeiter und macht eine entsprechende Handbewegung. Ich drehe meinen Kopf in Richtung Boot. „Stefan, ich hab Angst.“ Doch der hat längst die Kamera in der Hand und hält gnadenlos drauf.
Also gut, dann mal runter mit den Beinen. Das Wasser quirlt sofort auf, als würde es kochen und hunderte kleine, harte Münder saugen sich an meiner Haut fest. Es kitzelt und ich beginne zu zappeln. Der Mitarbeiter wirft einige Körner Fischfutter ins Becken, worauf die Fische abgehen wie auf einem Rave-Konzert. Das Wasser scheint zu köcheln, die glitschigen Leiber tummeln sich um meine Haut herum. Stefan hat seine helle Freude daran.
Wieder an der Anlegestelle angekommen warten kalte, feuchte Handtücher und kalte Drinks auf uns. Und Soliya natürlich. Als ich dann wieder in unserem klimatisierten Vehikel hinter verdunkelten Scheiben sitze, denke ich mir: ja, hier weiß man einfach, wie man Besuchern ihre Zeit so angenehm wie möglich gestaltet. Es ist kühl, es ist schön, wir sind nicht mehr in der Sonne und bekommen von den Abgasen auf der Straße nichts mehr mit. Ja, hier lasse ich es mir gerne gefallen, im schattigen Van durchs Land kutschiert zu werden und durch die Inkognito-Scheiben nach draußen zu spähen.
Sollen doch die Sonne, die Hitze, der Staub und der Gestank ruhig draußen bleiben, sollen doch all die authentisch Reisenden, die ja keine Urlauber sind, nein, auf keinen Fall, in stickigen Bussen und lebensgefährlichen Tuk Tuks durch die Lande ziehen, ich lasse die Authentizität gerne draußen vor der Tür. Ich muss nicht alles wie die Einheimischen tun, um das Land gesehen zu haben. Es ist nichts verkehrt daran, sich die Reise angenehm zu machen. Ich lehne mich entspannt zurück.