Um viertel vor acht tauche ich, nach der frühen morgendlichen Wanderung, wieder in unserer Lodge auf. Die Sonne steht weit am Himmel und auch Stefan ist nun putz- und auch munter. Als wir unsere Koffer über die schmalen Trittpfad ziehen, kommt uns ein Angestellter der Lodge zur Hilfe entgegen. Doch das, was er sagt, gefällt uns nicht. „Your tire is not okay.“ Sagt er zu uns. „You tire is broken.“
„Scheiße!“ Es ist Stefan, der nun vernehmlich flucht. Wir sind gestern noch mit diesem Reifen hierher gefahren, über Stock und Stein, und es war alles in Ordnung. Wie kommt es dann…? Doch der Gravel Road und all die kleineren und größeren Steine darauf sind nicht zu unterschätzen und ich kann mich nebelhaft erinnern, wie wir am Vortag so einen auf unserem Weg erwischt haben. Tja, gestern beim Abendessen hatten wir noch das Thema „Reifenpanne“, denn das deutsche Pärchen am Tisch uns schräg gegenüber hatte von einer solchen erzählt. Gut zu wissen, dachte ich mir da, dass Europcar alles so schnell und unbürokratisch abwickelt. Wir werden sehen, denke ich mir jetzt, während wir zum Auto hetzen. Denn für diesen Tag hatten wir einen Ausflug ins Himba-Village geplant, insofern kommt uns das hier gerade etwas ungelegen.
„Macht euch keine Sorgen.“ Sagt der Mann. „Wir wechseln schnell den Reifen, das müsst ihr nicht selbst machen.“
„Ja, lasst nur.“ Sagt Herbert, der soeben aus dem Haupthaus kam und sich nun zu uns gesellt. „Die Jungs machen das schon, geht inzwischen frühstücken.“ Das tun wir auch – immer noch besorgt begeben wir uns zum Haupthaus und überlassen das Auto den fähigen Händen der Angestellten, die sich sogleich zügig ans Werk machen.
Die anderen Gäste sitzen bereits am massiven Holztisch in dem luftig offenen Raum. Das Buffet steht dampfend für uns bereit und der Tisch ist, wie gestern auch, liebevoll gedeckt. Vor dem Eingang turnen Erdhörnchen auf den sonnenwarmen Steinen herum und eine Schar Perlhühner hat sich am Wasserloch vor der Lodge versammelt, scharf beobachtet von den Argusaugen des alten, grauen Hundes, der, wäre der Weg für ihn nicht so weit und die alten Hundeknochen nicht so schwer, wohl gerne wieder auf die Jagd gehen und sich über das flache Gewässer des langsam fließenden Baches mit lautem Gebell auf sie stürzen würde. Doch so schaut er nur aufmerksam zu, wie die Hühner mit morgentlichem Gegacker ihrem Tun nachgehen.
Verschiedene Vögel springen herum in den Bäumen und auch die Kotzkrähe* ist da und gibt diese jammernden, unzufriedenen Laute von sich.
Und wir versuchen besorgt – und zudem noch vergeblich – jemanden von Europcar zu erreichen.
Schließlich rufen wir bei einer privaten Autowerkstatt an. Der Plan ist, dort den Reifen provisorisch flicken zu lassen und dann auf dem direkten Wege zur nächstgelegenen Europcar Station zu fahren, wo wir einen neuen Reifen bekommen. Das Ersatzrad ist zwar nun drauf, doch was tun, wenn uns auch dieses noch verreckt? Alleine die unebenen, steingespickten 30-km Strecke von der Farm zur Hauptstraße hatte uns gestern über fünfzig Minuten in Anspruch genommen. Und je weiter die Zeit fortschreitet, umso mehr schwankt mir, dass wir das mit dem Himba-Village wohl nicht schaffen werden. Doch Herbert ist optimistisch. „Das schafft ihr locker! Kein Problem!“
Gegen halb zehn kommen wir endlich los. Das Treffen im Himba-Village ist für elf Uhr angedacht, und als wir uns die steinige, steile Piste stellenweise im Schritttempo entlang quälen, sagt Stefan irgendwann: „Das schaffen wir nicht.“
Das hatte ich im Gefühl.
Hinter uns erscheint eine Staubwolke, die im Rückspiegel zügig immer näher kommt. Es ist das Pärchen von gestern Abend; zufrieden winken sie uns beim Überholen zu. „Die sind so schnell.“ Sage ich. „Warum sind wir eigentlich so langsam?“ Die Antwort folgt auf dem Fuße. Ein paar Kilometer weiter sehen wir das Pärchen wieder. Sie stehen. Die Frau ist draußen neben dem Wagen, die Kofferraumklappe geöffnet. Entweder will jemand Pipi, oder sie haben ein Tier gesehen, oder… „Geplatzter Reifen.“ Sagt Stefan. „Halten wir an?“
Meine Himba habe ich innerlich sowieso schon abgeschrieben, und selbst wenn nicht, wäre weiterfahren keine Option gewesen. „Ja klar.“ Wir halten hinter ihrem SUV und steigen aus. „Reifen geplatzt?“ Die beiden nicken. Sie haben in voller Fahrt einen der spitzen Steine erwischt. Doch wie es aussieht, wissen sich die beiden wunderbar selbst zu helfen: Nach nur ein Paar Augenblicken hat der Mann das Ersatzrad montiert. Schnell sind sie fertig, steigen ein und brausen mit unverändert schnellem Tempo unbeirrt wieder los. Wir vereinbaren noch, uns an der Europcar Station wieder zu treffen. „Die haben vielleicht ein Tempo drauf.“ Sagt Stefan. Es ist bereits die zweite Reifenpanne der beiden in wenigen Tagen.
In Kamanjab suchen wir die Privatwerkstatt auf. Laut Herberts Wegbeschreibung müsste sie es sein, aber… „Sieht es für dich vertrauenswürdig aus?“ Fragt mich Stefan. Ich sehe mich um, sehe ein paar aus Wellblech zusammengeflickte Hütten und ein Schild, auf dem „tire repair“ als auch „barber“ zu lesen ist. Ein Mann, einen Umhang über der Brust, sitzt drinnen und lässt sich den Bart rasieren. „Na ja…“ Sage ich. „Es ist halt Afrika.“
Die Männer in blauen Latzhosen, die auf dem freien Platz vor den Hütten stehen, nehmen uns sofort in Empfang. „Nur ein Reifen?“ Fragt uns der Mechaniker. Dann hievt er den kaputten Reifen leichtfüßig aus dem Kofferraum und verschwindet damit in Richtung Hof, und in diesem Moment wird mir bewusst, dass wir noch kein Wort über die Höhe der Entlohnung gesprochen haben. Wir warten. Währenddessen beobachte ich die Menschen, während Stefan unseren Reifen im Auge behält. Einer der Männer, die auf dem Platz stehen, verwickelt mich in ein Gespräch.
Leseempfehlung:
Reifenpannen auf namibischen Straßen sind der Klassiker. Das erfahren wir allerdings erst später. Manfred und Tina von Urlaubsreise.blog hatten das Pech, sich gleich am ersten Tag ihrer Namibia-Reise mit einem geplatzten Reifen herumschlagen zu müssen…