Reykjavik bei Nacht
Heute ist Freitag Abend und in der Stadt ist entsprechend viel los. Ganz Reykjavik scheint auf den Beinen zu sein. Die Kneipen haben hier am Wochenende bis morgens um fünf geöffnet, so kann man sich die Zeit gut vertreiben, wenn man denn irgendwo versacken möchte. Da das nur in Gesellschaft Spaß macht, mache ich einen Bogen um geöffnete Trinklokale. Im Grunde agiere ich wie ein Geist, abwesend, jenseits von allem. Gehen, stehen bleiben, schauen, weiter gehen. Das alleine verreisen macht nicht immer Freude.
Dafür sind es nicht wenige Eindrücke, die ich sammeln und mitnehmen kann. Streetart auf Schritt und Tritt, die ganze Hauswände bedeckt. Die stimmungsvolle Weihnachtsbeleuchtung, die den regnerischen Abend nicht ganz so regnerisch erscheinen lässt. Am alten Hafen entdecke ich das Nordlichtmuseum; zudem finde ich das Hafenviertel richtig schick. Bars und Restaurants kleben aneinander und laden auf einen Fisch am Wasser ein. Eltern fotografieren ihre Kleinen an den bunten Streifen der „Regenbogenstraße“.
Vermutlich bin ich die erste im Hostel oder die Einzige, die so früh zurück ist. Gähnend sitze ich oben auf meinem Etagenbett. Nach Ausgehen ist mir nicht. Heute geht es früh in den Schlaf, und morgen um sieben werden unfreiwillig die Mitbewohner geweckt – Schnapsleichen, die irgendwann im Morgengrauen zurück in ihre Betten torkeln.
Die Hallgrimskirche
Sie ist die größte Kirche des Landes und gilt als Wahrzeichen Islands. Ihr Turm ist 73 Meter hoch und von vielen Teilen der Stadt aus sichtbar. Hallgrimskirkja ist nach dem Smáratorg-Turm der zweithöchste Bau des Landes. In Reykjavik überragt sie fast alles. So ist der Kirchplatz für mich auch nicht schwer zu finden. Ihre aufragenden Betonsäulen knüpfen an die isländische Landschaft an, insbesondere an die vulkanischen Basaltsäulen, die sich an der Küste des Landes wiederfinden. Im Inneren wirkt sie weiß und schmucklos, strahlend schön und rein. Als hätte man das Innere einer der vielen Eishöhlen betreten. Entworfen hat den Bau der isländische Architekt Guðjón Samúelsson, der den Entwurf 1937 eingereicht hat.
Nicht nur die Größe der Kirche, sondern auch ihre Lage auf der Skólavörðuholt-Höhe trägt dazu bei, dass ihr Turm von jedem Punkt der Stadt als Wegweiser fungiert. Nicht dass Reykjavik einen Wegweiser bräuchte, die Stadt ist überschaubar. Die Anlehnung an Merkmale der kargen Landschaft im Baustil sind durchaus gewollt, denn wie viele nordischen Architekten jener Zeit, so suchte auch Samúelsson nach einem verbindenden, nationalen Stil. Die Form soll den Felsformationen der Vulkansteinfelsen, insbesondere den Basaltsäulen, die am Wasser zu finden sind, nachempfunden sein. Es ist einzig ihre Form, die auf den Betrachter wirkt. Die Form verändert sich, je nachdem, aus welchem Winkel man den Bau betrachtet, es ist, als würde sie sich in fließenden Übergängen wandeln. Die leuchtende Turmspitze scheint im Nebel über der Stadt zu schweben. Benannt wurde das Gotteshaus nach dem beliebten isländischen Dichter, Hallgrímur Pétursson (1614-1674).
Im Inneren der Kirche werden gerade Renovierungsarbeiten durchgeführt; der liebliche Klang der Bohrmaschinen sorgt für eine festlich-andächtige Stimmung. Von der Kirche selbst erhoffe ich mir nicht viel, den Aufnahmen nach, die ich im Internet gefunden habe. Doch sieht man sie aus der Nähe, ist sie durchaus beeindruckend in ihrer Architektur. Sie ist schlicht, alles Überflüssige wurde weggelassen. Eine schlichte, leichte, erhabene Eleganz. Keine Dekorationen an den Wänden, ein sehr einfach gehaltener Altar, ein paar Kerzen und ein strahlendes Weiß. Nur das Design des Innenraumes an sich kann auf den Zuschauer wirken. Hebt man den Kopf und schaut zu der unbemalten, nicht verzierten Decke hoch, dann ist es so, als sei ihre Optik nackten Wallfischknochen nachempfunden worden.
Auf dem Kirchplatz erhebt sich die Statue von Leif Eriksson, einem Wikinger und Nationalhelden, der laut Überlieferungen bereits im Jahr 1003, lange vor Kolumbus, seinen Fuß auf den amerikanischen Boden setzte. Wie die Wikinger mit ihren zerbrechlichen Schiffen es geschafft haben, so weite Strecken zu überwinden, ist und wird mir ein Rätsel bleiben. Ich umkreise abermals die Kirche, die in ihrer Form einzigartig und fesselnd wirkt, und entferne mich langsam von dem großen Platz, vertiefe mich in die kleinen, heimelig beleuchteten Gassen. In einer Bäckerei erstehe ich ein süßes Gebäckstück, das mein Inneres wärmt und die Kälte für einen kurzen Moment vergessen macht. Doch die Kälte kann mir nicht wirklich etwas, ich bin stets in Bewegung. Nur ein Mensch neben mir, der fehlt.
In der Regenbogenstraße beobachte ich amüsiert, wie Eltern ihre Kleinen auf den bunten Streifen der Straßenbemalung ablichten. Die Kleinen haben einen Heidenspaß und die Tatsache, dass es sich bei eben jener Straße und bei eben jenem Regenbogen um ein politisches Statement handelt, tritt kurzzeitig in den Hintergrund. Skólavörðustígur heißt die Straße offiziell, doch welcher Tourist könnte das wohl fehlerfrei aussprechen, geschweige denn sich merken. So hat die „Regenbogenstraße“ internationale Bekanntheit erlangt. Es handelt sich um eine Hauptstraße, die von der Hallgrimskirkja Kirche weg führt und zur Feier des Reykjavik Pride in Regenbogenfarben gestaltet worden ist. Die Bemalung wurde 2015 angebracht, somit ist die Skólavörðustígur die erste Regenbogenstraße der Welt.
An einem gehypten Eisladen „Valdis Eis“ komme ich vorbei, bleibe kurz stehen, mache ein Foto. Die gesalzenen Preise sind mir den Hype nicht wert, und so ziehe ich weiter. Ein anderer Eisladen lockt mich schließlich nach drinnen; lange Zeit beobachte ich, mein eiskaltes Erzeugnis in der Hand, den Verkäufer, der hinter der Theke herumhantiert. Er scheint eine Art Buddhist zu sein und der ganze Laden ist in dieses spezielle, hoch positive New Age Spirit getaucht. An einer Wand hängen Zeichnungen der Gäste, Thema ist „Frieden“. Stifte und Papier liegen bereit. Auch ich steuere ein Bild dazu bei. „Die einfachen Dinge sind die besten. Wie ein Becher voll mit Eis“. Heute hätte ich etwas anderes geschrieben, doch auf die Schnelle fällt mir nicht viel mehr ein, und ich will einen Teil von mir an diesem Ort hinterlassen. Wenn ich so zurückdenke an zweitausendneunzehn, als vieles noch absurd und abstrakt und nicht denkbar erscheint, wirkt meine Zeichnung auf mich wie reine Ironie.
Hafenviertel
Am Hafen entdecke ich Reykjavik mal anders. Ein tolles Ausgehviertel, wo sich Kneipen, Bars und Restaurants aneinander reihen, wo Schiffe im Dunkeln auf dem schwarzen Wasser schaukeln. Bunt spiegeln sich Lichter im Wasser und der Hafen verliert sich im Nebel. Natürlich schaue ich mir das alles an. Als Beobachterin. Fischrestaurants, Seefood. Ich merke mir das Viertel für den morgigen Tag vor.
Als ich am Wasser stehe, spricht mich jemand an. Ein Isländer, der will, dass ich ihm mit seinem IPhone helfe. Ich kenne mich mit „Apfel“ zwar nicht gut aus, tue aber mein bestes und komme nebenbei ins Gespräch, insbesondere da der ältere Herr recht mitteilungsfreudig zu sein scheint. Nachdem klar ist, dass ich aus Deutschland komme, berichtet er mir, Angela Merkel hier am Hafen getroffen zu haben – sie sei an ihm vorbei flaniert, dicht an dicht. Wahrheitsgehalt? No idea. Er hätte sie angesprochen und hallo gesagt, das sei dieses Jahr irgendwann zwischen August und September gewesen. Kurz vorher sah er Frank Walter Steinmeier, er sei in einem Hotel in Reykjavik untergebracht gewesen, da seien sie sich begegnet. Am Schluss gibt er mir den Tipp mit, zu Silvester vor die Kirche zu gehen. Dort machten die Isländer ihr eigenes Feuerwerk, und es sei sehr gutes Feuerwerk, sehr schön, wie er sagt. Dies solle auch das letzte Jahr sein, in dem dies erlaubt sei. Aufgrund verschiedener Problematiken wie Lärm, Asthma und Feinstaubbelastung soll es ab den kommenden Jahren kein Abfeuern von Feuerwerkskörpern in Eigenregie geben.
Ich sehe die Menschen ausgehen, ich sehe sie durch das Hafenviertel ziehen und auch ich würde so leicht und fröhlich wie ein Hafenmädchen unterwegs sein. Aber nicht heute. Vielleicht kurz vor Silvester. Vielleicht morgen.
Diese Kirche sieht aus wie eine übergroße Orgel – oder eine Panflöte. Nur muss da einer schon einen sehr großen Mund haben um darauf zu spielen. Aber Gott hat den möglicherweise. Genau weiss man es leider nicht – hat ja noch niemand zu Gesicht bekommen , den Kerl. Macht sich überhaupt ziemlich rar der Kerl, so aktuell – wahrscheinlich auch grade auf Urlaub in einem schönerem Universum..
Alleine reisen ist tatsächlich nicht jedermanns Ding. Mir macht das nix – aber ich bin ja was die Bindung an Menschen angeht ein spezieller Fall. Ich frage ja sogar meine Freundinnen morgens nach dem aufstehen: „Entschuldige Schatz, wie war noch mal dein Name?“ – aber das ist wohl eine andere Geschichte…
Bleib gesund!
CU
P.
Hah, das hat mir jetzt am Morgen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert 🙂
Panflöte: so habe ich das noch nie betrachtet, aber Recht hast du. Die spezielle Form erinnert schon an ein Instrument. Da bekommt „das Werkzeug Gottes“ gleich eine neue Bedeutung…
Freundinnen: „So, Mädels. Es ist acht, ich mach euch mal nen Kaffee to go…“ 😉
Ja, alleine Reisen hat Vor- aber auch Nachteile. Manche Dinge machen zu zweit halt doch mehr Spaß. Danke für diese Einblicke!
Ich für meinen Teil bin vom Alleinreisen momentan bedient. Diese und andere Reisen haben mir gezeigt, dass etwas fehlt und Gesellschaft durchaus nicht zu verachten ist 😉