Europa, Spanien

Barcelona – La Rambla

Barcelona, Juni 2016

„Du, ich glaube, da wollte gerade einer meine Tasche klauen.“ Sagt er plötzlich, während ich verträumt ins Wasser schaue. Freilich waren wir nicht alleine, immer wieder liefen Menschen an uns vorbei oder setzten sich auf die Bank nebenan. Ich schaue mich nach allen Seiten um und ziehe meinen Rucksack näher an mich heran.

Mit einem dröhnenden Kopf wachte ich am Morgen auf. Weiterschlafen war unmöglich, es fühlte sich an, als würde sich etwas Scharfes unter meine Schädeldecke bohren. Erst ein kalter Packen Eis an meiner Schläfe, in ein Handtuch gewickelt, brachte die ersehnte Linderung und ich schlief wieder ein.

Am Morgen ist von dem Kopfschmerz nichts mehr zu spüren, nur noch die tiefen Ringe unter meinen Augen zeugen von der anstrengenden Nacht. Es ist bereits sehr warm und die Sonne erhellt die Stadt. Wir frühstücken auf dem Balkon. Stefan hatte Baguette und Wurst aus nahe gelegenem Supermarkt geholt, und nun probieren wir uns durch die Wurstsorten hindurch. Doch nach dem Geschmackserlebnis gestern Abend ist es schwierig mit dem Genuss, zudem die geschmackliche Qualität der Wurstwaren richtig mies war. Wir beginnen mit Salami. Stefan findet sie okay, doch ich, na ja… Die Mortadella schmecke wie eingeweichtes Papier. An das dritte traue ich mich nicht mehr heran, und so mache ich die Käsepackung auf. Mit Käse kann man nicht viel falsch machen.

Nach dem Frühstück laufen wir los, und ich spüre bei jedem Schritt dieses verdächtige Ziehen in meinen Waden, welches sich nach dem gestrigen „Bergsteigen“ heute morgen eingestellt hatte. Diesmal bin ich vorbildlich gekleidet, mit einer luftigen Hose und meinen Laufschuhen an den Füßen. So „gerüstet“ begebe ich mich mit Stefan in die schattigen Gassen. „Das Viertel hier hat was.“ Sagt Stefan. „Es hat einen eigenen Charme.“

Unterwegs springe ich schnell in eine Bäckerei und hole uns zwei Croissants. Die leuchtenden Augen und das offene Lachen der Mädels dort begeistern mich, es ist, als ob aus jeder ihrer Gesten die pure, herzliche Lebensfreude strahle.

 

Die Frau mit der Gitarre

Wir steigen in die Metro und lassen uns in die Innenstadt bringen. In unserem Abteil, in dem die Fahrgäste gleichgültig an den Haltestangen lehnen oder von ihren Plätzen aus Löcher in die Luft starren, ihre Köpfe im Rhythmus der beschleunigenden oder abbremsenden Bahn bewegend, läuft eine pausbäckige, lächelnde Spanierin zwischen den Fahrgästen hin und her, eine Gitarre über die Schulter gehängt, und spielt mit schiefen Tönen katalanische Lieder. Breit grinsend singt sie zu den schnellen Klängen mit ihrer lauten, fröhlichen, jedoch unmelodischen Stimme und, von Fahrgast zum Fahrgast tänzelnd, schaut sie jedem erwartungsvoll ins Gesicht. Doch die Menschen schauen demonstrativ durch sie hindurch oder an ihr vorbei, und erst, wenn sie einem Fahrgast wieder den Rücken zudreht, riskiert der eine oder andere einen heimlichen, verstohlenen Blick. Als sie hoffnungsvoll zu uns tritt, stupse ich meinen Freund an. „Stefan!“
„Nein.“ Zischt er gedämpft zurück.
„Warum denn nicht?“ Flüstere ich. Die pausbäckige Spanierin steht neben uns und trägt ihr wärmstes Lächeln spazieren.
„Es gefällt mir nicht!“ Sagt er. Ja, ich weiß, die Frau ist nicht gerade mit Talent gesegnet. „Egal.“ Sage ich. „Darum geht es doch gar nicht. Na komm!“
„Nein!“ Er guckt fast schon gequält. Ich muss lachen. An der nächsten Haltestelle steigt die Frau aus. Erleichterung macht sich breit.

„Auf La Rambla wird viel geklaut.“ Warnte mich Stefan am Morgen am Frühstückstisch. „Es werden teilweise schon Handtaschen von den Schultern gerissen.“ Er studierte den ganzen morgen beim Frühstück den Reiseführer, und nun ziehen wir beide mit Rucksack, wenig Bargeld und einer guten Portion Wachsamkeit gerüstet los.

In der Stadt, an der Columbus-Säule steigen wir aus. Bis La Rambla, der berühmten Einkaufspassage, die sich bis hin zum Hafen zieht, sind es nur noch wenige Schritte. Als wir die Unterführung entlang nach oben gehen, lagern links und rechts des Tunnels Menschen mit Gepäck, teilweise im Schneidersitz, teilweise mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Flüchtlinge, erschöpft und müde, Helden so vieler Schlagzeilen in den ganzen Welt, starren sie uns aus blutunterlaufenen Augen teilnahmslos entgegen.
Die Menschen laufen an ihnen vorbei, möglichst nach vorne schauend, denn die Blicke der Menschen an der Wand dringen bis ins Innere.

Und wie reagiert man in einem solchen Moment?

Feige reagiert man: unwillkürlich gehe ich schneller, versuche, die unbequeme Szene, die stark an meinem Gewissen zehrt, schnellstmöglich hinter mir zu lassen. Doch vermutlich war die Angst ganz unnötig, denn nicht einer dieser Männer streckte uns die Hand entgegen, keiner bat um irgend etwas. Oben angekommen wechselten wir kein Wort über das eben gesehene, als wäre es nie dagewesen. Was können Worte denn ändern?

La Rambla ist ein Tummelplatz an Touristen, Shops, Straßenkünstlern und fliegenden Händlern. Die Metro spuckt uns genau an der Columbus Statue aus. Links und rechts spielen Künstler Pantomime: John Wayne, Warcraft, Alien, Mary Popens, sogar Galileo Galilei ist mit dabei; er sitzt auf seinem Podest mit dem Rücken zum Publikum und isst sein Lunchbrötchen. Fliegende Händler verkaufen Selvie-Sticks. Eine Schar Japaner fotografiert mit selbigen sich selbst und die Umgebung. Wir überqueren eine Straße, passieren die Columbus Statue und finden uns am Neuen Hafen von Barcelona wieder.

Dort lassen wir uns erstmal auf einer Bank nieder, unsere Rucksäcke stets fest im Blick. Zu viele Geschichten kursieren über die hohe Kriminalitätsrate hier, vor allem was die Taschendiebstähle betrifft. Dauernd sieht man Polizeistreifen, und auch Polizei in Zivil, die Stefans Adleraugen erspäht haben, waren gruppenweise unterwegs.

Ich will mein Croissant rausholen, doch zwei gelbe, scharf dreinblickende Augen lassen mich in der Bewegung inne halten. Wen haben wir denn da?

 

The big boss…

Vor unserer Bankreihe, die am Hafen direkt am Wasser steht, stolzieren Möwen herum, die gierig zu uns hinüber äugen. Sie weichen keinen Zentimeter zurück, wenn man versucht, sie zu verscheuchen; ja,, sie zucken nicht einmal. Eine von ihnen, ein dickes, altes Exemplar, läuft hin und her und versucht, die anderen immer wieder von der Bank, auf der wir sitzen, zu verjagen. Ich werde euch zeigen, wer der Boss ist, sagen ihre Augen, die sich anschließend uns zuwenden. Der finstere Blick lässt vermuten; Gnade dem Unbedachten, der töricht genug ist, etwas Essbares auszupacken.

Stefan stampfte ein paar Mal mit dem Fuß auf, doch dies verklang ohne merkbare Ergebnisse. Die Möwe blieb, wo sie war, und prüfte ihre Chancen.

„Du, ich glaube, da wollte gerade einer meine Tasche klauen.“ Sagt er plötzlich, während ich verträumt ins Wasser schaue. Freilich waren wir nicht alleine, immer wieder liefen Menschen an uns vorbei oder setzten sich auf die Bank nebenan.

„So ein komischer kleiner Mann mit Jogginghose und Turnschuhen. Er machte gerade unauffällig einen Schlenker in die andere Richtung, als er sah, dass ich ihn bemerkte, und grinste.“ Ich drehe mich um und mustere die Vorbeikommenden, aber ich kann nichts Verdächtiges ausmachen. „War das nicht vielleicht einfach ein Tourist?“

„Nein. Er hatte keine Tasche oder Kamera dabei, gar nichts dergleichen.“ Da widerspreche ich ihm nicht mehr. Ich schaue mich nochmal nach allen Seiten um und ziehe meinen Rucksack näher an mich heran.

 

Der Hafen von Barcelona

In einer Eisbude am Maremagnum, einem Einkaufscenter direkt am Hafen, wechselten wir erst einmal unsere großen Geldscheine. Die Verkäuferin sah nicht gerade hingerissen aus, als sie ihr ganzes Kleingeld zusammenkratzen musste.

 

Dann, weiter mit dem Touristenstrom treibend, kamen wir zu einer Stelle, an der der Weg eine Kurve macht und weiter zum Barcelona Aquarium führt. Dort setzten wir uns auf eine Treppe, die direkt zum Wasser führte, und fotografierten das World Trade Center. Es war schön, hier zu sein; wir ließen uns den Wind um die Ohren wehen und die Sonne auf die Schultern scheinen. Eine gute Stelle, um die Boote zu beobachten. Stefan studierte die Hafenanlage. „Das haben sie hier alles sehr schön gemacht, mit dem alten und dem neuen Hafen.“ Sagte er. Über unseren Köpfen kreisten Möwen, und in einiger Entfernung eilten Touristen hin und her, um ja nichts Sehenswertes zu verpassen. Wir saßen einfach da und entspannten.

„Schau mal, Schatz, auf dem Schild da vorne steht kurz & gut… auf deutsch, das ist ja witzig…“ Ich zeigte auf ein Schild, das von hier aus sichtbar war. Es schien sich hierbei um ein Essenslokal zu handeln. Doch was wir zu dem Zeitpunkt freilich noch nicht wussten: noch ein kleines Stück weiter am Schild vorbei, und wir wären zum Aquarium von Barcelona gekommen, eines der schönsten Aquarien, das es weit und breit zu besichtigen gibt. Doch so standen wir nach einer halben Stunde wieder auf und gingen den Weg entlang zurück in Richtung La Rambla. Das mit dem Aquarium sollten wir später noch sehr bedauern.

Wieder am La Rambla. John Wayne versucht gerade, eine attraktive, unachtsame Touristin mit seinem Lasso einzufangen. Das Mädchen springt quickend zur Seite und lacht. Dann läuft sie kichernd mit ihrer Freundin weiter, und die beiden, tuschelnd und lachend, vermeiden es tunlichst, sich anschließend nochmal umzudrehen. Doch John Wayne hatte sich längst wieder ein neues Opfer gesucht.

„Wann möchtest du denn deine Sightseeing-Tour machen?“ Frage ich Stefan. Wir haben schon bei unserer Ankunft am Placa d’Espanya Touristenbusse gesehen, die mit Sitzplätzen ganz oben auf dem Dach ausgestattet waren und jede Menge vergnügter Menschen beförderten. Da hat Stefan den Wunsch geäußert, auch einmal in so etwas zu fahren.

Jetzt näherten wir uns dem Infostand, an dem Tarife und Routen angezeigt wurden. Vor dem Vekaufsschalter hatte sich eine lange Schlange gebildet. Der Fahrpreis betrug 28 Euro für eine Tageskarte, mit der man beliebig ein- und aussteigen und auch zwischen verschiedenen Routen hin und her wechseln konnte. Die Routen führten über ganz Barcelona und die Stopps waren an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorgesehen. Wenn man bedenkt, dass eine 60-minütige Tour durch Berlin schon rund 20 Euro kostet und einmal um das Stadtzentrum herum führt, so war dieser Preis durchaus fair. Ich schaute auf die Uhr: 15:00. Eine Tageskarte zu kaufen lohnte sich für heute nicht mehr. Wir beschlossen, morgen (Sonntag) früher aufzustehen und die Tour in Angriff zu nehmen.

 

Amore, amore…

Wir gehen die La Rambla entlang in Richtung Placa d’Espanya hoch. Es ist laut, hektisch und überfüllt von Menschen.

„Da, in dem Geschäft könntest du vielleicht Batterien für deine Kamera bekommen.“ Stefan tippt mich an und zeigt auf einen Shop, auf dem etwas mit Electronics steht. Ja, richtig, die Batterien. Meine Digicam sendet schon seit geraumer Zeit Beschwerdemitteilungen an mich aus. Also gehe ich schnell in den Laden rein, und finde mich wieder umringt von fleißigen Verkäufern, die alle wissen möchten, was denn mein Herz begehrt.

Batterien begehrt mein Herz.

Sofort bekomme ich drei oder vier Sorten an Batterien zur Auswahl vorgelegt. Ich nehme Duracell – für meine Kamera nur das beste vom Besten. Glücklich hüpfe ich wieder aus dem Laden hinaus. Doch dann fällt mir ein: Verdammt! Ich schlage mir die Hand vor die Stirn. Magnete! Kasia, du brauchst ein Magnet für Franci! Also drehe ich mich um und gehe wieder rein.

„Do you have some magnets?“ Frage ich drinnen nach und mache die entsprechende ich-pappe-etwas-an-der-Wand-fest-Handbewegung. Ja, natürlich, der junge spanische Verkäufer führt mich in den hinteren Bereich des Ladens und zeigt auf eine Wand, die von oben bis unten über und über mit Magneten aller Größen und Farben übersieht ist. Und während ich noch, erschlagen von der Auswahl, auf die Wand starre, fragt er mich: „Woher kommst du? Aus Russland?“ Ich zögere zunächst, da ich befürchte, bei einer „aus Deutschland“-Antwort würden die Magnete gleich das doppelte kosten. Aber nenne eine Polin niemals Russin! „Aus Polen“, sage ich und bemerke, dass alle Magnete mit einem Festpreis versehen sind. Diese Sorge also war unnötig. Dafür beginnt jetzt der braungebrannte Spanier, seine polnisch-Kenntnisse zum Besten zu geben:

„Dzien dobry!“ (- Guten Tag) „Piekna!“ (was so viel heißt wie: wunderschöne Frau) Na, das kann ja heiter werden, denke ich, während ich mich an die Kasse wende, um zu bezahlen. Das Wechselgeld wird mir korrekt herausgegeben, dafür höre ich nun ein „Kocham cie!“ (= ich liebe dich), begleitet von einem Hundeblick aus dem braungebrannten Gesicht. Lachend flüchte ich aus dem Laden.

Draußen lacht sich Stefan schlapp, als ich ihm von der Geschichte erzähle. Als ich mich umdrehe, steht der spanische Verkäufer an der Tür und winkt. Ich winke zurück. Der Verkäufer grinst; doch als sich Stefan neben mich postiert und fröhlich zurück lächelt, ist von dem kleinen Spanier einen Augenblick später nichts mehr zu sehen.

Kasia

Hi, ich bin Kasia, die Stimme von "windrose.rocks" :-)
Treibt Dich die Frage um, was sich denn alles jenseits der heimischen Couch verbirgt, bist Du rastlos und neugierig wie ich und spürst den Drang in Dir, in die Welt hinaus zu gehen? Dann tue es! Ich nehme Dich mit auf meine Reisen und lasse Dich hautnah das Unterwegs sein miterleben - in all seinen Facetten. Lass Dich inspirieren, komm mit mir und warte nicht länger, denn... die Welt ist so groß und wir sind so klein, und es gibt noch so viel zu sehen!

Die Welt wartet auf uns.

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