Europa, Polen

KZ-Treblinka

Treblinka, Polen
Dezember 2017

Das als letztes errichtete Vernichtungslager für Juden aus ganz Europa. Treblinka II ist sicher nicht das bekannteste und mit über 800.000 ermordeten Menschen nicht einmal das größte Vernichtungslager der Nazizeit. Die Anlage wurde zum Ende des Krieges hin abgerissen. Der später an dieser Stelle errichtete Bauernhof war ein dilettantischer Versuch der SS, letzte Spuren zu beseitigen.

Auf dem Weg dorthin folgen wir der Schnellstraße S8. Treblinka ist circa 90 km nordöstlich von Warschau gelegen. Es ist nicht mein Wunsch, den Ort zu besuchen. Es ist einerseits verwunderlich, andererseits verständlich, dass viele Deutsche noch immer mit dieser Vergangenheit hadern, zu derer Zeit noch nicht einmal ihre Eltern das Licht der Welt erblickten. Und vielleicht ist diese Vergangenheit auch der Grund dafür, dass viele von ihnen so etwas wie Liebe zu ihrem Land oder auch ein Gefühl von Stolz gar nicht kennen (und viele derer, die glauben, es zu kennen, häufig in der rechten Szene zu finden sind…).

Wir passieren Dörfer, weit verstreute Häuser, Ortschaften, die sich nur durch die angebrachten Schilder irgendwie künstlich begrenzen lassen. Hier ist nichts kompakt, es wird da gebaut, wo man gerade Grund besitzt. Und so kommt es, dass zwischen den Feldern oft einzelne Häuser stehen oder sich die Wohnhäuser an der einzigen Straße, die durch den „Ort“ führt, entlang reihen. Häuser aus dunklem, morschen Holz, von denen ich dachte, es gäbe sie kaum noch, ziehen an uns vorbei. Storchennester thronen oben auf den Strommasten aus dickem Beton, neu gebaute Häuser wechseln sich ab mit einer Spur von Verfall. Ein alter Mann müht sich langsam die Straße entlang, das Mütterchen mit der runden Mütze auf dem Kopf und der Einkaufstasche, die Frau im Pelz. Die Menschen hier sehen aus wie aus einer anderen Epoche.

Es ist erst halb eins am Mittag, und die Sonne sieht schon so aus, als wäre sie im Sinken begriffen. Die Flüsse, deren Lauf hier in keinerlei Weise beeinflusst wurde, ergießen sich über Wiesen und Felder und werden getaucht in ein goldenes, fahles Licht. Zwischen den Bäumen, die zu Hainen zusammen wachsen, glänzt in der Sonne stehendes Wasser, das wie ein Spiegel die schwarzen Baumstämme wiedergibt. Das Thermometer zeigt drei Grad über null, doch irgendwie kann ich das schwer glauben, denn Rauhreif bedeckt die Erde und das spärliche Gras und das Wasser in den Gräben ist gefroren.

Wir passieren Dörfer und Felder, alte Weidenbäume mit dicken, knorrigen Baumstämmen, in denen laut alter polnischer Sagen kleine Teufel wohnen. Als wir durch den Wald fahren, lassen die Überholmanöver der Eingeborenen unser Blut gefrieren und unser Herz in die Hosen rutschen. Aber wie es bei uns so ist… Rasen und rasen lassen. Manchmal sehen wir am Rande der Schnellstraße einen Fußgänger stehen. Die Menschen hier scheinen über ein gottgegebenes Vertrauen zu verfügen, dass alles gut wird und sie nicht von einem der im Mordstempo entlang heizenden Autos in den Graben befördert werden.

Wir erreichen Treblinka mittags um kurz vor eins, fahren durch den wie ausgestorbenen Ort und halten nach Hinweisschildern Ausschau. Mein Magen verkrampft, je näher wir kommen. Ich habe bis dahin nicht daran geglaubt, dass Orte wirklich etwas ausstrahlen können.

Die Anlage als solche ist nicht mehr erhalten, doch hat man an dieser Stelle auf eine, wie ich finde, sehr eindrucksvolle Weise ein Denkmal; ein Mahnmal gesetzt. Nichts ist zu viel. Und doch hat man das Gefühl, dass alles zu viel (gewesen) ist.

Über zwei Kilometer zieht sich das Gelände entlang. Ein weißes Band zwischen den Bäumen begleitet unseren Weg und trägt alle Namen der Opfer. Das Band ist lang. Sehr lang. Es will schier gar nicht mehr aufhören.

Es gibt keinen Eingang per se. Dort, wo es hinein geht, liegt mitten im Weg ein riesiger Betonquader, auf dem „Vernichtungslager“ steht. Er versperrt scheinbar den Weg und die Sicht, wie um vor dem zu beschützen, was sich dahinter befindet. Wer hinein möchte, muss am Quader vorbei.

Auf der Linken Seite wurde die Eisenbahnstrecke mithilfe von Betonblöcken symbolisch nachempfunden. Auch die Laderampe ist zu sehen. Die aufgerichteten Granitblöcke stehen für Getötete.

Die Anlage wurde in verschiedene Sektoren aufgeteilt. Es gab Quartiere für SS Männer und ukrainische Kommandanten, einen Friseur, einen Bäcker und den ärztlichen Bereich. Pferde- und Schweineställe hatten ihren Platz. Desweiteren gab es Lagerräume, die sortierte Wertsachen der Gefangenen enthielten.

Ausziehräume für Männer. Ausziehräume für Frauen und Kinder. Baracken für Gefangene. Ein „Lazarett“, in dem alte und kranke Menschen erschossen wurden. Alte Gaskammer. Neue Gaskammer. Krematorium.

Zwei Gefangenenaufstände in Treblinka II, in August und in Oktober 1943, wurden niedergeschlagen.

Auf einer Lichtung stehen aufgerichtete Gedenksteine, jedes bezeichnet einen Ort , eine Stadt oder eine Gemeinde, aus der die getöteten kamen.

Es sind verdammt viele Steine.

Das über allem prangende Denkmal zeigt die Opfer. Die Inschrift sagt in sieben Sprachen „nie wieder“: polnisch, deutsch, jiddisch, hebräisch, französisch und englisch. Es sind die Sprachen der Opfer. Auf dem Betonquader liegen beschriftete Steine jüdischer Besucher. Warum haben wir keine Kerze dabei?

Es ist wie eine Umklammerung und es fällt schwer, Luft zu bekommen. Es muss sehr viel Arbeit gemacht haben, all diese Steine hier aufzurichten, denke ich mir. Doch andererseits muss es auch sehr viel Arbeit gemacht haben, all diese Menschen umzubringen.

Es fängt langsam an. Die großen Betonquader, die Gleise, das lange, weiße Band. Es fängt mit wenigen Granitblöcken an. Doch dann wird es mehr, noch mehr, immer mehr… die Steine drängen sich aneinander, zwängen sich um die Bäume, bevölkern den freien Raum. Als wir wieder am Parkplatz ankommen, ist es, wie aus großer Tiefe wieder aufzutauchen.

 

„Vernichtungslager“
Nachgebildete Eisenbahnstrecke

 

Nachempfundenes Krematorium aus geschmolzenem Basalt

„…mit eigenen Augen sehen, was die Deutschen Menschen anderen Menschen antun können…“

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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1 Kommentar

  1. […] Wir kehren zurück von unserem heutigen Tagesziel, welches uns den Atem nahm und uns für eine kurze Zeit in einen Abgrund der menschlichen Natur warf, vor unseren Augen sehen wir nur Steine, aus diesen Steinen ergibt sich ein Meer, ein Meer deshalb, weil sie gar nicht mehr aufhören. Und dabei steht jeder dieser Steine, dieser stillen, aufgerichteten Monumente, für je einen Ort, aus dem deportiert worden ist. Nein, ein Stein steht nicht für je einen Menschen, denn dann wäre es kein Meer, sondern ein Ozean. Wir besuchten das KZ in Treblinka. […]

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